Bild: Gertrud Schwyzer (1886–1970), ohne Titel, Ärmel und schwarze Handschuhe, Wasserfarbe, Bleistift auf festes Papier, 21×31 cm, undatiert, Sammlung Herisau, o. Inv.-Nr., © Kantonsbibliothek Appenzell AR, KB-018299/S 1

Hätte Meret Oppenheim (1913 bis 1985) diese schwarzen Handschuhe gezeichnet, wären sich alle einig: Das ist Kunst. Entstanden ist das Bild jedoch in der Heil- und Pflegeanstalt in Krombach in Herisau, einer von 26 kantonalen psychiatrischen Einrichtungen, die bis 1890 in der Schweiz erbaut wurden. Die Malerin des Bildes, Gertrud Schwyzer, eine ausgebildete Künstlerin, war bis zu ihrem Tod 1970 interniert. In dieser Zeit schuf sie über 4000 Werke, die ausserhalb der Mauern der Institution unsichtbar blieben.

Das Schicksal ihrer Bilder ist exemplarisch für die Werke von unzähligen anderen Internierten. «Zwischen 1870 und 1930 hatte die künstlerische Beschäftigung in den psychiatrischen Einrichtungen in der Schweiz einen gewissen Stellenwert», sagt Katrin Luchsinger, Kunsthistorikerin an der Zürcher Hochschule der Künste. Über den Wert der Zeichnungen und Skulpturen entschieden die Psychiater. «Die waren aber nicht unbedingt kompetent für diese Beurteilung», sagt Luchsinger. Später wurden die Werke manchmal an Klinik-Bazaren verkauft, landeten auf dem Estrich oder im Abfall. «Diese komplexen Werke reflektieren die Entscheidung, sogenannte Geisteskranke in Anstalten ein- und damit von öffentlichen Debatten auszuschliessen.»

Mit der Ausstellung «Extraordinaire! Unbekannte Werke aus psychiatrischen Einrichtungen in der Schweiz um 1900» werden 180 Werke von 54 Psychiatriepatientinnen und -patienten aus zehn Kliniken erstmals öffentlich zugänglich. Entstanden ist sie aus zwei SNF-Projekten. Forschende sichteten jede fünfte Akte in 22 der 26 kantonalen Kliniken der Schweiz. Sie untersuchten 19 270 Akten und erstellten eine Bilddatenbank, die am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft einzusehen ist.

«Wir möchten diese Künstlerinnen und Künstler zu Wort kommen lassen und hoffen, dass eine Debatte entsteht», sagt Luchsinger. Oder anders gesagt: Die Diskussion soll weniger darüber entscheiden, ob die Werke Kunst sind oder nicht, sondern unseren gewohnten musealen Kunstbegriff in Frage stellen.

Ausstellungen in Thun und Linz http://www.kulturgueter.ch/