Auch an der Expo 2015 in Mailand wurden Aquaponik-Anlagen als technische Verheissung der Zukunft gepriesen. Im Bild eine Anlage im belgischen Pavillon. | Bild: Pietro Baroni

Die Investoren waren Feuer und Flamme, die Medien voll des Lobes und der Bundesrat hoffnungsfroh: 2015 führte der damalige Landwirtschaftsminister Johann Schneider- Ammann Amtskollegen aus Deutschland, Österreich und Luxemburg durch ein Gewächshaus im Basler Dreispitz- Areal. Es war kein gewöhnliches Treibhaus. Sondern eine «Revolution», wie der Betreiber, das Start-up Urban Farmers, angekündigt hatte.

Urban Farmers betrieb auf dem Dach eines Lokdepots die erste kommerzielle Aquaponik-Anlage der Schweiz. Bei dieser Kultivierungstechnik werden Fischzucht und Pflanzenanbau kombiniert. Der Kernpunkt des Konzepts ist ein Wasser und- Nährstoff-Kreislauf: Die Fische düngen mit ihren Fäkalien in Wasser gezogene Hors-sol-Gemüse und erhalten das von diesen gereinigte Wasser zurück. Die Vorteile: Man spart Wasser, braucht weder Erde noch Düngemittel.

Kreative Kreislaufwirtschaft
In einer Aquakultur werden Fische oder andere Wasserlebewesen in einem abgetrennten Becken gezüchtet. Bei einer Hydroponik-Anlage wachsen Pflanzen auf einem künstlichen Substrat (auch Hors-sol-Produktion genannt), was zwar schnell viel Ertrag liefert, aber künstlichen Dünger benötigt. Werden die beiden zu einem geschlossenen System zusammengeschlossen, spricht man von Aquaponik: Die Exkremente der Fische liefern den Dünger, und die Pflanzen reinigen im Gegenzug das Wasser.

Das alles klingt bestechend. Und doch ist die Revolution bis heute ausgeblieben. Anfang 2018 kam das Aus für das Urban- Farmers-Projekt in Basel. Neuanfänge in Wallisellen und im niederländischen Den Haag scheiterten nach kurzer Zeit. Andere kommerzielle Aquaponik-Projekte in der Schweiz lassen sich an einer Hand abzählen.

Bakterien mischen immer mit

Ranka Junge leitet den Forschungsbereich Ökotechnologien und Energiesysteme an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Sie forscht seit mehreren Jahren auf dem Gebiet der Aquaponik – unter anderem mit einer Anlage an der ZHAW in Wädenswil. Dass die Technologie bisher kommerziell eine Randerscheinung geblieben ist, hat laut ihr verschiedene Gründe. Zum einen sei ein zu grosser Hype entstanden, sagt Junge. «Dabei ging vergessen, dass es sich um eine Technologie handelt, die noch in der Entwicklung steht.»

Das gelte sowohl für die technische Ebene solcher Kreislaufsysteme als auch für das Verständnis der ökologischen Abläufe darin. Beides ist nämlich komplexer, als es der erste Blick vermuten lässt. So sind neben Fischen und Pflanzen eine Vielfalt von Mikroorganismen ein unverzichtbarer Bestandteil des Kreislaufs. So scheiden Fische Stickstoff aus, ein wichtiger Nährstoff für Pflanzen, in Form von Ammonium. Ein Teil davon wird bei hohen pH-Werten aber zu Ammoniak, das giftig für die Fische und für Pflanzen nur teilweise verfügbar ist. Erst Bakterien wandeln diese Verbindungen in Nitrit und danach in pflanzenverfügbares Nitrat um – und sie erbringen viele andere Stoffwechselprozesse.

Junge und ihr Team verfolgen in einem Forschungsprojekt den Fluss des Stickstoffs in einer Aquaponik-Anlage. Mit moderner Metagenomik bestimmen sie, welche Mikroorganismen in welchen Kompartimenten der Anlage am Stoffwechsel beteiligt sind. Wo laufen welche Reaktionen ab? Antworten auf solche Fragen, da ist Junge sicher, werden es künftig erlauben, die Prozesse in Aquaponik- Anlagen gezielter zu steuern und wirtschaftlicher zu gestalten.

«Jede bisher gebaute Anlage ist ganz einfach zu klein.»Werner Kloas

Ein zweites Problem für die Kommerzialisierung der Aquaponik ist profaner. «Die Schweiz ist für diese Technik schlicht ein schlechter Ort», sagt Junge: «Sie kann hier ihre Vorteile nicht ausspielen.» Dünger sind im Überfluss vorhanden. Die Böden sind selten mit Schwermetallen belastet und gut geeignet für Pflanzenbau – es gibt kaum Druck, Hors-sol-Gemüse anzubauen. Und Wasser sparen? Das ist im Wasserschloss Europas kein Punkt, der wirtschaftlich ins Gewicht fällt.

«Ausserdem», sagt Junge, «wer Aquaponik betreibt, ist ein Landwirt. Man kann mit einer Anlage entsprechender Grösse ein Auskommen erzielen, aber man wird sicher nicht reich damit.» Denn Salate, Gurken, Tomaten und auch die in Aquaponikanlagen wohl am häufigsten gehaltene Fischgattung, Tilapia, sind keine Produkte aus dem Hochpreissegment.

Genau das ist auch für Werner Kloas einer der Hauptgründe, weshalb die Technologie sich auf dem Markt bislang nicht durchgesetzt hat. «Jede bisher gebaute Anlage ist ganz einfach zu klein», sagt der Leiter der Abteilung Ökophysiologie und Aquakultur am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Mit 1600 Quadratmetern Fläche galt der Urban-Farmers-Standort in Den Haag als grösste Dachfarm in Europa. Kloas hingegen schätzt, dass eine Anlage erst ab einer Grösse von 10 000 Quadratmetern Gewinn abwirft.

Ähnlich sieht das Philipp Gschwend, Geschäftsführer des Früchte- und Gemüsegrosshändlers Ecco-Jäger in Bad Ragaz (SG). Er hat 2015 die grösste Aquaponik- Dachfarm der Schweiz errichtet. In einem 1000 Quadratmeter grossen Gewächshaus wachsen Kräuter, die Speisefische in einer Aquakultur von 200 Quadratmetern. «Bei uns ist die Anlage kostendeckend», sagt Gschwend, «aber nur dank idealer Voraussetzungen – Absatzmarkt, Logistik, Kühlfahrzeuge und Lager waren schon vorhanden.» Baue jemand eine Anlage dieser Grössenordnung komplett neu und betreibe sie eigenständig, «dann wäre sie sehr wahrscheinlich nicht kostendeckend».

Zum Scheitern verurteilt?

Sowohl Gschwend als auch Kloas weisen auf eine weitere Schwäche des Systems hin. Der einfach geschlossene Kreislauf sei wirtschaftlich zum Scheitern verurteilt, sagt Kloas. Die Nährstoff- und pH-Optima von Fischen und Pflanzen seien zu unterschiedlich, es lasse sich nicht für beide die bestmögliche Versorgung erreichen. Gerade im Hors-sol-Gemüsebau, wo die Nährstoffe aufs Mikrogramm genau abgemessen werden, ist das ein Wettbewerbsnachteil.

Kloas setzt deshalb bei seinen Forschungen auf entkoppelte Systeme, in denen ein Fisch- und ein Pflanzenkreislauf separat gesteuert werden, aber das nährstoffreiche Fischwasser durch ein Einwegventil zu den Pflanzen geleitet wird. Zur Optimierung werden den Pflanzen zusätzliche Nährstoffe beigegeben. «Trotzdem bleibt eine solche Anlage äusserst nachhaltig», sagt Kloas. «Wir benötigen bis zu 75 Prozent weniger Dünger, und die Produktivität ist genauso hoch wie in separaten, optimierten Fisch- oder Pflanzenkulturen.»

Ranka Junge hingegen möchte die geschlossenen Systeme nicht zu früh abschreiben. «Wenn es kein Kreislauf mehr ist, ist es keine Aquaponik mehr, sondern eine Fertigationsanlage (gleichzeitige Düngung und Bewässerung, Anm. d. Red.), in die flüssige Düngemittel eingebracht werden», sagt sie. Sie ist überzeugt, dass sich Weiterforschen lohnt. Denn viele Fragestellungen gehen weit über Fische und Salat hinaus: Wiederverwertung, Recycling und Kreislaufwirtschaft sind Zukunftsthemen, sie beschränken sich längst nicht nur auf die Aquaponik.