Die Natur weiss, wie es geht
In der Natur gibt es unzählige, genau auf einen Zweck abgestimmte Materialien. Die Wissenschaft lässt sich davon inspirieren, etwa um antibakterielle Oberflächen oder ultrahaltbare Farben zu entwickeln.
ZELTE
Faltbar wie ein Ohrwurmflügel
Der Ohrwurm kann seine Flügel mit einem einzigen Stoss auf eine zehnmal so grosse Fläche entfalten, und sie bleiben ohne Muskelkraft in Position. André Studart von der ETH Zürich konnte zeigen, dass diese Eigenschaften einer komplexen Anordnung von verschieden starken und elastischen Gelenken zu verdanken ist. Seine Forschungsgruppe hat nun ein künstliches Pendant entwickelt, das Anwendung in faltbarer Elektronik, bei Sonnensegeln für Raumfahrzeuge oder auch bei Campingzelten finden könnte.
TINTE
Satte Farben wie eine Papageienfeder
Die Farbe einer Tinte wird durch die chemische Struktur der Pigmente festgelegt. Es gibt jedoch auch sogenannte Strukturfarben, die durch Oberflächeneigenschaften von Materialien im Nanometermassstab entstehen: In der Natur sind diese meistens irisierend, und der Farbeindruck ändert sich je nach Betrachtungswinkel. Nicht so bei bestimmten Libellenarten oder beim blauen Gefieder einiger Papageienarten. Das Projekt von Frank Scheffold beim Nationalen Forschungsschwerpunkt «Bioinspirierte Materialien» zielt auf die Entwicklung einer neuen Generation von Druckertinte, die haltbarer ist als konventionelle Pigmentfarben.
KREBSABWEHR
Wie Immunzellen mit DNA-Netz gegen Metastasen
Die DNA-Doppelhelix birgt die Erbinformation. Sie ist aber auch ein vielseitiges Material, das sich selbst zu komplexen Strukturen zusammensetzt. Spezialisierte Immunzellen etwa – neutrophile Granulozyten – stossen eigene DNA aus, die ein Netz bildet, das Bakterien und pathogene Hefezellen abtötet. Curzio Rüegg von der Universität Freiburg möchte diese Taktik gegen Krebs-Metastasen anwenden. Das Netz soll sich gegen schlafende Tumorzellen richten, die konventionellen Behandlungen oft entkommen.
ANTIBIOTIKA
Antibakteriell wie australische Zikadenflügel
Vor einigen Jahren wurde der erstaunliche Abwehrmechanismus einer australischen Zikade entdeckt: Ihre Flügel sind mit säulenartigen Nanostrukturen bedeckt, die Bakterienmembranen aufreissen. Qun Ren von der Empa ahmt diese Oberflächen mit nanostrukturierten Polymeren nach. Sie hat die Grösse und Dichte der Nanosäulen optimiert, um damit antibakterielle Oberflächen zu entwickeln. Damit können sogar Keime bewältigt werden, die gegen Zikadenflügel gewappnet sind.
PHOTOVOLTAIK
Lichtempfänglich wie ein Nachtfalterauge
Die Augen von Nachtfaltern haben eine nanostrukturierte, antireflektive Oberfläche, die noch den geringsten Lichtschimmer durchdringen lässt. Sie könnte Vorbild für Solarmodule sein: Die transparente Schutzschicht reflektiert nämlich einen Teil der Sonnenstrahlung und vermindert folglich die Effizienz der Anlagen. Yves Leterrier von der EPFL untersucht das Potenzial von Verbundpolymeren für die Verkleidung von Solarmodulen mit leicht höherer Effizienz.
NANOREAKTOREN
Chemische Schalter wie bei leuchtenden Algen
Dinoflagellaten sind Meeresalgen, die leuchten können. Als Reaktion auf mechanische Reize, etwa durch einen Räuber, eine Welle oder die Wasserturbulenzen eines Schwimmers, wird ihre Biolumineszenz in Gang gesetzt. Der Druck öffnet Kanäle in kleine Abteilungen innerhalb der Zellen, in denen Enzyme die Lichtreaktion katalysieren. Einströmende Protonen lösen diese Reaktion aus. Nico Bruns möchte diesen Vorgang mit biochemischen Nanoreaktoren nachahmen, die sich durch mechanische Kräfte steuern lassen. Die Arbeit wurde am Institut Adolphe Merkle in Freiburg begonnen.
Illustrationen: Anja Giger