In Oberhausen (D) wird auf herkömmliche Art sogenannter grauer Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Daneben entstehen aber noch andere Produkte. | Bild: Rupert Oberhäuser / Keystone

Wasserstoff als Energiequelle der Zukunft: Diese Idee schien lange Zeit Science-Fiction- Romanen und der Gasforschung in der ehemaligen Sowjetunion vorbehalten. Romanautor Jules Verne und der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin stellten sich vor, dass sich der Energieträger aus der Spaltung von Wasser unerschöpflich gewinnen liesse. Ukrainische und russische Forscher glaubten, im Untergrund der UdSSR riesige Reserven davon finden zu können. Und bereits als klimaneutrale Energiequellen noch kein Thema waren, wurde Wasserstoff, der aus fossilen Energieträgern erzeugt worden war, industriell in immer grösseren Mengen eingesetzt.

Heute ist Wasserstoff in aller Munde: «Man hat erkannt, dass sich das Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen bis 2050, das immer mehr Länder anstreben, kaum erreichen lässt, ohne dass Wasserstoff eine Schlüsselrolle spielt», erklärt Christian Bauer, Forscher am Labor für Energiesystem-Analysen des PSI. Da Wasserstoff keinen Kohlenstoff enthält, scheint er prädestiniert für eine konsequente Klimapolitik, die CO²-Ausstoss ganz vermeidet. «Wegen der hohen Erwartungen gibt es immer mehr Investitionen in diesen Energieträger, insbesondere in der Stahlindustrie, in der chemischen Industrie sowie im Luft- und Seeverkehr. » Wasserstoff ist vielversprechend: Er enthält bei gleicher Masse zwei- bis dreimal so viel Energie wie Erdgas und Erdöl, und als Abfallprodukt entsteht nur Wasser. Es gibt aber auch Nachteile: Sowohl die saubere Produktion als auch Lagerung und Transport sind eine Herausforderung.

«Bevor ich vor drei oder vier Jahren einen ersten Artikel über natürliche Reserven von Wasserstoff gelesen habe, wusste ich nicht, dass es das gibt.»Christian Bauer

Der einfachste Ansatz scheint die Wasserstoffproduktion aus fossilen Energieträgern, weil er auf einer bereits eingespielten Produktionskette aufbaut. Nach der Umwandlung muss Kohlendioxid abgeschieden und gespeichert werden, um den Wasserstoff zu säubern. Der so in der Bilanz emissionsfrei erzeugte Wasserstoff wird deswegen als blau bezeichnet, Wasserstoff aus fossilen Quellen, der ohne Abtrennung von CO² produziert wird, dagegen als grau. Ist denn ein Wechsel von grauem zu blauem Wasserstoff grundsätzlich möglich, zuverlässig und wirtschaftlich tragbar? «Das kommt darauf an. Ich weiss, die Medien mögen diese Antwort nicht, aber in diesem Fall ist sie wirklich treffend», sagt Bauer.

Der Forscher veröffentlichte 2022 zusammen mit europäischen und nordamerikanischen Forschenden einen Überblick zu dieser Frage, wobei sie zum Schluss kamen, dass eine klimaneutrale Produktion zwar möglich, aber noch nicht umsetzbar sei. Zuerst müsste das Entweichen von Erdgas, das zur Gewinnung von Wasserstoff genutzt wird, drastisch reduziert werden. In Ländern wie Norwegen und den Niederlanden wurden die Verluste auf unter 0,5 Prozent gesenkt, in Exportländern wie Russland und Libyen liegen sie jedoch immer noch bei über 2 Prozent. Vor allem aber müssen Methoden entwickelt werden, um das gesamte CO², das bei dieser Produktion freigesetzt wird, abzuscheiden und zu speichern. Bauer sagt dazu: «Das ist technisch machbar, wobei die Energieeffizienz leicht sinkt und die Kosten steigen. Noch wurde dies allerdings nicht in grossem Massstab gezeigt.»

Technischer Sprung bei Elektrolyse

Der auf den ersten Blick umweltfreundlichste Weg ist dagegen die Gewinnung von sogenanntem grünem Wasserstoff, der durch Wasserspaltung mit Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird. Ist das realistisch? «Die Elektrolyse von Wasser ist seit zwei Jahrhunderten bekannt, ihre Durchführung in grossem Massstab stand aber bis vor Kurzem vor unüberwindbaren Hürden. Jüngst bahnte sich bei der Produktion jedoch ein technologischer Sprung an, der diesen Weg gangbar machen könnte», glaubt Pasquale Cavaliere, Forscher für Innovationstechnik an der italienischen Universität Salento.

Ein grosser Schritt in die richtige Richtung war die Ablösung der klassischen Elektrolyse in alkalischer Lösung durch die Elektrolyse mit einer Polymerelektrolytmembran, die in den 50er-Jahren vom amerikanischen Raumfahrtprogramm entwickelt wurde. «Dieses System braucht weniger Energie und hat eine längere Lebensdauer, ermöglicht also eine Kostensenkung. Aber für die Vollendung dieses Technologiesprungs braucht es Investitionen, die eine enge Zusammenarbeit von Industrie, Forschung und Politik erfordern», ergänzt der Forscher.

Unter den Erdölreserven

Im Moment ist grüner Wasserstoff immer noch zwei- bis dreimal teurer als blauer, der wiederum zwei- bis dreimal teurer ist als grauer. Ein Vorteil könnte aber sein, dass erneuerbare Energie aus fluktuierenden Quellen – Sonne oder Wasserkraft – durch die Umwandlung in Wasserstoff in eine speicherbare Form gebracht werden könnte, was diese Formen der Stromerzeugung flexibler macht. Dabei wird intensiv in verschiedene Richtungen geforscht. So stellte beispielsweise ein Team der EPFL 2023 ein System vor, das mithilfe von Sonnenlicht den in der Umgebungsluft vorhandenen Wasserdampf in Wasserstoff umwandelt.

Eine überraschende Alternative könnte jedoch sogenannter weisser Wasserstoff sein, der natürlicherweise im Untergrund vorkommt. «Bevor ich vor drei oder vier Jahren einen ersten Artikel über natürliche Reserven gelesen habe, wusste ich nicht, dass es das gibt», gesteht Christian Bauer. «Soweit wir wissen, gibt es aber nur sehr geringe Mengen davon», gibt Pasquale Cavaliere zu bedenken.

«Wir sind von der Welt der Forschung in die Welt der Industrie gelangt, wo es eine spürbare Aufbruchstimmung gibt.»Eric C. Gaucher

«Die Pioniere in diesem Bereich wurden oft für verrückt gehalten. Ich kenne jemanden, der so entmutigt war, dass er ganz aufgehört hat und Yogalehrer wurde», erzählt Geochemiker Eric C. Gaucher, der seinerseits im Mai 2023 seine Stelle an der Universität Bern aufgab und sich ganz seiner Firma Lavoisier H2 Geoconsult zuwandte. Diese fokussiert auf die Erforschung, Exploration und Beratung im Bereich des natürlichen Wasserstoffs.

Bei seiner ersten Begegnung mit weissem Wasserstoff arbeitete Gaucher beim Unternehmen Total Energies. «Wir untersuchten, welche Rolle das Mantelgestein unter den Becken mit Erdölreserven bei den chemischen Vorgängen spielt. Man wusste, dass beim Kontakt mit Wasser im Rahmen der sogenannten Serpentinisierung Wasserstoff entsteht – und man fragte sich, wo dieser Wasserstoff blieb», erzählt er. «Wir führten einen Feldversuch in den Pyrenäen durch, auf einer Verwerfung, die eine wichtige tektonische Grenze ist – und Bingo! Schon am ersten Tag fand der Gasdetektor Wasserstoff.»

Auf Exploration im Wallis

Der Geochemiker will verstehen, wie während dreier verschiedener tektonischer Vorgänge in der Erdkruste Wasserstoff entsteht: Im ersten bricht die Kruste auf, es bildet sich ein Ozean, und der Erdmantel trifft auf Meerwasser. Während des zweiten Vorgangs schiebt sich eine tektonische Platte unter eine andere, und es finden Reaktionen statt, bei denen Wasser entsteht, das wiederum mit dem Mantelmaterial zwischen den Platten reagiert. Im dritten Fall schliesslich werden Teile des Mantels, etwa bei der Entstehung einer Bergkette, in die Höhe geschoben und damit für Regenwasser zugänglich. Bei all diesen Vorgängen könnte immer noch laufend neuer Wasserstoff entstehen.

«Noch weiss man erst wenig über die Migration von Wasserstoff im Untergrund und die Reserven. Und die Untersuchungsmethoden stecken noch in den Kinderschuhen», räumt Gaucher ein. «Alles, was wir tun können, ist also zu bohren, zumindest dort, wo es die Bergbaugesetze erlauben. Nun sind wir von der Welt der Forschung in die Welt der Industrie gelangt, wo es eine spürbare Aufbruchstimmung gibt.» Solche Bohrungen werden in den USA bereits durchgeführt, sind in Australien geplant und werden in Brasilien in Betracht gezogen.

«Es gibt noch keinen Grund zur Entmutigung..»Eric C. Gaucher

Und in der Schweiz? «Es gibt Hinweise darauf, dass Wasserstoff in den tektonischen Verwerfungen der Alpen zirkuliert. Wir müssen nun herausfinden, wo er sich gesammelt hat», antwortet Gaucher. Im Val d’Hérens im Wallis habe bereits eine Prospektion stattgefunden, «aber wir haben bisher wohl nur Spuren eines fossilen Systems gefunden, das in der Vergangenheit Wasserstoff produziert hat, nicht ein aktives System wie in den Pyrenäen.»

Das ist vielleicht enttäuschend. Aber Gaucher sieht das anders: «Im Erdölgeschäft liegt die Erfolgsquote nach 200 Jahren Technologie und Milliarden investierter Dollars heute bei einem von zehn Bohrlöchern. Es gibt also noch keinen Grund zur Entmutigung.» Wenn man bedenkt, dass bis heute erst weniger als 0,7 Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs grün oder blau sind und ein Quantensprung bei dessen Herstellung selbst in optimistischen Szenarien zwei Jahrzehnte dauern dürfte, ergibt die Suche nach dem natürlichen Wasserstoff unter unseren Füssen durchaus Sinn.