Die Summe der Subventionen, die teilweise oder vollständig eine biodiversitätsschädigende Wirkung haben, beträgt mindestens 40 Milliarden Franken pro Jahr, sagt Geografin Lena Gubler. | Foto Gabi Vogt

Lena Gubler, Ihre Studie zu Fehlanreizen durch Subventionen tönt nach einer riesigen Arbeit. Wie sind Sie und Ihr Team vorgegangen?

Als Erstes haben wir den Zustand der Biodiversität in den verschiedenen Habitaten erfasst und dabei untersucht, warum ein bestimmtes Habitat gestört, verschmutzt oder fragmentiert ist. Das führte zu den Ursachen oder Treibern. Dann haben wir geschaut, welche dieser Treiber auf irgendeine Art subventioniert werden. Dazu haben wir Dokumente analysiert, Jahresrechnungen durchgesehen, bei Bundesämtern nachgefragt und mit Expertinnen und Experten gesprochen. Ebenso haben wir die Fachöffentlichkeit aufgerufen, uns Subventionen aus ihrer Region zu melden.

Zur Person
Lena Gubler ist Geografin an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf. Dort forscht sie an der Schnittstelle von Natur und Gesellschaft. Sie hat die letzten eineinhalb Jahre zu den Auswirkungen des Schweizer Subventionswesens auf die Biodiversität gearbeitet.

Was haben Sie herausgefunden?

Die Summe der Subventionen, die teilweise oder vollständig eine biodiversitätsschädigende Wirkung haben, beträgt mindestens 40 Milliarden Franken pro Jahr. Das ist 30- bis 40-mal mehr als die Summe für fördernde Massnahmen. Weiter zeigte sich, dass die Wirkungen der Treiber auf Biodiversität sehr komplex sind.

Was meinen Sie mit komplex?

Bei vielen Subventionen bestehen grosse Zielkonflikte mit anderen politischen Zielen oder auch zwischen verschiedenen Umweltanliegen. Manchmal fördert eine Subvention den Umweltschutz, doch Nebeneffekte schädigen gleichzeitig die Biodiversität. Ein Beispiel ist die Kleinwasserkraft, die im Zuge der Energiestrategie stark unterstützt wird. Ersetzt die Wasserkraft fossile Energie, ist das gut für das Klima und damit für die Artenvielfalt. Doch inzwischen ist wegen ihrer starken Förderung fast jeder Gebirgsbach verbaut und in einzelne Segmente zerschnitten. In der Folge kommen die Fische weder rauf noch runter und können sich darum kaum noch vermehren.

«Auch Steuervergünstigungen können wie Subventionen wirken. Zum Beispiel die Mineralölsteuer.»

Die Forderung, solche schädlichen Subventionen abzuschaffen, gibt es schon lange. Warum blieb der Bund bis heute untätig?

Mit der Ratifizierung der Biodiversitätskonvention hat sich die Schweiz verpflichtet, schädliche Subventionen bis 2020 abzuschaffen oder umzuleiten. Doch bisher bestand keine so umfangreiche Untersuchung wie unsere. Sie ist ja eine Grundlage für die Abschaffung. Hinzu kommt, dass es viele Subventionen zum Teil schon sehr lange gibt, so dass der subventionierte Zustand als Norm oder gar als Recht empfunden werden kann. Auch Steuervergünstigungen können wie Subventionen wirken. Zum Beispiel die Mineralölsteuer. Sie wurde seit den 1990er-Jahren nicht mehr an die Teuerung angepasst. Warum? Weil die Bevölkerung erwartet, dass das Benzin und damit der Verkehr günstig ist.

Kann man hier von einer Subvention sprechen? Der Strassenverkehr deckt doch seine Ausgaben mit den Einnahmen aus den Verkehrsabgaben.

Präzisierend sprechen wir von einem finanziellen Fehlanreiz. Die hohe Zweckbindung der Verkehrsabgaben in der Schweiz ist aussergewöhnlich. Abgaben wie die Mineralölsteuer oder die Nationalstrassenabgabe – die Autobahnvignette – fliessen zu grossen Anteilen in den Strassenfonds, wodurch prinzipiell mehr Strassen gebaut werden können. Würden die Abgaben in die allgemeine Bundeskasse fliessen, könnten auch andere Bundesaufgaben finanziert werden. Oder aber es bräuchte eine Vorgabe, die zweckgebundenen Gelder vermehrt dazu zu verwenden, die negativen Effekte des Strassenverkehrs zu reduzieren, etwa indem Strassenabschnitte bei Bedarf überdacht werden.

Studie zu Fehlanreizen: Die wichtigsten Befunde
Die Biodiversität der Schweiz geht seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Inzwischen sind mehr als ein Drittel aller Tierund Pflanzenarten und fast die Hälfte aller Lebensraumtypen gefährdet. Einen wichtigen Treiber hinter diesem Prozess bilden staatliche Subventionen – also Geld, das etwa für die Förderung von Strassenbau oder für die Haltung von Kühen gesprochen wird. Dazu zählen auch passive Subventionen wie Steuervergünstigungen für privates Wohneigentum.
In einer grossangelegten Studie untersuchte die WSL zusammen mit dem Forum für Biodiversität von der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz, welche Subventionen zu Kollateralschäden bei der Biodiversität führen. Untersucht wurden Verkehr, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Energieproduktion und -verbrauch, Tourismus, Siedlungsentwicklung, Abwasserentsorgung und Hochwasserschutz.
Das Resultat ist ernüchternd. Demnach beträgt die Gesamtsumme schädlicher Subventionen mindestens 40 Milliarden Franken pro Jahr. Im Vergleich dazu wird die Biodiversität nur mit einem Bruchteil dieses Betrags gefördert.

Zur Landwirtschaft: Ist die Nahrungsmittelproduktion nicht ein übergeordnetes Interesse, vor dem die Biodiversität wohl oder übel zurückstecken muss?

Die landwirtschaftliche Produktion und damit auch die Versorgungssicherheit hängen mittelfristig von der Biodiversität ab. Können wir den Verlust der Vielfalt der Lebewesen nicht aufhalten, verlieren wir Bodenfruchtbarkeit, Bestäubung und sauberes Trinkwasser. Und dann geht es auch mit den Erträgen bergab.

Welche Subvention in der Landwirtschaft schadet besonders?

Subventionen mit Anreizen für hohe Tierbestände stehen an erster Stelle. Im Moment sind die Tierbestände zu hoch, auch dank hohen Mengen an importiertem Kraftfutter. Dies führt dazu, dass die Ökosysteme der Schweiz stark mit Stickstoff überlastet sind, wodurch die Biodiversität grossflächig Schaden nimmt.

«Subventionen sollten generell zeitlich befristet werden. So wird vermieden, dass sie zur Normalität werden.»

Was sind die hauptsächlichen Empfehlungen aus Ihrer Studie?

Die Erkenntnis, dass eine so hohe Zahl an Subventionen eine negative Wirkung auf die Artenvielfalt hat, sollte aufrütteln. Die Vielfalt von Tieren und Pflanzen sollte in den verschiedenen Sektoren und in den politischen Zielen besser berücksichtigt werden. Viele Schäden können vermieden werden, wenn die Subventionsvergabe an Auflagen gebunden wird. Auch sollten Subventionen generell zeitlich befristet werden. So wird vermieden, dass sie zur Normalität werden.

In welchem Bereich lässt sich eine Änderung der Subventionspraxis wohl am ehesten umsetzen?

Leicht reformierbar wären nicht kostendeckende Parkgebühren auf öffentlichem Grund. Dann könnten auch von den zahlreichen steuerlichen Abzugsmöglichkeiten beim Wohnungseigentum einige zügig abgeschafft werden wie etwa die Liegenschaftsunternutzung. Insgesamt ist zu sagen, dass rasch bei steuerlichen Abzugsmöglichkeiten angesetzt werden könnte.