Foto: zVg

Jasagt Augustin Fragnière.

Foto: Schweizer Monat

Neinsagt Servan Grüninger.

Aktivistische Forscherinnen werden manchmal verdächtigt, parteiisch zu sein. Dabei hat sich die Wissenschaft – ganz entgegen der weit verbreiteten Meinung – nie in einem wertefreien Umfeld entwickelt. So gesehen ist sie nie neutral, und die Wahl der Forschungsthemen wird von politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Faktoren beeinflusst, auch wenn keine aktivistische Absicht besteht. Damit möglichst objektive und zuverlässige Erkenntnisse resultieren, stützt sich ein wissenschaftlicher Ansatz jedoch auf bestimmte Methoden wie Versuchsprotokolle, auf spezifische Formen der Auswertung wie Peer-Review oder auf die Vielfalt der Forschungsgemeinschaft. Diese Grundsätze der wissenschaftlichen Integrität gelten für alle Forschenden, unabhängig davon, ob sie sich aktivistisch betätigen.

«Wissenschaft hat sich nie in einem wertfreien Umfeld entwickelt. Sie ist nie neutral.»

Wissenschaftlerinnen sind im Übrigen auch Bürgerinnen mit einem Recht auf freie Meinungsäusserung und darauf, ihre Ansichten in gesellschaftlichen Debatten zu vertreten. Zur akademischen Freiheit gehört zudem die Freiheit, öffentlich über die eigene Forschung und die damit verbundenen gesellschaftlichen Folgen zu diskutieren. Ausserdem ist eine lebendige akademische Gemeinschaft, die sich mit politischen Fragen auseinandersetzt und aktiv zum öffentlichen Diskurs beiträgt, ein Gewinn. Denn so können bisweilen übersehene Probleme erkannt und kreative, innovative und wissenschaftlich fundierte Lösungen entwickelt werden.

Aktivismus und Forschungstätigkeit lassen sich demnach miteinander vereinbaren, sofern bestimmte Grundsätze beachtet werden – zum Beispiel Transparenz über die Art der öffentlichen, wissenschaftlichen oder aktivistischen Interventionen und über die Grenzen der Expertise der Person, die sich äussert. Aufklärung darüber, wie Wissenschaft funktioniert, würde auch dazu beitragen, einige Missverständnisse über die angebliche Neutralität der Forschung und die Rolle der Forschenden auszuräumen, insbesondere in der breiten Öffentlichkeit und in der Politik.

Augustin Fragnière forscht in politischer Umweltphilosophie, ist stellvertretender Direktor des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der Universität Lausanne und äussert sich immer wieder in Medien zur Klimapolitik.

Wissenschaft soll verlässliches Wissen schaffen, indem Sachverhalte eng umrissen, geprüft und immer wieder kritisch hinterfragt werden. Aktivismus ist hingegen eine gesellschaftliche Bewegung, die für ihre Anliegen eintritt und konkrete Veränderungen bewirken will. Die Wirkung, nicht das Wissen, motiviert die aktivistisch Tätigen. Zwar kann sich aktivistisches Reden und Handeln wie bei der Klimaschutzbewegung auf wissenschaftliche Evidenz beziehen, doch Aktivismus kann nicht jene Ansprüche erfüllen, die gemeinhin an die Wissenschaft gestellt werden.

«Im Moment des Aktivismus erfolgt eine Zuspitzung der Forderungen auf wenige Kernbotschaften und gleichzeitig eine Immunisierung gegen Kritik daran.»

Erstens, weil aktivistische Forderungen Voraussetzungen und Annahmen enthalten, die sich der unmittelbaren Überprüfung und damit auch dem Anspruch auf wissenschaftliche Verlässlichkeit entziehen. Zweitens, weil sich im Moment des Aktivismus keine kritische Distanz zu den eigenen Zielen herstellen lässt. Stattdessen erfolgt eine Zuspitzung der eigenen Forderungen auf wenige Kernbotschaften und gleichzeitig eine Immunisierung gegen Kritik daran, weil die Forderungen sonst im medialen Rauschen und im Klein-Klein der politischen Debatte untergehen würden. So bringt sich ein Tierversuchsgegner, der während des Protests die historische Bedeutung von Tierversuchen für die Forschung würdigt, selbst um den Erfolg.

Als Tätigkeiten gehen Wissenschaft und Aktivismus nicht zusammen – weder in Bezug auf ihre eigenen Ansprüche noch in Bezug auf die Aussenwahrnehmung. Dennoch können gute Aktivistinnen auch gute Wissenschaftlerinnen sein. Der vermeintliche Widerspruch löst sich auf, wenn man die Tätigkeit gesondert betrachtet vom Tätigen: Wer als Schauspielerin vor der Kamera steht, kann in diesem Moment nicht hinter der Kamera Regie führen. Trotzdem gibt es Menschen, die beides gut können. So kann man an der Universität forschen und auf der Strasse protestieren. Problematisch wird es jedoch, wenn beide Tätigkeiten vermischt werden, also wenn man für seinen Aktivismus einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt oder wenn man Wissenschaft nach aktivistischer Logik betreibt.

Servan Grüninger ist Biostatistiker, doktoriert an der Universität Zürich und ist Präsident des Thinktanks Reatch. Er publiziert regelmässig Meinungsbeiträge zu Wissenschaft und Politik in diversen Medien.

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Jasagt Augustin Fragnière.

Aktivistische Forscherinnen werden manchmal verdächtigt, parteiisch zu sein. Dabei hat sich die Wissenschaft – ganz entgegen der weit verbreiteten Meinung – nie in einem wertefreien Umfeld entwickelt. So gesehen ist sie nie neutral, und die Wahl der Forschungsthemen wird von politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Faktoren beeinflusst, auch wenn keine aktivistische Absicht besteht. Damit möglichst objektive und zuverlässige Erkenntnisse resultieren, stützt sich ein wissenschaftlicher Ansatz jedoch auf bestimmte Methoden wie Versuchsprotokolle, auf spezifische Formen der Auswertung wie Peer-Review oder auf die Vielfalt der Forschungsgemeinschaft. Diese Grundsätze der wissenschaftlichen Integrität gelten für alle Forschenden, unabhängig davon, ob sie sich aktivistisch betätigen.

«Wissenschaft hat sich nie in einem wertfreien Umfeld entwickelt. Sie ist nie neutral.»

Wissenschaftlerinnen sind im Übrigen auch Bürgerinnen mit einem Recht auf freie Meinungsäusserung und darauf, ihre Ansichten in gesellschaftlichen Debatten zu vertreten. Zur akademischen Freiheit gehört zudem die Freiheit, öffentlich über die eigene Forschung und die damit verbundenen gesellschaftlichen Folgen zu diskutieren. Ausserdem ist eine lebendige akademische Gemeinschaft, die sich mit politischen Fragen auseinandersetzt und aktiv zum öffentlichen Diskurs beiträgt, ein Gewinn. Denn so können bisweilen übersehene Probleme erkannt und kreative, innovative und wissenschaftlich fundierte Lösungen entwickelt werden.

Aktivismus und Forschungstätigkeit lassen sich demnach miteinander vereinbaren, sofern bestimmte Grundsätze beachtet werden – zum Beispiel Transparenz über die Art der öffentlichen, wissenschaftlichen oder aktivistischen Interventionen und über die Grenzen der Expertise der Person, die sich äussert. Aufklärung darüber, wie Wissenschaft funktioniert, würde auch dazu beitragen, einige Missverständnisse über die angebliche Neutralität der Forschung und die Rolle der Forschenden auszuräumen, insbesondere in der breiten Öffentlichkeit und in der Politik.

Augustin Fragnière forscht in politischer Umweltphilosophie, ist stellvertretender Direktor des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der Universität Lausanne und äussert sich immer wieder in Medien zur Klimapolitik.

 


Foto: Schweizer Monat

Neinsagt Servan Grüninger.

Wissenschaft soll verlässliches Wissen schaffen, indem Sachverhalte eng umrissen, geprüft und immer wieder kritisch hinterfragt werden. Aktivismus ist hingegen eine gesellschaftliche Bewegung, die für ihre Anliegen eintritt und konkrete Veränderungen bewirken will. Die Wirkung, nicht das Wissen, motiviert die aktivistisch Tätigen. Zwar kann sich aktivistisches Reden und Handeln wie bei der Klimaschutzbewegung auf wissenschaftliche Evidenz beziehen, doch Aktivismus kann nicht jene Ansprüche erfüllen, die gemeinhin an die Wissenschaft gestellt werden.

«Im Moment des Aktivismus erfolgt eine Zuspitzung der Forderungen auf wenige Kernbotschaften und gleichzeitig eine Immunisierung gegen Kritik daran.»

Erstens, weil aktivistische Forderungen Voraussetzungen und Annahmen enthalten, die sich der unmittelbaren Überprüfung und damit auch dem Anspruch auf wissenschaftliche Verlässlichkeit entziehen. Zweitens, weil sich im Moment des Aktivismus keine kritische Distanz zu den eigenen Zielen herstellen lässt. Stattdessen erfolgt eine Zuspitzung der eigenen Forderungen auf wenige Kernbotschaften und gleichzeitig eine Immunisierung gegen Kritik daran, weil die Forderungen sonst im medialen Rauschen und im Klein-Klein der politischen Debatte untergehen würden. So bringt sich ein Tierversuchsgegner, der während des Protests die historische Bedeutung von Tierversuchen für die Forschung würdigt, selbst um den Erfolg.

Als Tätigkeiten gehen Wissenschaft und Aktivismus nicht zusammen – weder in Bezug auf ihre eigenen Ansprüche noch in Bezug auf die Aussenwahrnehmung. Dennoch können gute Aktivistinnen auch gute Wissenschaftlerinnen sein. Der vermeintliche Widerspruch löst sich auf, wenn man die Tätigkeit gesondert betrachtet vom Tätigen: Wer als Schauspielerin vor der Kamera steht, kann in diesem Moment nicht hinter der Kamera Regie führen. Trotzdem gibt es Menschen, die beides gut können. So kann man an der Universität forschen und auf der Strasse protestieren. Problematisch wird es jedoch, wenn beide Tätigkeiten vermischt werden, also wenn man für seinen Aktivismus einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt oder wenn man Wissenschaft nach aktivistischer Logik betreibt.

Servan Grüninger ist Biostatistiker, doktoriert an der Universität Zürich und ist Präsident des Thinktanks Reatch. Er publiziert regelmässig Meinungsbeiträge zu Wissenschaft und Politik in diversen Medien.