In der grün leuchtenden Kammer sind ein paar Hundert Atome eingepfercht und miteinander verschränkt. So können ihre Schwingungen genauer gemessen werden. | Foto: Simone Colombo

Die Quantenwelt fordert den gesunden Menschenverstand heraus. So können sich zwei Teilchen verschränken und dadurch ihre Quantenzustände gleichzeitig ändern, unabhängig davon, wie weit sie voneinander entfernt sind. Ihre Beziehung ist so innig, dass sie die Grenzen der Lichtgeschwindigkeit zu überwinden scheint. Dieses verblüffende Phänomen könnte die Zeitmessung verbessern: Simone Colombo, Postdoc aus der Schweiz am Massachusetts Institute of Technology MIT, nutzt es, um die genauste Atomuhr der Welt zu konstruieren.

Die Atomuhr wurde 1967 in Paris an der 13. Generalkonferenz für Mass und Gewicht als offizielles Messinstrument eingeführt. Erstmals wurde damit die Sekunde nicht mehr als Teil des Jahres festgelegt, sondern gestützt auf eine Eigenschaft von Materie.

«Es ist, als würde man Hunderte Mal pro Sekunde eine Münze werfen.»Simone Colombo

Seitdem dauert die offizielle Sekunde 9 192 631 770 Schwingungen des Cäsiumatoms – wobei eine Schwingung dem Wechsel des Zustands eines bestimmten Elektrons zwischen up und down entspricht. Das ist um Grössenordnungen genauer als astronomische Messungen.

Erst in den 2000er-Jahren gab es nennenswerte Fortschritte. Die neusten Atomuhren benutzen etwa Ytterbiumatome, die 50 000 Mal schneller als Cäsium schwingen und daher viel genauer sind. Da ihre Schwingungsfrequenz mit einem Laser gemessen werden kann, werden sie auch optische Uhren genannt.

Unsicherheit praktisch eliminiert

Atomuhren messen einen Durchschnittswert: In ihrem Herzen befinden sich einige Dutzend bis einige Hundert Atome, die aber nicht genau synchron schwingen: Einige Atome befinden sich im Up-, andere im Down-Zustand. «Es ist, als würde man Hunderte Mal pro Sekunde eine Münze werfen», erklärt Colombo. «Durch die vielen Wiederholungen liegt die Häufigkeit der Zustände praktisch genau bei 50 Prozent, es bleibt aber eine Unsicherheit, weil es sich um einen Durchschnittswert handelt.»

Ytterbiumatome werden künstlich miteinander verschränkt und schwingen nun wie Hunderte von synchronisierten Pendeluhren.

Hier kommt die Quantenverschränkung ins Spiel. In der von Colombo und seinem Team entworfenen Atomuhr werden Ytterbiumatome künstlich miteinander verschränkt, durch ein sogenanntes Spin Squeezing. Sie schwingen nun wie Hunderte von synchronisierten Pendeluhren. Die Verschränkung ist zwar noch nicht perfekt, aber die Unsicherheit ist praktisch eliminiert. Sie ermöglicht eine beeindruckende Steigerung der Genauigkeit: Bis sie eine Sekunde abweicht, dauert es bei der Cäsiumuhr 150 Millionen Jahre.

Bei der optischen Uhr sind es 15 Milliarden Jahre – mehr als das Alter des Universums. Mit Quantenverschränkung könnte dies im Prinzip auf 15 Billionen Jahre erhöht werden – der aktuelle Prototyp der Gruppe von Colombo erreicht immerhin schon 150 Milliarden Jahre.

Jenseits der Zeitmessung

Solche Verbesserungen mögen lächerlich klingen, eröffnen aber zahlreiche neue Möglichkeiten. In der Astrophysik könnten Gravitationswellen leichter nachgewiesen und damit mehr Phänomene in unserem Universum aufgespürt werden. Bei der satellitengestützten Positionsbestimmung vom Typ GPS könnte eine Genauigkeit von Millimetern erreicht werden.

Sogar eine Kartierung des Erdinnern wäre denkbar, weil winzige, lokale Abweichungen der Schwerkraft aufgrund der Relativitätstheorie durch nun messbare Unterschiede des Zeitflusses bestimmbar wären. Die Quantenverschränkung sei allerdings instabil und technisch komplex, meint Jun Ye, Physiker am National Institute of Standards and Technology, an der Institution, die in den USA die Masseinheiten hütet.

«Die Quantenverschränkung ist instabil und technisch komplex.»Jun Ye

Laut dem nicht am Projekt beteiligten Experten für optische Uhren zeigt Colombos Arbeit aber die prinzipielle Machbarkeit des Ansatzes: «Wir halten uns aktiv über diese Entwicklungen auf dem Laufenden, und wir sind gerade dabei, die Verschränkung in einer optischen Uhr der neusten Generation umzusetzen.»

Ab 2030 könnte das Internationale Büro für Masse und Gewichte auf Cäsium verzichten und eine optische Uhr als Referenz für die offizielle Sekunde einführen – Ytterbium, Strontium, Quecksilber und Aluminium konkurrieren um die Ehre. Es sei denn, die Messung mit verschränkten Atomen entwickelt sich schnell genug, um ihnen die Show zu stehlen.