Der Satellit LISA Pathfinder prüfte 2016, ob Gravitationswellen im All genau genug gemessen werden können. | Bild: ESA/ATG medialab

Im Februar 2016 ging eine Meldung um die Welt: Dem amerikanischen Gravitationswellen-Observatorium LIGO war es gelungen, Gravitationswellen nachzuweisen, die bei der Fusion zweier schwarzer Löcher in einer Entfernung von mehr als einer Milliarde Lichtjahren erzeugt worden waren. Seither waren fünf ähnliche Messungen erfolgreich, die bestätigten, dass sich dieses Phänomen mit extrem empfindlichen Instrumenten beobachten lässt. Eine neue Disziplin war geboren: die Gravitationswellenastronomie.

Daniel Figueroa von der EPFL möchte nun prüfen, ob sich mit diesem Ansatz Antworten zu einer grundlegenden Frage finden lassen: Was geschah in den ersten Momenten nach dem Urknall? «Da sich Gravitationswellen nicht durch Materie behindern lassen, konnten sie sich seit der Geburt des Universums ausbreiten», erklärt der Physiker. Sie bilden also heute eine Art gleichförmigen Hintergrund, der für alle Beobachter unabhängig von ihrem Standort im Universum genau gleich ist.

Ultraschallbild des Kosmos

Grundsätzlich entstehen Gravitationswellen bei der Beschleunigung von supermassereichen Sternen oder schwarzen Löchern. Obwohl es unmittelbar nach dem Urknall keine massereichen Objekte gab, könnten diese Oszillationen der Krümmung der Raumzeit zu diesem Zeitpunkt durch die schnelle Expansion gigantischer Teilchenmassen entstanden sein. Für Figueroa sind es jedenfalls «die einzigen beobachtbaren Phänomene, die direkt von den ersten Augenblicken des Universums zeugen».

Nach Ansicht von Rainer Weiss, Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT), der 2017 für seine Arbeiten mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden war, beruht diese Hypothese auf soliden Grundlagen. Sie gelte insbesondere für den kurzen Zeitraum der sogenannten Inflation, als sich das Universum am schnellsten ausdehnte. «Zwar haben mehrere angesehene Kosmologen Modelle einer Inflation ohne Gravitationswellen entworfen», räumt er ein, aber: «Das macht die Frage nicht weniger interessant, im Gegenteil.» Die Physik teilt die erste Mikrosekunde des Universums in fünf verschiedene Zeiträume ein. Aus der Sicht eines Astrophysikers ist dieser erste Moment ereignisreicher als die nachfolgenden Millionen Jahre.

Letztlich bleiben dies aber theoretische Modelle, wenn sie nicht durch Beobachtungen bestätigt oder verworfen werden. Die Fachleute warten deswegen bereits ungeduldig auf das neue und einzigartige Gravitationswellen-Observatorium LISA, dessen Inbetriebnahme für 2034 vorgesehen ist. Der Detektor soll aus drei Satelliten im Abstand von 2,5 Millionen Kilometern bestehen, die über Laserstrahlen miteinander in Kontakt treten. Mit dieser Vorrichtung sollen sich winzigste Abweichungen der Distanz (ein Dutzend Pikometer, also etwa der Durchmesser eines Atoms) messen und damit andere Gravitationswellen als die bisher nachgewiesenen aufspüren lassen.

Daniel Figueroa und seine internationalen Forschungskollegen versuchen nun die ursprünglichen Signale zu datieren, die LISA nachweisen soll. Erste Möglichkeit: Die Signale folgen wie Standard-Gravitationswellen und die meisten zufälligen natürlichen Phänomene einer sogenannten Normalverteilung. «Dies würde zweifellos bedeuten, dass sie auf den Zeitpunkt zurückgehen, als sich Quarks zu Materie organisierten, das heisst etwa auf 0,0000000001 Sekunden nach dem Urknall», erklärt der Forscher. Wenn die Wellen dagegen nicht normalverteilt sind, könnte dies auf einen Entstehungszeitpunkt deuten, als das Universum erst 10-36 Sekunden alt war. Das war am Anfang der Inflation, einer kurzen Phase extremer Expansion, als die gewohnten Gesetze der Physik noch nicht vollständig galten.

Nach der Vorhersage zahlreicher theoretischer Modelle könnten die beim Urknall entstandenen Gravitationswellen allerdings auch zu schwach sein, um mit LISA nachgewiesen zu werden, schränkt Rainer Weiss vom MIT ein: «Viele von uns denken, dass wir für einen direkten Nachweis auf ein empfindlicheres Instrument warten müssen. Es sind aber Ideen im Umlauf, dass die Energiedichten am Ende des Zeitraums der Inflation höher sind und für eine Beobachtung mit LISA gerade ausreichen könnten. Ob der Nachweis gelingt oder nicht: Unsere Überlegungen bezüglich einer Vereinigung der Quanten- und der Gravitationstheorie – eine der grössten offenen Fragen der Physik – dürften dadurch grundlegend beeinflusst werden.» Eine weitere Etappe also auf der Zeitreise zurück zu unseren Wurzeln vor 13,8 Milliarden Jahren.

Der Schweizer Journalist Lionel Pousaz lebt in Boston.