Wo Menschen in der Region um Interlaken und Jungfraujoch Fotos von der Natur machen, je tiefer pink, desto häufiger tun sie dies. | Bild: Nathan Külling

Da kneift eine etwas seelenlose Lady in Pink misstrauisch die Augen zusammen, die Lippen zu einem schrägen Kussmund gepresst. Perfekte Pose für den nächsten Selfie-Trend: skeptisch-sexy-unnahbar. Klick! Hier ist mir die Imagination aber etwas davongerauscht: Das Bild zeigt eigentlich 2500 Quadratkilometer der Region um Interlaken; die zusammengekniffenen Augen sind Thuner- und Brienzersee, der Kussmund ein Areal auf dem Jungfraujoch, wo über eine halbe Million Besuchende pro Jahr den Ausblick auf den Aletschgletscher erstürmen. Nathan Külling von der Universität Genf hat die Aufnahme für seine Forschung kreiert und beim jährlichen Lausanner Wettbewerb für wissenschaftliche Kunst «Figure 1A» eingereicht – und unbeabsichtigt einen Kernpunkt unseres Fokus zum Tourismus getroffen.

«Man erkennt, dass der Haupttreiber für das Fotografieren nicht nur die attraktivsten Stellen in der Natur sind, sondern die Nähe zu Strassen, Siedlungen und Transportmitteln.»Nathan Külling

Der Doktorand in Umweltwissenschaften interessiert sich für die Eignung von Landschaften als Erholungsort. Sein Werk zeigt, wo Menschen Fotos von der Natur machen – Selfies für einmal ausgeschlossen –, je tiefer pink, desto häufiger tun sie dies. Külling hat für die Modellierung geolokalisierte Daten der Fotoplattformen Flickr und I-Naturalist verwendet sowie eine KI zu Hilfe genommen. «Es ist ein experimenteller Ansatz. Man erkennt, dass der Haupttreiber für das Fotografieren nicht nur die attraktivsten Stellen in der Natur sind, etwa die Berggipfel, sondern die Nähe zu Strassen, Siedlungen und Transportmitteln.»

Die knallige Farbe habe er gewählt, weil beim Wettbewerb «Figure 1A» oft Mikroskopaufnahmen gewinnen würden. In solchen wiederum würde Pink häufig dominieren. Der Doktorand wollte damit für kurze Verwirrung und ein darauffolgendes Aha-Erlebnis sorgen. Neben dieser Spielerei hat er eine Mission: «Das Bild ist ein Aufruf dazu, Sorge zur Umwelt zu tragen. Der Aletschgletscher wird gemäss Schätzungen im Jahr 2100 verschwunden sein.» Versteckt ist zudem ein Paradox: «Die vielen Leute kommen mit dem Flugzeug, dem Auto, dem Zug in die Schweiz. Sie reisen weit und produzieren viel CO2, um in die schöne Natur zu gelangen.» Kein Wunder, betrachtet die pinke Lady das Geschehen mit Vorbehalt.