Hunde, Meerschweinchen, Kaninchen: Tiere können Hirnverletzte für die Therapie motivieren. | Bild: iStockphoto

Nina sitzt in einem Rollstuhl im kahlen Eingangsbereich des Spitals. Sie hat die Augen offen, aber die blicken ins Leere. Behutsam setzt ihre Mutter ein Kaninchen in Ninas Schoss. Eine Pflegerin legt Ninas Hand auf den Rücken des Tiers. Und im Bruchteil einer Sekunde passiert, was davor wochenlang undenkbar schien: Nina verzieht die Mundwinkel zu einem winzigen Lächeln.

Nina, die eigentlich anders heisst, hat ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Nach der lebensrettenden Operation erwachte sie zwar aus dem Koma, blieb jedoch im Zustand minimalen Bewusstseins. Dabei zeigen Patientinnen, im Unterschied zum Wachkoma oder zum vegetativen Zustand, gewisse Anzeichen, dass sie wahrnehmen. «Diese Zeichen sind subtil und oft nicht mit herkömmlichen Bildgebungs- und Testmethoden messbar», sagt Karin Diserens, Leiterin der Abteilung für akute Neurorehabilitation am Universitätsspital Lausanne. «Das sind etwa kleinste absichtliche Bewegungen, die nur erfahrene Pflegende und Ärztinnen sehen.»

«Bei Patienten mit minimalem Bewusstsein suchen wir eine Eingangstüre in ihr Bewusstsein, und zwar über die Stimulierung der Sinneswahrnehmung.»Karin Diserens

Beim minimalen Bewusstsein gibt es Hoffnung, Patienten wieder vollständig zurückzuholen. «Dafür suchen wir eine Eingangstüre in ihr Bewusstsein, und zwar über die Stimulierung der Sinneswahrnehmung », meint Diserens. Worauf eine Person anspricht, hängt ganz von ihrer individuellen Geschichte ab. «Das kann ein Musikstück sein, der Duft einer Blume oder eben der Kontakt mit einem Tier.» Bei Nina war es das eigene Haustier.

Mehr Hirnaktivität bei Berührung

An der Universität Basel dagegen wird mit ausgebildeten Therapietieren gearbeitet. Hier erforscht Karin Hediger, wie sich der Kontakt mit einem Tier auf neurologische Funktionen wie Wahrnehmung, Bewegung und Sprache sowie auf die Psyche auswirkt. Und das bei einem breiten Spektrum von Patientinnen: von Unfallopfern wie Nina, die noch einen langen Weg vor sich haben, bis zu fast ganz genesenen Schlaganfallpatientinnen, die gezielte Fähigkeiten verbessern sollen.

Mittels Verhaltensbeobachtungen und Messung der Herzrate konnte die klinische Psychologin belegen, dass das Berühren eines Tieres Bewusstseinsreaktionen bei minimal bewussten Patientinnen auslöst. Der Versuch schloss zehn Probanden und nach deren Vorlieben ausgesuchte Therapiehunde, -kaninchen und -meerschweinchen ein. Darauf folgte eine Pilotstudie mit zwei komatösen und zwei gesunden Probanden, in der Hediger mit Nahinfrarot-Spektroskopie zeigte, wie bei dem Kontakt die frontale Hirnaktivität steigt.

«Menschen suchen immer die Verbindung zur Natur und zu anderen Lebewesen. Schon Babys sind von Tieren angezogen.»Karin Hediger

Die These der Biophilie ist die Grundlage. Hediger erklärt: «Menschen suchen immer die Verbindung zur Natur und zu anderen Lebewesen. Schon Babys sind von Tieren angezogen.» Wie auch Karin Diserens, betont die Psychologin aber, dass der Erfolg der tiergestützten Therapie auf das Individuum ankommt. Hediger weist zudem auf die Herausforderungen in diesem Feld hin: «Randomisierte kontrollierte Studien zu machen, wie es in anderen Disziplinen üblich ist, ist schwierig – wer will schon in die Kontrollgruppe?» Die Forscherin sucht daher stets nach neuen Studiendesigns, wie zeitlich getrennte Versuchsund Kontrollgruppen, damit keine Teilnehmenden auf die zu testende Therapie verzichten müssen.

Mit dem Schaf über die Hindernisse

Besonders grosses Potenzial sieht Hediger darin, dass Tiere Patienten für die Therapie motivieren. «Sie geben ihnen das Gefühl, Verantwortung zu übernehmen. Das ist sehr wichtig für Personen, die in ihrer Autonomie eingeschränkt sind. Da kommen auch mal ungewöhnlichere Tierarten zum Einsatz wie Schafe oder Hühner.» Etwa bei einem Schlaganfallpatienten, der dank Hindernisparcours-Training mit einem Schaf rasch seine Gangsicherheit zurückgewinnen konnte.

Unklar ist noch, wie sich solche Arbeit auf die Tiere auswirkt. Im Sinne des One-Health-Ansatzes, bei dem die Verknüpfung der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt im Zentrum steht, interessiert sich Hediger auch für die wechselseitigen Effekte. Erste Projekte dazu laufen in Basel.