Wissenschaft in der Krisenzone

Wissenschaft in der Krisenzone. Wie viel Risiko ist Erkenntnis wert? | Collage: 2. stock süd, Fotos: Valérie Chételat

Es ist der Albtraum jeder Organisation, die in Konfliktzonen im Einsatz steht: Bewaffnete überfallen 2012 nahe eines Flüchtlingslagers im Osten Kenias den Konvoi der norwegischen Hilfsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC). Der Chauffeur stirbt, weitere NRC-Mitarbeiter werden verletzt und verschleppt. Der Fall sorgte für Aufsehen, weil ein Mitarbeiter die Hilfsorganisation wegen grober Fahrlässigkeit verklagte. Er litt nach seiner Rückkehr an einer posttraumatischen Belastungsstörung und war arbeitsunfähig. Das NRC räumte Mängel bei der Vorbereitung der Mission ein. Ein norwegisches Gericht sprach 2015 dem Kanadier eine Entschädigung von umgerechnet rund 500 000 Franken zu.

«Der Gerichtsfall hat die NGO-Szene aufgeschreckt und sensibilisiert», stellt Daniel Glinz fest. Der langjährige IKRK-Delegierte arbeitet seit 2015 als Berater bei Cinfo, dem Informationszentrum für Berufe in der internationalen Zusammenarbeit in Biel. Eine Cinfo-Arbeitsgruppe hat nun ein neues Instrument entwickelt, mit dem Schweizer NGOs und Forschungsinstitutionen ihre Sicherheits- und Risiko-Management- Prozesse einschätzen, überprüfen und verbessern können: das Duty of Care Maturity Model (siehe Kasten «Instrumente für die Sicherheit»).

Instrumente für die Sicherheit
  • Duty of Care Maturity Model: Das Lerntool von Cinfo zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach Schweizer Obligationenrecht beleuchtet vier Handlungsfelder: Information, Prävention, Monitoring und Intervention.
  • Itineris: Auf der EDA-Plattform können Schweizer Staatsangehörige ihre Auslandreisen registrieren. Sie erhalten eine Mitteilung, wenn sich in einem Gebiet die Sicherheitslage markant verschlechtert.
  • BSAFE: Das Online-Training der Vereinten Nationen macht die Nutzerinnen und Nutzer mit den Uno-Sicherheitsstandards vertraut.

Bereits 2011 war eine Studie des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik (GCSP) zum Schluss gekommen, dass internationale Organisationen nicht nur eine moralische und ethische Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Angestellten tragen, sondern auch rechtlichen Normen zu Fürsorgepflicht und Haftung unterworfen sind.

In der Cinfo-Arbeitsgruppe mit dabei ist auch Alexander Knup, Travel Safety Manager des Schweizerischen Tropen- und Public- Health-Institutes (Swiss TPH). Knup berät jährlich bis zu 400 Wissenschaftlerinnen und Projektmitarbeiter, die für Swiss-TPH-Projekte in über 100 Ländern unterwegs sind. Einen grösseren sicherheitsrelevanten Zwischenfall gab es laut Knup in den letzten Jahren nicht. Ist in einer Region mit Spannungen zu rechnen, bleibt eine Projektstation unter Umständen für einige Wochen präventiv geschlossen – wie zum Beispiel im Vorfeld der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo.

SNF mahnt zur Vorsicht
Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) unterstützt Forschungsaufenthalte in Konfliktgebieten nur, wenn das Sicherheitsrisiko als nicht sehr hoch oder als regional begrenzt eingeschätzt wird. Die Beitragsempfangenden tragen die Verantwortung für die Sicherheit aller Beteiligten. Der SNF schliesst jede Haftung ausdrücklich aus. Auf Fördergesuche für Forschung in Gebieten mit einem erheblichen Sicherheitsrisiko tritt er nicht ein, was bisher nur selten vorgekommen sei.

Die Sicherheitsvorkehrungen starten jedoch vor dem Reiseantritt und sind beim Swiss TPH auf einer Checkliste festgehalten. Auslandreisende absolvieren einen Online-Sicherheitskurs der Uno. Wer in risikoreichen Kontexten unterwegs ist, muss zudem einen zweitägigen Kurs bei Cinfo belegen. Wichtig seien auch die Registrierung jeder Reise bei der Reiseversicherung, bei der EDA-Plattform Itineris sowie ein regelmässiger Austausch (siehe Kasten).

«Eine gute Akzeptanz vor Ort trägt viel zum Schutz bei.»Alexander Knup

Knup betont, wie wichtig es ist, sich mit den lokalen Gegebenheiten vertraut zu machen und sich vor Ort gut zu vernetzen, um im Bedarfsfall auf lokale Unterstützung zählen zu können: «Eine gute Akzeptanz vor Ort trägt viel zum Schutz bei.» Für den Notfall gibt es eine 24-Stunden-Hotline. Festgelegt sind auch die Abläufe und Zuständigkeiten für den Krisenfall.

Forschung meidet Hochrisikogebiete

Auch für das Interdisziplinäre Zentrum für nachhaltige Entwicklung und Umwelt der Universität Bern (CDE) ist die Verankerung vor Ort zentral. Die Mehrzahl der rund 100 Projektreisen pro Jahr führen die Forschenden in Entwicklungsländer, zwei Drittel davon in Länder mit Konflikten. «In Hochrisikogebiete gehen wir aber nicht», erklärt Tanja Berger, Leiterin Strategie und Prozesse am CDE. Sicherheitskurse seien nicht vorgeschrieben, aber erwünscht. Im Vordergrund stehen laut Berger die persönliche Beratung sowie Debriefings mit der Projekt- oder Bereichsleitung. Zudem erhalten Forschungsreisende Guidelines zur Sicherheit im Feld. Vorgeschrieben ist die Registrierung beim EDA-Portal Itineris (siehe Kasten). Vor Ort bieten Partnerorganisationen Unterstützung. In komplexeren Krisensituationen werde auf das Wissen von Bundesbehörden zurückgegriffen: des Aussendepartements EDA oder der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). «Einen solchen Fall hatten wir glücklicherweise bisher aber nicht.»

Beim Friedensförderungs-Institut Swisspeace sind alle Abläufe, Rollen und Zuständigkeiten in den 2018 eingeführten Safety and Security Guidelines geregelt. Vorgeschrieben ist vor Reiseantritt ein Prozedere mit einer Risikobeurteilung sowie einer Checkliste, die zusammen mit der vorgesetzten Person abgearbeitet wird. «Je nach Risikobeurteilung wird das Briefing angepasst», sagt die Personalverantwortliche Maria Hoffstetter. Allenfalls wird in «Face-to-Face-Trainings» zum Beispiel das Verhalten an Checkpoints geübt.

Null Risiko gibt es nicht. Die Vorkehrungen der Forschungsinstitutionen zeigen, dass sie sich nicht nur für den Krisenfall wappnen, sondern ihn möglichst verhindern wollen: Denn eine sorgfältige Vorbereitung ist das Kernstück eines professionellen Sicherheitsmanagements.