Die Analyse der Russpartikel aus Eisbohrkernen ist genauer geworden. | Bild: Michael Sigl

Die historischen Bilder, die den Rückzug von Gletschern zeigen, sind ein beeindruckendes Symbol für die Klimaerwärmung. Doch für dieses Phänomen dürften nicht menschliche Aktivitäten verantwortlich sein. Zu diesem Schluss kommt Michael Sigl, Klimatologe am Paul Scherrer Institut in Villigen (AG): «Unsere Analysen zeigen, dass die Mengen an Kohlenstoffpartikeln, die aufgrund der Industrialisierung in die Atmosphäre gelangten, erst nach 1875 zunahmen.» Zu diesem Zeitpunkt hatten die Gletscher bereits 80 Prozent der Länge eingebüsst, die sie im 19. Jahrhundert verlieren sollten.

Zu diesen Ergebnissen gelangten der Forscher und sein Team durch Messungen von Gletscherzungenlängen, Russemissionen und weiteren durch die Industrie abgegebenen Partikeln. «Wir haben alpine Eisbohrkerne aus der Zeit zwischen 1741 und 2015 analysiert», sagt Sigl. «Nie zuvor waren die Messungen so detailliert. Dies erklärt, weshalb frühere Studien zu einem anderen Schluss kamen.» Bis anhin wurde ein Zusammenhang zwischen den Kohlenstoffemissionen und dem Rückgang der Gletscher ab 1860 vermutet.

Wenn der Rückzug der Gletscher in Europa im 19. Jahrhundert nicht durch den Menschen bedingt war, wie ist er dann zu erklären? «Im Zeitraum von 1800 bis 1850 herrschte in Europa ein kaltes Klima vor», erklärt Michael Sigl. «Grund dafür waren unter anderem starke Vulkaneruptionen. Die Gletscherzungen wuchsen deshalb stärker, als es unter normalen Umständen der Fall gewesen wäre. Sie haben sich dann zwischen 1860 und 1875 ganz einfach wieder auf die früheren Ausmasse zurückgebildet.» Der Forscher betont allerdings, dass seit 1875 die menschlichen Aktivitäten klar zum Rückzug der Gletscher beigetragen haben. «Diese Studie zeigt, dass Klimaphänomene komplex sind. Neben menschlichen Aktivitäten, die ihr Gleichgewicht stören, haben auch natürliche Faktoren einen Einfluss.»