Judith Hochstrasser Editorial

Schattenboxen gegen die Schnecke? Spiel und Freude soll in allen Schulen Platz haben. | Bild: Mélék Manaï

Eine Schülerin beobachtet gebannt die Bewegungen eines kleinen weissen und blinkenden Wägelchens. Eben hat sie gelernt, einen Miniroboter zu programmieren. Ein Schüler kriecht auf Augenhöhe mit Insekten durchs Gras. Er weiss, wie Käfer und Co. überleben. Solche Szenarien sind in Schulen Realität und entsprechen gegensätzlichen Trends: der möglichst frühen Anwendung neuster Technologien und der möglichst grossen Nähe zur Natur.

Der begeisterte Glaube an den Fortschritt sowie dessen totale Zurückweisung sind beides typische Reaktionen. Sie wirken selbst unter den Programmiererinnen und Programmierern im Silicon Valley. Während die einen ihren Nachwuchs in Schulen schicken, wo das digitale Trimmen selbstverständlich ist, schicken andere ihre Kinder lieber in den bildschirmfreien Unterricht. Die New York Times diagnostizierte bereits eine neue digitale Kluft: Privilegiert sei in Wahrheit nicht, wer stets den schnellsten Internetzugang oder die neusten Geräte habe, sondern wer eine Privatschule und eine Nanny bezahlen, seinen Kids also zwischenmenschliche Interaktionen und den Luxus des bewussten Verzichts bieten könne. Es seien heute die Unterschichten, die ihre Kinder von Handy, Tablet und Co. hüten liessen.

Das Tech-Mekka mag der Zeit oft voraus sein, doch für die These der New York Times finden sich auch bei uns Belege: Viele Eltern, die finanzielle Ressourcen und Raum genug haben, schicken ihren Nachwuchs lieber in Waldkindergärten oder Rudolf-Steiner-Schulen. Beide oft weitgehend bildschirmfrei. Ein anderer alternativer Trend dagegen profitiert von digitalen Ressourcen: So nutzen etwa Homeschooling-Projekte bewusst die Informationsmöglichkeiten im Netz. Derweil rüsten die staatlichen Schulen die Klassenzimmer mit Tablets auf.

Also was jetzt? Alle auf die Bäume? Oder ein Hoch auf die digitale Revolution? Private Schulen können Angebote für Eltern mit extremen Haltungen schaffen, aber staatliche müssen die Herausforderung der Vielfalt annehmen und Schulen für alle bleiben. Kindergartenkinder sollen wöchentlich in den Wald gehen und trotzdem spielerisch lernen können, wie ein Bee-Bot programmiert wird. So offen, so komplex.