Christoph Uehlinger Universität Zürich

Christoph Uehlinger, Religionswissenschaftler | Illustration: Irene Sackmann

FRÜHERER BERUFSWUNSCH MÖNCH

«Dass sich Religion nur um ganz grosse Fragen dreht, ist ein Missverständnis»

Christoph Uehlinger (61), Professor für allgemeine Religionsgeschichte und Religionswissenschaft, Universität Zürich
Forschungsbereich: historische und vergleichende Religionswissenschaft
Glaubt an: Menschenrechte, Respekt gegenüber Andersgläubigen und den Wert ideologiekritischer Wissenschaft

«Als junger Mann spielte ich mit dem Gedanken, Mönch zu werden; ich stand damals einer internationalen ökumenischen Mönchsgemeinschaft nahe. Weil mich das wissenschaftliche Denken ebenso interessierte, begann ich Theologie zu studieren. Vor 16 Jahren wechselte ich, zunehmend mit historischen Fragestellungen befasst, von der Bibel- zur Religionswissenschaft. Ich bin skeptisch gegenüber der Annahme, der Glaube an eine transzendente Macht sei der wichtigste Bestandteil einer Religion. Dass sich Religion nur um die ganz grossen Fragen dreht, halte ich für ein Missverständnis. Mich fasziniert, wie viele Varianten von Religion und Gläubigkeit es gibt und welche Rolle die Ausübung der Religion in kleinen Gesten spielt. So fand ich es eindrucksvoll, beim Besuch eines Klosters in Zypern Menschen zu beobachten, die lange anstanden, um kurz eine Marienikone zu berühren. Deren Silberbeschlag wird regelmässig mit Wattebäuschchen poliert, die man in kleinen Plastiksäcken bekommen kann. Ich habe ein solches Säckchen lange mit mir herumgetragen – ohne ihm etwas zuzutrauen –, nur als Erinnerung an diese Begegnung. Woran ich persönlich glaube, hat mit meiner Wissenschaft nichts zu tun. Als Religionswissenschaftler bin ich dem methodologischen Agnostizismus verpflichtet.» cu

Jessica Peter Uniklinik Bern

Jessica Peter, Psychologin | Illustration: Irene Sackmann

UNWISSENHEIT AUSHALTEN

«Ich glaube trotzdem noch an Fortschritte in der Alzheimer-Forschung»

Jessica Peter (41), Gruppenleiterin und Senior Researcher in Alterspsychiatrie, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern
Forschungsbereich: Kognitive Funktionen und das alternde Gehirn
Glaubt an: Rationalität und Empirie

«Mit Rückschlägen und Frust wird man beim Thema Alzheimer häufig konfrontiert. Dass wir die genaue Ursache der Erkrankung noch immer nicht kennen, ist nicht einfach aushalten. Aber ich glaube trotzdem noch immer an Fortschritte in diesem Bereich. Meine Forschung dreht sich um Alterungsprozesse im Gehirn und deren Auswirkungen auf das Gedächtnis. Ich versuche Interventionen zu entwickeln, die Gedächtnisprozesse unterstützen. Wir arbeiten beispielsweise mit nicht-invasiver Hirnstimulation, um kognitive Funktionen zu verbessern. Wir konnten bei Alzheimerkranken mit dieser Methode jedoch trotz vielversprechender Ausgangslage bisher keinen signifikanten Effekt auf Gedächtnisprozesse finden. Mit Enttäuschungen versuche ich im Dialog mit Kollegen und Kolleginnen umzugehen. Gespräche mit anderen Forschenden führen oft zu Erklärungen oder ergeben neue Ansätze. Die Alzheimer-Demenz ist eine so komplexe Erkrankung, und wir können jeweils nur einen kleinen Teil des Gesamtbildes untersuchen. Das macht es anspruchsvoll aber eben auch spannend. Gerade weil es noch viele offene Fragen gibt, bleibt dieser Forschungsbereich eine Herausforderung.» jp

Daphne Bavelier Uni Genf

Daphne Bavelier, Neurowissenschaftlerin| Illustration: Irene Sackmann

ERFAHRUNG BRINGT VORANNAHMEN

«Absolute Objektivität gibt es nicht»

Daphne Bavelier (53), Professorin und Leiterin des Brain & Learning Lab, Universität Genf
Forschungsbereich: Plastizität des Gehirns
Glaubt an: den wissenschaftlichen Prozess und überprüfbare Fakten

«In der Wissenschaft geht es nicht um Glauben. Aber ich glaube an den wissenschaftlichen Prozess, bei dem überprüfbare Resultate im Zentrum stehen. Als wir in unserer Studie zur Hirnplastizität herausgefunden haben, dass Actionspiele die Kognition stärken, habe ich viele ungläubige Reaktionen bekommen. Die Games hatten vor 15 Jahren einen noch schlechteren Ruf als heute. Einige US-Journalisten haben mich sogar nachts zuhause angerufen. Mit diesen heftigen Reaktionen konnte ich umgehen, weil ich an die Wissenschaft glaube und mich auf die Fakten stützen konnte. Gleichzeitig weiss ich als Forscherin, die das menschliche Gehirn studiert, dass wir alle nicht frei sind von gewissen Vorannahmen und dass es so etwas wie absolute Objektivität nicht gibt. Unser Gehirn ist so konstruiert, dass es Neues aufgrund von bestehenden Erfahrungen bewertet. Was mich besorgt ist, wie schwer es wissenschaftliche Fakten heute teilweise in der öffentlichen Debatte haben, und das bei Themen, bei denen es nicht um Glauben, sondern um Tatsachen geht.» db

Conrad Gähler, ETH Zürich

Conrad Gähler, Gebäudetechnik-Ingenieur | Illustration: Irene Sackmann

ERGÄNZENDE SICHTWEISEN

«Religion fragt nach der Bedeutung der Welt für mich, nicht so die Naturwissenschaften»

Conrad Gähler (55), Dozent an der ETH Zürich und Entwicklungsingenieur bei Siemens
Forschungsbereich: energieeffiziente Gebäudeautomation
Glaubt an: Gott als die Tiefe des Lebens und die guten Kräfte, die alle Menschen durchwirken

«Wissenschaft und religiöser Glaube sind für mich kein Widerspruch. Es sind vielmehr zwei sich komplementär ergänzende Sichtweisen auf unsere Welt, die Antworten auf unterschiedliche Fragen suchen. Die Naturwissenschaften sind Grundlage, um Abläufe in Natur und Technik zu verstehen und technische Lösungen zu entwickeln. Wenn ich beispielsweise mit den Studierenden in der Gebäudetechnik klimafreundlichere Lösungen erarbeite, kann die Religion nichts beitragen. Religion hingegen fragt nach einer Deutung der Welt, nach der Bedeutung der Welt für mich. Hierzu können wiederum die Naturwissenschaften nichts beitragen. Klar ist: Das Bild von Gott als Instanz, welche nach Belieben naturwissenschaftliche Gesetze über den Haufen wirft, ist heute nicht mehr haltbar. In der reformierten Landeskirche fühle ich mich mit dieser Auffassung sehr zu Hause. Für mich steht Gott für den Urgrund, für die Tiefe des Seins und für die guten Kräfte, die uns und die Welt durchwirken. Mit diesen gilt es Kontakt zu halten. Und in diesem Sinn ist auch ein Gebet eine Kontaktaufnahme mit diesen guten Kräften.» cg