Es braucht ein wachsames Auge, um Manipulationen von wissenschaftlichen Daten zu erkennen. | Foto: Colin Lloyd/Unsplash

Im Juli 2015 teilte die ETH Zürich mit, dass einer ihrer Professoren gegen die Richtlinien zur Forschungsintegrität verstossen und manipulierte Bilder publiziert habe. Die Nachricht sorgte nicht zuletzt für Schlagzeilen, weil der betreffende Forscher – der Pflanzenbiologe Olivier Voinnet – so etwas wie ein aufsteigender Stern am Wissenschaftshimmel war. Obwohl die ETH zum Schluss kam, dass die Bildmanipulationen keinen Einfluss auf die Studienergebnisse hatten, verwarnte sie Voinnet und stellte ihn unter Aufsicht.

Im Fokus der Kontroverse stand Voinnet, allgemein wurde aber die Frage aufgeworfen, wie gefälschte Forschungsergebnisse aufgedeckt werden sollen. Im erwähnten Fall schlugen weder Hochschule, Verlag noch Geldgeber Alarm, sondern Forschende an der ETH und anderen Institutionen, die mit anonymen E-Mails auf Kommentare im Onlineforum Pubpeer hingewiesen worden waren.

«Die Plattform Pubpeer ist ein notwendiges Übel, dass allerdings immer noch unzureichend verwaltet und moderiert wird.»Olivier Voinnet

Auf dieser Website für Forschende können Kommentare zu problematischen Publikationen abgegeben werden. Weil viele Hinweise anonym eingehen, wird dem Forum zuweilen vorgeworfen, dass es übereifrigen oder sogar rachsüchtigen Personen eine Plattform biete, auf der sie unbescholtene Forschende verunglimpfen können. Voinnet selbst bezeichnet die Website als «notwendiges Übel», das ihm und seinen Kollegen zwar geholfen habe, die wissenschaftlichen Daten zu korrigieren, das er aber für «immer noch unzureichend verwaltet und moderiert» hält. Andere hingegen sehen die Website als wichtiges Instrument für Whistleblower, die als eine Art unabhängige Wissenschaftspolizei die Forschung auf den Pfad der Tugend zurückführen will.

Ein leidenschaftlicher Verfechter einer solchen Prüfung ist der Chemiker Edwin Constable von der Universität Basel. Kürzlich leitete er eine Expertengruppe mit dem Auftrag, den von den Akademien der Wissenschaften Schweiz herausgegebenen Kodex der wissenschaftlichen Integrität zu überarbeiten. Constable ist sich bewusst, dass bei weitem nicht alle Forschenden seine Meinung teilen. Er räumt auch ein, dass sich Behauptungen über Fehlverhalten manchmal als falsch herausstellen. Doch in «sehr vielen» Fällen haben die Whistleblowerinnen Recht erhalten, und viele Institutionen wären sonst vielleicht weniger für das Thema Forschungsintegrität sensibilisiert. «Insgesamt profitiert die Wissenschaft von uneingeschränkter Beaufsichtigung durch die Öffentlichkeit», ist er überzeugt.

«Insgesamt profitiert die Wissenschaft von uneingeschränkter Beaufsichtigung durch die Öffentlichkeit.»Edwin Constable

Eine weitere bekannte, der Forschungsintegrität verschriebene Website ist Retraction Watch aus den USA. Die Journalisten Ivan Oransky und Adam Marcus berichten dort täglich über Artikel, die von Fachzeitschriften zurückgezogen werden. Häufig tun diese wenig, um den Rückzug zu erklären. Für Oransky bedeutet volle Transparenz, dass nicht nur Fachleute über problematische Arbeiten informiert werden, sondern auch die Öffentlichkeit, damit diese Druck ausüben kann. «Insider allein können kaum etwas verändern», ist er überzeugt.

Vorgehen wie eine Detektivin

Oransky und Marcus führen eine Datenbank mit zurückgezogenen Artikeln, die Ende 2021 insgesamt 31 000 Einträge enthielt. Sie suchen in der Regel nicht aktiv nach Fehltritten, sondern überlassen dies den wissenschaftlichen «Detektivinnen».

Der britische Anästhesist John Carlisle zum Beispiel hat sich einen Namen gemacht, indem er mit statistischen Analysen verdächtige Daten aus klinischen Studien identifiziert. Debora Weber-Wulff, Professorin für Medien und Informatik an der HTW Berlin, sucht in wissenschaftlichen Arbeiten nach Plagiaten.

Die niederländische Biologin Elisabeth Bik wiederum spürt verdächtige Bilder in wissenschaftlichen Arbeiten auf. Bik arbeitete 15 Jahre an der Stanford University in Kalifornien mit Mikroorganismen und durchforstet seit 2013 Artikel nach Interessenkonflikten, Plagiaten und vor allem nach kopierten oder manipulierten Bildern. Sie sucht aktiv, geht aber auch Hinweisen nach. Die Ergebnisse veröffentlicht sie auf Twitter und in ihrem Blog Science Integrity Digest. Sie bestätigt, dass sie wie eine Detektivin vorgeht, Hinweise prüft oder aufgrund eines Verhaltensmusters auf systematische Manipulationen schliesst. Sie sieht sich jedoch nicht als Wissenschaftspolizistin und versucht, ihre Kommentare so sachlich wie möglich zu formulieren.

Zwei Manipulationen in zwei Fachpublikationen: Die Inhalte der Rahmen in gleicher Farbe sind jeweils identisch, obwohl es sich bei den Bildern um verschiedene Proben handeln sollte (links Netzhaut von Mäusen, rechts menschliche Krebszellen). Da die Bilder auch verzerrt sind, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die Duplikationen einfache Verwechslungen sind. Biologin Elisabeth Bik meldete diese Fehler auf der Platform Pubpeer. Der Artikel der linken Abbildung wurde seither zurückgezogen, der Artikel der rechten Abbildung nicht (Stand Januar 2022). | Abbildung links: G. Bhanupraksh Reddy et al. (2017), Abbildung rechts: S.-E. Cheng et al. (2017), farbige Kästen: Elisabeth Bik

Das tun aber nicht alle. Der deutsche Biomediziner Leonid Schneider deckt in seinem Blog For Better Science seit sechs Jahren Missstände auf, die er als «Korruption» in der «Forschungselite» bezeichnet. Er versteht sich als «aktivistischen » Wissenschaftsjournalisten und greift Forschende scharf an, wenn sie seiner Meinung nach gegen wissenschaftliche Grundsätze verstossen. Den einen oder anderen hat er auch schon als «Gauner», «skrupellosen Quacksalber» oder «hässliches Hinterteil» der Wissenschaft tituliert. Er insistiert jedoch darauf, dass solche Etikettierungen nicht von der Substanz seiner Analysen ablenken. «Es kommt selten vor, dass mir jemand sagt, meine Fakten seien falsch, auch wenn meine Haltung kritisiert wird.» Eine Karriere bei der Wissenschaftspolizei bringt nicht viel ein. Schneiders konfrontativer Stil hat viele gegen ihn aufgebracht und manchmal vor Gericht geendet. Die Geldstrafen und Anwaltskosten waren so hoch, dass er sich nur dank grosszügiger Spenden über Wasser halten konnte. Auch diplomatischere Stimmen können von ihrer Arbeit selten leben. Oransky betont, dass er wie andere auch ehrenamtlich tätig sei und oft kaum bezahlt werde.

Systemänderung nicht in Sicht

Manchmal decken Forschende Missstände im eigenen Labor auf. Etwa als der Neurowissenschaftler Ralf Schneggenburger und seine Gruppe von der EPFL 2019 in Science einen Artikel über das Erlernen von Angst veröffentlichten. Nachdem sie Daten zur Hirnaktivität vertiefter analysiert hatten, entdeckten er und zwei seiner Mitautoren zu ihrem Entsetzen, dass der Erstautor einen Grossteil der Daten gefälscht hatte, damit der Effekt stärker ausfiel.

Schneggenburger kontaktierte die Zeitschrift und den Dekan der Fakultät und zog den Artikel wenig später zurück. Selbstanzeigen sind jedoch selten, was die Frage aufwirft, wer die enorme Menge publizierter Forschungsdaten überprüfen soll. Oransky traut den Universitäten nicht, da die Fakultätsmitglieder oft beträchtliche Fördergelder einbringen. Seiner Meinung nach sollten die Verlage hier eine aktive Rolle übernehmen.

Bik kritisiert, dass Zeitschriften ihre Hinweise oft nicht weiterverfolgen. Sie schätzt, dass nur 35 bis 40 Prozent der von ihr gemeldeten rund 5000 problematischen Arbeiten zurückgezogen oder korrigiert wurden. Dies sieht sie als Ausdruck eines Interessenkonflikts: Die Verfassenden stehen den Herausgebenden der Zeitschrift manchmal zu nahe oder diese streben ungesund nach Zitierungen. Zwar gebe es Bemühungen um eine bessere Qualitätskontrolle: Verlage stellen Mitarbeitende zur Überwachung der Integrität ein, einige wenige überprüfen Bilder.

«Es kommt selten vor, dass mir jemand sagt, meine Fakten seien falsch, auch wenn meine Haltung kritisiert wird.»Leonid Schneider

Bis zu einem echten Gesinnungswandel dürfte es jedoch noch dauern. Bik plädiert dafür, landesweite oder sogar globale Organisationen zu schaffen, die unabhängig die Forschungsintegrität überwachen. Schweden hat kürzlich ein solches Gremium geschaffen. Constable bezweifelt, dass es sinnvoll wäre, die Detektivarbeit zu institutionalisieren. So ein Schritt könne zwar effizientere Kontrollen ermöglichen, brächte aber auch Nachteile: «Es könnte zum reinen Abhaken einer Liste verkommen, wodurch die Spontaneität und das Engagement der Gemeinschaft verloren gingen.»

Vorderhand dürfte es dabei bleiben, dass unabhängige Beobachtende den Löwenanteil der Arbeit zum Aufspüren gefälschter Forschung leisten – und dabei Lob und Tadel ernten. Der kampferprobte Schneider bereut seine bisherigen Initiativen trotz hoher Kosten nicht. Er sieht sich als Kämpfer für die Interessen der Allgemeinheit und der Forschenden, die es nicht wagen, sich gegen mächtige Kolleginnen zu stellen. «Ich will das System ändern», sagt er. «Nicht allein, sondern indem ich Personen, die dies tun wollen, eine Stimme gebe.»