Trotz mehr Flexibilität: Abendlicher Stau auf der A 9 Richtung Lausanne. | Bild: Dominic Favre / Keystone

Der Siegeszug des Homeoffice hat Hoffnungen geweckt – in Bezug auf ökologische Fragen, die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben und Kosteneinsparungen. Tatsache ist: Bei uns ist das Arbeiten von zu Hause aus beliebt. Laut Bundesamt für Statistik wuchs der Anteil der Erwerbstätigen im Homeoffice – voll- oder teilzeitlich – in den letzten zwanzig Jahren stetig bis auf 25 Prozent an, dies noch vor Covid-19. Im Jahr des Pandemiebeginns 2020 stieg der Anteil dann sprunghaft auf fast 35 Prozent.

Ist die Entwicklung hin zu Homeoffice nun tatsächlich mit einem Rückgang der CO²- Emissionen gekoppelt, die in der Schweiz zu einem Drittel aus dem Verkehr stammen? Nicht wirklich, wie die Forschungsgruppe von Axel Franzen an der Universität Bern zeigt. Sie hat für eine Studie Daten aus der Zeit vor der Pandemie ausgewertet.

«Unsere Hypothese ist, dass sich die Zeiten beim Pendeln trotz immer flexiblerer Arbeitszeiten am Rhythmus des familiären Umfelds orientieren.»Fabienne Wöhner

Das erste Ergebnis ist nicht überraschend: Homeoffice führt einerseits zu einem Rückgang des Pendelverkehrs. Ja, denn Personen, die teilweise von zu Hause aus arbeiten, reisen berufsbedingt durchschnittlich um 21 Prozent weniger. Andererseits – und das ist die interessanteste Beobachtung – ist die Gesamtzahl der zurückgelegten Kilometer für alle Fahrzeug- und Mobilitätsarten in der Personengruppe, die Homeoffice praktiziert, nicht gesunken. Das scheinbare Paradoxon lässt sich durch den berüchtigten Rebound-Effekt erklären. «Diese Personen legen mehr Fahrten aus privaten Gründen zurück, etwa zum Einkaufen oder für Hobbys», erklärt Fabienne Wöhner, Leiterin der Studie.

Die Untersuchung befasste sich zudem mit Verkehrsstaus. «Denn Staus verursachen Umweltverschmutzung, Unfälle und Zeitverlust, haben also negative Folgen sowohl für die Umwelt als auch für die Gesundheit und die Wirtschaft », erklärt die Wissenschaftlerin. Während das häufigere Arbeiten zu Hause die Situation im abendlichen Pendelverkehr wohl leicht entschärft, haben sich die Staus am Morgen tendenziell verschlimmert. «Unsere Hypothese ist, dass sich die Zeiten beim Pendeln trotz immer flexiblerer Arbeitszeiten am Rhythmus des familiären Umfelds orientieren », erklärt Wöhner.

Andere Tageszeiten beliebt

Vor Kurzem sind nun auch neue Daten zur Mobilität während der Pandemie erschienen. Wöhner konnte diese zwar noch nicht im Detail analysieren, erkennt aber doch gewisse Trends. «Logischerweise werden die Ergebnisse durch den Teil-Lockdown beeinflusst, da in dieser Zeit nicht nur ein grösserer Teil der Bevölkerung im Homeoffice arbeitete, sondern auch privat weniger gereist wurde.» Der Rebound-Effekt war in diesen Monaten deshalb minimal und hat den Rückgang beim Pendelverkehr nicht zunichte gemacht.

Auch das Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich beschäftigt sich intensiv mit Gewohnheiten bei der Mobilität. Mehrere Studien unter der Leitung von Kay Axhausen befassten sich mit den Auswirkungen von Covid. Eine davon verglich die von über 1000 Personen zurückgelegten Strecken im Zeitraum von acht Wochen vor Beginn der Pandemie bis sechs Monate danach. Sie beziffert den Rückgang im ersten Teil-Lockdown auf 60 Prozent.

«Homeoffice wird Bestand haben. Das hat eindeutige Auswirkungen auf die Mobilität.»Kay Axhausen

«Homeoffice wird Bestand haben », erwartet Axhausen. «Das hat eindeutige Auswirkungen auf die Mobilität: Die Betroffenen bewegen sich anders und zu anderen Tageszeiten.» Anstatt von einem Rebound- Effekt spricht der Forscher lieber von einer «Neuorganisation der Mobilität». Eine Entwicklung, die seiner Meinung nach in der Verkehrspolitik unbedingt berücksichtigt werden sollte.

Dass die neuen Erkenntnisse wertvolle Informationen für Entscheidungstragende liefern können, ist man auch an der Universität Bern überzeugt: «Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt und mehr Homeoffice allein weder den Verkehr noch Staus verringern, sondern durch Massnahmen wie Roadpricing ergänzt werden müssen», findet Fabienne Wöhner.