Erst die Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik in Form von KI-gesteuerten Robotertentakeln machen aus Otto Octavius einen ebenbürtigen Gegner für Spiderman. | Bild: Keystone.

1 - Der klassische Mad Scientist

In dieser Kategorie gibt es keine psychologischen Feinheiten, keine guten Motive gone wrong. Der klassische Mad Scientist ist, wie der Name schon sagt, dem Wahnsinn verfallen. Das äussert sich einerseits in übersteigerter Genialität, geht aber leider oft auch mit einem Weltherrschaftsanspruch oder einer sadistischen Ader einher. Deshalb eignen sich Mad Scientists wunderbar als Kontrahenten für Superhelden, zum Beispiel Otto Octavius mit seinen KI-gesteuerten Robotertentakeln bei Spiderman oder die Mensch-Pflanzen-Hybride Poison Ivy bei Batman & Robin. Das Genre hat ja ein dramaturgisches Grundproblem: Wer soll es mit Heldinnen aufnehmen, die von Anfang an allen überlegen sind? Spannung kommt erst auf, wenn wissenschaftlich-technisches Wissen ebenfalls Superkräfte verleiht. Man darf Mad Scientists deshalb nicht falsch verstehen, als Diffamierung. Vielmehr handelt es sich um einen Ritterschlag für die Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik. Und gleichzeitig sind die Mad Scientist auch eines der wichtigsten populärkulturellen Beispiele für die Reflexion der Verantwortung, die mit dieser Macht einhergeht.

Der Doc aus Zurück in die Zukunft verkörpert den liebenswerten Wahnsinn gepaart mit coolem Immer-eine-Lösung-Parathaben. | Bild: Alamy

2 - Der geniale Tüftler

Das ist eine grosse Schublade. Ausgehend von den gutangezogenen Ingenieuren bei Jules Vernes – man denke an das Unterwasser- Konstruktionsgenie Captain Nemo – wurden die Erfinder nach und nach immer exzentrischer: Wir haben wohl eher Emmett Brown (Doc) vor Augen, den schlecht frisierten Erfinder der Zeitmaschine in Zurück in die Zukunft. Seither changiert das Technikgenie im Film ewig zwischen coolem Immer-eine-Lösung-Parathaben und liebenswertem Wahnsinn. Man denke zum Beispiel an Beam-me-up-Scotty, den Chefingenieur und technischen Rückhalt im Raumschiff Enterprise, oder an den unermüdlichen Gadget-Erfinder Q aus den Bond-Filmen. Nach wie vor aber stehen die Ingenieure im Film im Schatten der Wissenschaftler, sie sind graue Mäuse, was ihr narratives Potenzial angeht. Den real existierenden Ingenieurinnen und Ingenieuren wird es recht sein, dass sich Hollywood in gesellschaftskritischer Hinsicht lieber an den Grundlagenforschenden abarbeitet als an den Personen, die für die konkreten technischen Anwendungen verantwortlich sind. Unlängst begann sich das allerdings zu ändern: Seit die Kategorie noch einmal starken Zulauf hat, mit all den Nerds und Hackern aus dem Cyberspace, geht es oft auch um ethische Fragen rund um Technik, darum, wie man sie korrekt anwendet und wo die Macht in den Maschinen sitzt. Und hier kommen dann endlich auch ein paar Ingenieurinnen oder eher Coderinnen vor. Die bekannteste von ihnen ist wohl Lisbeth Salander aus der Millennium-Krimitrilogie – noch nicht die Hauptrolle, aber schon nahe dran, fast wie in den Tech-Firmen.

Liebenswert, aber mit allem physischen überfordert: Der verrückte Professor. | Bild: Alamy

3 - Der weltfremde Schussel

Es ist das wohl simpelste Klischee des Forschers: der lebensfremde Kopfmensch im Elfenbeinturm wie Der verrückte Professor – unwiderstehlich verkörpert von Jerry Lewis in der gleichnamigen Komödie. In seiner Unbeholfenheit zwar durchaus liebenswert, aber mit allem Physischen überfordert und mit wenig Sex-Appeal ausgestattet. Die Urform ist Professor Rath, der von Der blaue Engel Marlene Dietrich verführt wird und dabei keine glückliche Figur macht. Die Wiener Soziologin Eva Flicker kennt auch die Old Maid als weibliche Variante, nur an ihrer Arbeit interessiert und nicht auf ihr Äusseres bedacht, wie Dr. Constance Petersen in Hitchcocks Ich kämpfe um dich. Oft wird die Maid von einem Mann «erlöst», das hässliche Entchen wird zum Schwan und verliert die intellektuelle Brillanz.

Der Ehrgeiz von Doktor Frankenstein führt selbstverständlich in die Katastrophe. | Bild: Alamy

4 - Der gefürchtete Zauberlehrling

Es ist der wahrscheinlich älteste Typus der Forschung in der Fiktion: die Hybris. Wie Goethe schon im ausgehenden 18. Jahrhundert in seinem Zauberlehrling schrieb: «Die ich rief, die Geister / Werd ich nun nicht los.» Im Stummfilm ikonografisch geworden mit Doktor Frankenstein und dem Androiden-Forscher Rotwang in Metropolis, hat die Figur des überehrgeizigen Forschers, dessen Arbeit in die Katastrophe führt, viele Fortschreibungen erfahren: Science-Fiction-Fans denken vielleicht an Westworld, wo humanoide Roboter den Aufstand proben, Blockbuster- Liebhaber an Jurassic Park. Frauen kennen diese Hybris offenbar kaum, jedenfalls nicht in der Vorstellung der Drehbuchschreiber.

Auch die Astrophysikdoktorandin Kate Dibiasky und ihre Doktorvater Randall Mindy scheitern in Don't Look Up daran, die Politik zum Handlen zu bewegen. | Bild: Alamy

5 - Die ignorierte Warnerin

Auch eine Kategorie mit grosser Vorgeschichte. Immer wieder scheitern Wissenschaftlerinnen im Film in klassischer Kassandra-Manier bei der Aufgabe, die Gesellschaft vor einer drohenden Katastrophe zu warnen. Sie wissen es zwar besser als alle anderen, aber niemand will auf sie hören – schon gar nicht die Politik, die sie zwar gern vorlädt, dann aber lieber alle Bedenken in den Wind schlägt – oder von Anfang an lieber aufs Militär hört. Gerade eben sehr schön und kontrovers vorgeführt in Don’t Look Up, in dem Astrophysikprofessor Randall Mindy und seine Doktorandin Kate Dibiasky umsonst vor dem Einschlag eines Meteoriten warnen, was allgemein als Allegorie auf die Situation der Klimawissenschaft gelesen wurde. Konkreter wurde diese hoffnungslose Aufklärerinnenrolle in Zeiten der drohenden Klimakrise von Jack Hall verkörpert, im Thriller The Day After Tomorrow – der der Dramatik halber eine seltsame Beschleunigung und Umkehrung des Klimawandels annahm und die Welt innert Stunden tiefgefrieren liess. Da kam dann alles Warnen sowieso zu spät.

Sexy und smart ist die Biologin Amelia Brand, die im Science-Fiction-Drama Intertellar einen bewohnbaren Planeten sucht. | Bild: Paramount Pictures

6 - Die smarte Abenteurerin

Es gibt auch die Antithese zum wenig attraktiven Schussel – es gibt den Forscher auch als Herzensbrecher, als Weltentdecker, als smarten und gutaussehenden Helden. Am ikonischsten verkörpert wohl von Indiana Jones, dem peitschenschwingenden Archäologen, der es mit Grabflüchen ebenso aufnimmt wie mit gewissenlosen Nazis. Aber auch Hitchcock dachte sich solche Rollen aus, der Physiker Michael Armstrong muss im Zerrissenen Vorhang einige Abenteuer im Osten bestehen – und das tut er natürlich mit Bravour. MacGyver gehört wohl auch hierher, obwohl er auch etwas von einem genialen Tüftler hat. Hier tummeln sich auf einmal auch eine Menge Frauen, weil Hollywood Wissenschaftlerinnen am liebsten nach dem Schema sexy and smart zeichnet. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Jo Harding, die Meteorologin und Wirbelsturmjägerin in Twister, und Amelia Brand, die Biologin in Christopher Nolans Sci-Fi-Drama Interstellar. Die Filmsoziologin Eva Flicker hat ihre Analyse selbstredend betitelt: «Between Brains and Breasts – Women Scientists in Fiction Film: On the Marginalization and Sexualization of Scientific Competence». Die quantitativ wichtigste Kategorie nach Flicker ist die Daughter/Assistant, wie Sarah Sherman im Zerrissenen Vorhang. Sie sind zwar smart and capable gezeichnet, aber weil ihnen immer nur die Nebenrolle zugedacht wird, kommen ihre Fähigkeiten erst gar nicht zur Geltung.