Die Waldluft ist voller Duftstoffe. Die für Menschen meist wohlriechenden Moleküle sind die Schlachtrufe der Pflanzen, um gegen ihre Fressfeinde zu mobilisieren. | Foto: imageBROKER

Es ist bekannt, dass Blüten Duftstoffe produzieren, um Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge anzulocken. Doch nur wenige wissen, dass auch grüne Blätter ständig chemische Substanzen in die Luft abgeben. «Diese Stoffe sind die Sprache der Pflanzen, in der sie mit sich selbst und mit anderen Arten kommunizieren», sagt der Biologieprofessor Ted Turlings von der Universität Neuenburg. Er hat mitentdeckt, dass Blätter solche Chemikalien etwa als eine Art Alarmsignal freisetzen, wenn sie von Insekten angefressen werden. So aktivieren sie ihre eigenen Abwehrmechanismen, rekrutieren natürliche Feinde der Insekten und informieren benachbarte Pflanzen.

Während viele Forschungsgruppen die Funktion dieser Substanzen in einzelnen Arten untersuchen, geht die Ökologin Pengjuan Zu einen Schritt weiter. Sie will die Duftwolken von ganzen Wäldern erfassen und so das gesamte Netzwerk an Interaktionen zwischen Pflanzen, Schädlingen und Nützlingen verstehen: «Die chemischen Profile sind wie Fingerabdrücke der Pflanzen und stellen einen wichtigen Kommunikationskanal mit Insekten dar. Wenn wir diese chemischen Gespräche sehr genau belauschen, so gibt uns das möglicherweise Auskunft über die Biodiversität und das Befinden des Waldes.»

«Wenn wir die chemischen Gespräche belauschen, so gibt uns das möglicherweise Auskunft über die Biodiversität und das Befinden des Waldes.»Pengjuan Zu

Als Postdoktorandin am Massachusetts Institute of Technology hat sie bereits die Duftwolke eines tropischen Trockenwalds in Mexiko analysiert. Hierzu stülpte sie Plastikbecher mit kleinen Silikonfäden über die Blätter von verschiedenen Baumarten und verschloss sie luftdicht. Das Silikon wirkt dabei wie ein Schwamm und saugt die von den Blättern produzierten flüchtigen Substanzen auf. Eine Analyse der so eingefangenen Stoffe ergab, dass die 20 untersuchten Baumarten eine Vielzahl an flüchtigen Stoffen abgaben – viele davon wurden von mehreren Arten gleichzeitig produziert. Die 28 bei der Feldforschung gefundenen schädlichen Raupen auf den Blättern griffen aber jeweils immer nur eine oder wenige Baumarten an.

Der Wald erhält eine Diagnose

Ein Computermodell zeigte eine mögliche Erklärung für diese Redundanz an pflanzlichen Duftstoffen und die Spezialisierung der Raupen. Laut Zus Hypothese ist dies das Ergebnis eines Wettrüstens beim Informationsaustausch zwischen Pflanzen und Schädlingen im Verlauf der Evolution: Die Pflanzen verwirren die Schädlinge mit immer neuen Duftkombinationen, woraufhin sich diese durch präzisere Geruchswahrnehmung anpassen – und das Spiel von Neuem beginnt.

Demnächst möchte Pengjuan Zu als Gruppenleiterin an der ETH Zürich in weiteren Waldtypen die chemischen Gespräche zwischen Pflanzen und Insekten erfassen, vergleichen und am Computer modellieren – unter anderem in China, Mexiko und in der Schweiz. So gibt es beispielsweise im schweizerischen Calanda-Massiv einen gut etablierten Forschungsstandort, an dem kleine Parzellen an mehreren Orten ausgestochen und auf verschiedene Höhen überführt werden. So kann Zu die von den Pflanzengemeinschaften freigesetzten Substanzen unter verschiedenen klimatischen Bedingungen vergleichen.

«Pengjuan Zu ist hier etwas sehr Interessantem auf der Spur. Sie möchte die Sprache der Pflanzen entschlüsseln.»

Die Ökologin erwartet, dass die individuelle Duftwolke nicht nur etwas über die Artenvielfalt eines Waldes verrät. Sie hält es auch für wahrscheinlich, dass äussere Einflüsse wie Trockenstress, menschliche Bewirtschaftung oder ein Schädlingsbefall die Zusammensetzung der Duftwolke verändern. So liesse sich mittels Duftanalyse einfach und schnell eine Diagnose über den Zustand eines Waldes erstellen: «Dies ist das eigentliche Ziel meiner Forschung.»

Ted Turlings hält dieses Vorhaben zwar für sehr ehrgeizig und schwierig, aber mit den neusten analytischen und mathematischen Methoden grundsätzlich für machbar: «Man kann sicher anhand des Geruchs die Stimmung einer Pflanze feststellen und aus der Kombination und dem Verhältnis der Stoffe etwas über den Zustand des Waldes herauslesen. Pengjuan Zu ist hier etwas sehr Interessantem auf der Spur. Sie möchte die Sprache der Pflanzen entschlüsseln.»