Den Schweinen im Zentrum für hochansteckende Tierseuchen geht es gut: eben haben sie eine gefährliche Krankheit überstanden, für Sauberkeit und Spielzeug ist gesorgt.| Foto: Raffael Waldner

Den sechs Schweinen merkt man nichts mehr an. Die Tiere – Weibchen und kastrierte Männchen, alle ein halbes Jahr alt – umringen Katarzyna Sliz, stupsen mit der Schnauze ihre Hände. «Sie wissen genau, von wem sie ihr Futter bekommen», sagt die Versuchstierpflegerin schmunzelnd. Als sie etwas Granulat in den Koben schüttet, gibt’s ein Gerangel, während die Tiere das Futter im Stroh aufstöbern. Das ist ein gutes Zeichen: «Gesunde Schweine haben immer Appetit», sagt Sliz. An diesem Dienstagmorgen Ende April sind sie gefrässig und aufgeweckt. Noch vor acht Wochen waren sie schwer krank – infiziert mit dem Erreger der Afrikanischen Schweinepest.

Diese hochansteckende Krankheit befällt Haus- und Wildschweine und ist fast immer tödlich: Die infizierten Tiere sterben innert sieben bis zehn Tagen. Dass die Schweine hier im Hochsicherheitsstall des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) im bernischen Mittelhäusern, des Schweizer Zentrums für hochansteckende Tierseuchen, noch leben, liegt daran, dass sie eine abgeschwächte Form des Virus erhielten.

«Wir müssen vorbereitet sein und möglichst viel darüber lernen, wie das Virus wirkt und wie wir es stoppen können.»Nicolas Ruggli

«Dieser seltenen natürlichen Variante fehlen grosse Genabschnitte, die für die Virulenz wichtig sind», erklärt Nicolas Ruggli. Der Virologe und Tierarzt leitet die Tierhaltung und die Tierversuche am IVI. Das abgeschwächte Virus nutzen Ruggli und sein Team, um zu untersuchen, wie sich das Immunsystem dagegen wehren kann. Bei einer Infektion mit der weit häufigeren und tödlichen Variante des Virus ist das nicht möglich – die Schweine sterben, noch bevor sie eine an den Erreger angepasste Immunabwehr aufbauen konnten.

Die Afrikanische Schweinepest hat sich bereits über weite Teile Europas ausgebreitet, auch bis in unsere Nachbarländer Deutschland und Italien. Und das Virus ist äusserst widerstandsfähig: Es überlebt sogar in Fleischprodukten wie Salami über Monate hinweg – und bleibt dabei ansteckend. Für Menschen ist der Erreger ungefährlich, doch für die einheimischen Wild- und Hausschweine wäre er verheerend. «Darum müssen wir vorbereitet sein und möglichst viel darüber lernen, wie das Virus wirkt und wie wir es stoppen können», sagt Ruggli.

Versuchstierpflegerin Katarzyna Sliz kümmert sich im Institut für Virologie und Immunologie (IVI) um das Wohl der Kühe, Schweine und Hühner. | Fotos: Raffael Waldner

Die Ställe des Schweizer Zentrums für hochansteckende Tierseuchen im bernischen Mittelhäusern sind Hochsicherheitszonen.

Virologe und Tierarzt Nicolas Ruggli leitet am IVI die Tierhaltung und die Tierversuche.

Diese Schweine waren an einer milden Form der Afrikanischen Schweinepest erkrankt, sind nun aber wieder gesund.

Drei Schleusen müssen passiert werden, um in den Hochsicherheitstrakt des IVI zu gelangen. Im Bereich, wo mit auf den Menschen übertragbaren Viren geforscht wird, sind auch Schutzanzüge Pflicht.

Die sechs Versuchsschweine am IVI waren rund 20 Tage lang krank. Sie hatten zeitweise hohes Fieber und waren sehr schwach. Auch nachdem sie sich erholt haben, tragen sie den Erreger im Blut sowie spezialisierte Antikörper und T-Zellen, die ihr Immunsystem gebildet hat. Einmal im Monat nimmt Katarzyna Sliz den Tieren Blut ab.

Ein sauberer Saustall

Nicolas Ruggli und sein Team analysieren unter anderem die M-RNA aus den T-Zellen in den Blutproben. Denn deren Zusammensetzung zeigt, welche Proteine bei der Immunantwort gebildet und welche Signalübertragungswege aktiviert wurden. «Daraus können wir rückschliessen, welche Komponenten von einer Impfung angeregt werden müssten», erklärt Ruggli.

Neben der regelmässigen Blutentnahme unterscheidet sich das Leben der Schweine im IVI kaum von dem ihrer Artgenossen in Ställen ausserhalb des Hochsicherheitstraktes. Vielleicht ist es etwas spannender, denn hier haben die Tiere Spielzeug – zum Beispiel Kauschläuche und einen von der Decke hängenden Heukorb. Ein Unterschied zu einem normalen Schweinestall ist jedoch die Sauberkeit: Jeden Tag wird ausgemistet und neu eingestreut, zudem bekommen die Tiere jeden Morgen eine Dusche.

«Während eines Versuchs müssen im Stall immer möglichst die gleichen Bedingungen herrschen.»Katarzyna Sliz

Auch heute spritzt Sliz sie mit einem Wasserschlauch. Für die Forschung ist absolute Reinlichkeit ein Muss: «Während eines Versuchs müssen im Stall immer möglichst die gleichen Bedingungen herrschen», erklärt Sliz. «Das ist am einfachsten, wenn man diesen penibel sauber hält.» Für die Menschen erscheint der Unterschied zu einem normalen Stall wegen der Sicherheitsmassnahmen sehr gross. Um in den Hochsicherheitstrakt und zu den Schweinen zu kommen, müssen Sliz und Ruggli drei Schleusen passieren und dreimal die Kleider wechseln – zweimal mitsamt der Unterwäsche.

Das Prozedere, um wieder hinauszukommen, ist noch aufwändiger: In den Schleusen müssen alle, die bei infizierten Tieren waren, ihre Stallkleider ausziehen, drei Minuten lang duschen und sich dabei zweimal einseifen – Haare inklusive. Das wird automatisch kontrolliert: Wer nicht drei Minuten unter der Dusche bleibt und den Wasserknopf nicht mindestens dreimal drückt, kommt nicht heraus. Niemand darf einen Krankheitserreger hinausschleppen.

Den genesenen Versuchstieren im Hochsicherheitsbereich des Zentrums für Tierseuchen wird regelmässig Blut abgenommen, um ihr Immunsystem zu untersuchen. | Fotos: Raffael Waldner

Im IVI gibt es auch Gehege ausserhalb des Hochsicherheitsbereiches. Hier füttert Tierversuchspflegerin Katarzyna Sliz Schafe, denen regelmässig Blut für diagnostische Proben abgenommen wird.

Gute Laune in der Hochsicherheitszone für Zoonosen, also für den Menschen ansteckende Krankheiten.

Im Innenbereich des IVI lebt auch eine Schar Hühner.

Die Eier, die diese Hühner legen, werden gebraucht, um Versuche mit dem Vogelgrippevirus H5N1 durchzuführen.

Danach gibt’s neue Kleidung für das Areal mit der nächstniedrigeren Sicherheitsstufe. Dort gibt es keine infizierten Tiere mehr, sondern Labors, in denen mit den Erregern gearbeitet wird. Am Ausgang dieses Gebäudetrakts befindet sich die nächste Schleuse, wo das Duschprozedere erneut durchlaufen werden muss, um hinaus und zum Nachbargebäude mit den normalen Laboren und Büros zu kommen. Zudem müssen sich alle, die im Hochsicherheitstrakt waren, an eine Quarantäne halten: 72 Stunden lang dürfen sie nicht in die Nähe von Nutztieren gelangen.

Neben der Afrikanischen Schweinepest untersuchen die Forschenden am IVI weitere hochansteckende Tierseuchen wie die Maulund Klauenseuche, die Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen befällt. Immer wieder mussten ganze Herden getötet werden, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Auch Infektionen von Vögeln und Geflügel werden am IVI untersucht, etwa die weltweit verbreitete Newcastle-Krankheit oder die Vogelgrippe H5N1, die auch Menschen befallen kann.

In der Schweiz hat man zuletzt im Februar 2022 im Tierpark Bern zwei Graureiher und einen Pelikan tot aufgefunden – beide Träger des H5N1- Virus. Bestimmt wird der Vogelgrippe-Erreger jeweils zuerst am Nationalen Referenzzentrum für Geflügel- und Kaninchenkrankheiten in Zürich. Die Fachleute am IVI analysieren die Proben dann vertieft.

Den Erregern stets einen Schritt voraus

Eine Sicherheitsstufe tiefer und eine Schleuse weiter schaut Katarzyna Sliz noch bei einer Hühnerschar nach dem Rechten. Diese Tiere sind nicht infiziert, dennoch beobachtet die Tierpflegerin sie aufmerksam. Hätte etwa eines der Hühner struppige Federn oder würde den Kopf hängen lassen, wären das Krankheitsanzeichen.

Doch hier ist alles in Ordnung. Manche dösen friedlich, andere scharren im Stroh. Als Sliz frische Körner ausstreut, kommt die ganze Schar ins Fressen. Derweil sammelt Sliz die Eier ein. Die wenige Tage alten befruchteten Embryos darin benötigen die IVI-Forschenden, um im Labor etwa das Vogelgrippevirus für Forschung und Diagnostik zu vermehren.

«Irgendwann kann man eine Krankheit, die einen ganzen Organismus betrifft, nicht mehr auf einzelne Zellen oder ein Mausmodell herabbrechen.»Nicolas Ruggli

Neben Hühnern und Schweinen werden am IVI auch Rinder, Schafe, Ziegen, Kaninchen, Meerschweinchen und Mäuse gehalten und untersucht. Die Ställe der verschiedenen Sicherheitsstufen können rasch für die verschiedenen Tierarten angepasst werden. Zudem gibt es ein Aussengelände, in dem zurzeit einige Rinder, Schafe und Ziegen leben. Diese sind nicht Teil eines Versuchs, sondern ihnen wird nur ab und zu Blut entnommen, das für die Forschung und für verschiedene diagnostische Tests verwendet wird.

Ein grosser Vorteil der Forschung am IVI sei, sagt Tierversuchsleiter Ruggli, dass er und seine Mitarbeitenden dort Krankheiten nicht in einem Modell, sondern im realen Wirt untersuchen können. «Irgendwann kann man eine Krankheit, die einen ganzen Organismus betrifft, nicht mehr auf einzelne Zellen oder ein Mausmodell herabbrechen.» In ihren Versuchen könnten sie Erkenntnisse gewinnen, die sich direkt an tierischen Patienten einsetzen lassen.

Nächstes Jahr plant das IVI-Team, mit der Untersuchung des zurzeit in Afrika verbreiteten Wesselsbron-Virus zu starten, das Schafe, Ziegen, Nager und auch Menschen infizieren kann. «Da der Erreger hauptsächlich von Mücken übertragen wird, steigt mit der Klimaerwärmung die Wahrscheinlichkeit, dass dieser sich künftig auch bei uns ausbreiten kann», erklärt Ruggli. «In der Virologie müssen wir allen Eventualitäten einen Schritt voraus sein, um Bedrohungen auszumachen und darauf reagieren zu können.»

Know-how für Sars-Cov-2

Das habe sich auch bei der Covid-19-Pandemie ausgezahlt: Volker Thiel, Virologe am IVI und Mitglied der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce, hatte schon vor Ausbruch der Pandemie lange an Coronaviren bei Katzen und Schweinen geforscht, erzählt Ruggli. «So hatten wir das Know-how, um sofort mit der Erforschung von Sars-CoV-2 zu starten.»

Zurück zu den Schweinen aus dem Versuch mit der Afrikanischen Schweinepest: Sie werden nun noch ein paar Monate am IVI beobachtet, danach werden sie gemäss ethischen Richtlinien für Tierversuche eingeschläfert. Vielleicht haben sie geholfen, künftig Zehntausenden Artgenossen das Leben zu retten.