Das Zentrum für Immunabwehr

Istituto di ricerca biomedica IRB, Bellinzona

Auf halbem Weg zwischen dem Fluss Ticino und dem Castelgrande, der imposanten Höhenburg über Bellinzona, liegt das Istituto di ricerca biomedica (IRB). Es gehört zur Università della Svizzera italiana (USI) und beherbergt mehr als 100 Forschende der Biowissenschaften aus über 25 Ländern. «Wir wollen das Verständnis in der Humanimmunologie erweitern, insbesondere über die Mechanismen der Immunabwehr», erklärt Direktor Davide Robbiani. «Das Immunsystem ist die beeindruckende Verteidigungswaffe des menschlichen Körpers, die Bedrohungen durch Viren und Bakterien, aber auch durch Krebszellen erkennt und neutralisiert.» Es versteht sich von selbst, dass die Forschung mit medizinischen Anwendungen Hand in Hand geht. Zwei erfolgreiche medizinische Spin-offs wurden in den letzten Jahren aus dem Institut heraus gegründet.

Das 2021 eingeweihte, brandneue Gebäude des IRB ist Teil der ehrgeizigen Wachstumsstrategie des Instituts. Seit der Gründung im Jahr 2000 mit vier Forschungsgruppen hat das Institut neun weitere Gruppenleitende angeworben, und in den kommenden Jahren sollen nochmals vier weitere hinzukommen. Gemeinsam mit dem Istituto oncologico di ricerca in Bellinzona lanciert das IRB zudem Projekte in der Tumorimmunologie und ist im Gespräch mit verschiedenen Fakultäten der USI in Lugano und der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI), der Fachhochschule. Dort werde gerade im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der künstlichen Intelligenz intensiv geforscht, wie Robbiani erklärt.

«Im Tessin gibt es derzeit eine ausgeprägte Dynamik und viel Enthusiasmus für die Biowissenschaften.»Davide Robbiani

Der Immunologe ist von der gesamten Wissenschaftslandschaft in seinem Kanton begeistert: «Im Tessin gibt es derzeit eine ausgeprägte Dynamik und viel Enthusiasmus für die Biowissenschaften.» Ein Ergebnis ist ein innovatives medizinisches Studienprogramm, das von der USI und der ETH Zürich gemeinsam entwickelt wurde. Das IRB trägt zum Ziel des Tessins bei, das Wachstum in den Biowissenschaften zu fördern. «Der Kanton scheint sich zu einem Magneten für Life-Science-Unternehmer zu entwickeln: In den letzten Monaten sind in Bellinzona zwei neue Start-ups entstanden, ein drittes wird demnächst dazukommen.»

Davide Robbiani zog 2020 von seinem Labor für Immunologie in New York zurück in seine Heimat, das Tessin, und übernahm die Leitung des Instituts. Was sind seine persönlichen wissenschaftlichen Ziele? «Ein Aspekt, mit dem ich mich in letzter Zeit beschäftigt habe, ist das Immungedächtnis», antwortet er. «Wie unser Gehirn hat auch das Immunsystem die Fähigkeit, sich an vergangene Begegnungen zu erinnern. Die molekularen Grundlagen des immunologischen Langzeitgedächtnisses zu verstehen, ist eine Herausforderung, die ich sowohl wichtig als auch faszinierend finde.

Das Wissen gegen die Waldbrände

Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Cadenazzo

Atemraubende Wälder, liebliche Weinberge und viel Son-ne – das ist das Tessin, wie wir es kennen und lieben. Aber eine so reiche Landschaft will gepflegt werden. Dies ist das Ziel der Forschungsgruppe in Cadenazzo unter der Leitung von Marco Conedera von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Dazu entwickelt die Gruppe wissenschaftliche Instrumente zur Überwachung und Bewirtschaftung der natürlichen Systeme südlich der Alpen.Von den fünf WSL-Standorten liegt nur Cadenazzo auf der Alpensüdseite. Das vierköpfige Team will verstehen, wie und warum sich die südliche Landschaft aus wilden Wäldern und kultiviertem Land verändert. «Ursachen sind einerseits die globale Erwärmung und anderseits die seit dem Zweiten Weltkrieg völlig veränderte Landnutzung. Beide Faktoren haben einen starken Einfluss», erklärt der Wissenschaftler. Eine der Hauptfolgen des Temperaturanstiegs und der mangelnden Bewirtschaftung der Berggebiete sind Waldbrände.

Als Conedera 1984 seinen Abschluss als Forstingenieur an der ETH Zürich machte und in sein Heimatdorf Arbedo im Tessin zurückkehrte, wollte er die Brände in den Kastanienwäldern untersuchen. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen entwickelte er Werkzeuge zur Brandverhütung wie die Software Fire Niche, die anhand historischer Daten zu Wetter und Bränden das Waldbrandrisiko vorhersagt. Das Tool wird vom Kanton eingesetzt und dient dazu, bei Bedarf Warnun­-gen oder Feuerverbote herauszu­geben. «Waldbrände betreffen auch Städte», sagt Conedera. «Im Dezember 2023 jährt sich der schreckliche Waldbrand im Val Colla zum fünfzigsten Mal. Rauch und Asche verdunkelten den Himmel über Lugano drei Tage lang.»

«Was wir heute im Tessin sehen, wird durch die steigenden Temperaturen in 30 Jahren im Rest des Landes zu sehen sein.»Marco Conedera

Doch Feuer ist nicht das einzi-ge Problem. Die globale Erwärmung, das Fehlen natürlicher Barrieren zwischen der Schweiz und den Mittelmeerländern und eine Bevölkerung, die ständig in Be­wegung ist, begünstigen die Ausbreitung neuer Arten in der Südschweiz, wobei Palmen ein augenscheinliches Beispiel sind. Die Auswirkungen eingeführter Arten auf das Ökosystem, den Boden und den Menschen müssen sorgfältig beobachtet werden. Beispielsweise können die Sporen neu eingeführter Pilzarten, die mit den Palmen ins Land kommen, manchmal schwere allergische Reaktionen verursachen.

Die Forschung der WSL in Cadenazzo ermöglicht auch Vorhersagen dazu, welche landschaftlichen Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten in der Nordschweiz zu erwarten sind. «Was wir heute im Tessin sehen, wird durch die steigenden Temperaturen in 30 Jahren im Rest des Landes zu sehen sein. Wir sind bereits auf dem Weg dahin», meint Conedera. «Im Flachland der Nordschweiz leiden einige Baumarten wie Eschen und Fichten zunehmend unter dem veränderten Klima. Es wird ernsthaft darüber nachgedacht, sie durch Arten aus dem Süden, wie zum Beispiel Kastanienbäume, zu ersetzen. Die Schweiz hat eine einmalige Chance, sich an die Klimaerwärmung anzupassen – dank der im Süden des Landes gesammelten Erfahrungen.»

Der Vater der modernen KI

Jürgen Schmidhuber vom Istituto Dalle Molle di studi sull’intelligenza artificiale IDSIA, Lugano.

«Künstliche Intelligenz entwickeln, die schlauer ist als ich, und dann in Pension gehen.» Das ist seit seiner Jugendzeit das ehrgeizige Ziel von Jürgen Schmidhuber. Nach mehr als drei Jahrzehnten Forschung an der TU München und am Istituto Dalle Molle di studi sull’intelligenza artificiale (IDSIA) und nachdem er seine Gruppe zu wichtigen Entdeckungen im Bereich künstliche Intelligenz führte, hat der von den Medien als Vater der modernen KI bezeichnete Informatiker sein Ziel fast erreicht.

Das IDSIA, das sowohl zur SUPSI als auch zur USI gehört, wurde schon bald nach seiner Gründung im Jahr 1988 zu einer führenden Forschungseinrichtung für künstliche Intelligenz. Der Gründer Angelo Dalle Molle war ein visionärer italienischer Philanthrop, der von einer Welt träumte, in welcher der Mensch Seite an Seite mit der Technologie zu einer besseren Lebensqualität strebt. Seit 1991 leistet Schmidhubers Labor Pionierarbeit bei der Erforschung von Algorithmen für neuronale Netze, auf denen künst-liche Intelligenz beruht.

«Als wir unser Unternehmen gründeten, kamen fast alle interessierten Investoren aus dem pazifischen Raum. Das hat sich geändert.»Jürgen Schmidhuber

Das Grundkonzept eines neuronalen Netzes orientiert sich eng an der Art und Weise, wie Menschen denken und lernen: «Unser Gehirn hat Milliarden von Neuronen. Ein Teil gehört zu den Input-Neuronen, die Informationen zu akustischen, visuellen und taktilen Reizen oder zu Schmerz, Hunger und so weiter aufnehmen und weiterreichen. Ein weiterer Teil gehört zu den Output-Neuronen, die die Muskeln bewegen», erklärt Schmidhuber. «Die meisten Neuronen befinden sich dazwischen, wo das Denken stattfindet. Dieses neuronale Netz lernt, indem es die Stärke der Verbindungen zwischen den Neuronen verändert. Nach diesem Prinzip scheinen die Erfahrungen eines ganzen Lebens kodiert zu sein.» Dasselbe gilt für künstliche neuronale Netze, die so lernen, Sprache, Handschrift oder Videos zu erkennen, Schmerzen zu minimieren, Vergnügen zu maximieren, Autos zu fahren und vieles mehr.

Die von seinem Labor entwickelten Algorithmen werden heute von den meisten Internetriesen wie Google, Facebook, Amazon und Microsoft eingesetzt. 2014 brachte Schmidhuber seine theoretischen Entdeckungen in sein eigenes Unternehmen mit Sitz in Lugano ein, das innovative KI-Lösungen für die Industrie und das Finanzwesen bereitstellt. Der Pionier ist sehr optimistisch, was die Zukunft dieser Branche im Herzen Europas angeht: «Als wir unser Unternehmen gründeten, kamen fast alle interessierten Investoren aus dem pazifischen Raum. Das hat sich geändert: In unserer zweiten Finanzierungsrunde erhielten wir plötzlich viel Aufmerksamkeit und erhebliche Investitionen auch von europäischen Unternehmen. Und wir sehen im Moment erst die Spitze des Eisbergs, der auf uns zukommt.»

«Die Biotinte sollte kleine Wirkstoff-moleküle gegen Entzündungen abgeben»

Elia Guzzi, Mitgründer Start-ups Inkvivo, Lugano

«Wir entwickeln spezielle Systeme, um Wirkstoffe kontrolliert freizusetzen – eine Biotinte, mit der wir dann Medikamente im 3D-Drucker herstellen. Diese können entweder im Körper platziert oder eingenommen werden. Ursprünglich war die Idee, ein System für die Versorgung nach Operationen zu entwickeln. Es sollte kleine Wirkstoffmoleküle gegen Entzündungen und Schmerzen nach orthopädischen Eingriffen abgeben. Später erkannten wir, dass wir unser Biomaterial auch für andere Herausforderungen wie Ge­webe­regene-ration, Chemotherapie oder die gezielte Zufuhr von Mikronährstoffen einsetzen können.

Die wissenschaftliche Idee basiert auf meiner Doktorarbeit an der ETH Zürich. Mitte 2020 fragte ich mich: Wie könnte diese Arbeit in ein medizinisches Produkt umgesetzt werden? Als ich anfing, mich bei Fachpersonen zu erkundigen, wurde mir klar, dass in der Medizin ein echter Bedarf nach der kontrollierten Abgabe von Wirkstoffen besteht. Im Gegensatz zu bisherigen Lösungen konzentriert sich unsere Methode auch auf das Verabreichungssystem. Insofern sind wir einzigartig.

«Ich komme aus dem Tessin, und es ist mir eine Ehre, meiner Heimat etwas zurückzugeben.»Elia Guzzi

Vor meiner Promotion habe ich bereits in einem Start-up gearbeitet und dieses Umfeld sehr genossen, weil es sehr dynamisch ist. Jeden Tag macht man etwas anderes. Es ist eine Menge Arbeit und Verantwortung, aber man wird sehr geschätzt. Es war einmalig. Ich konnte mich auf meine Interessen konzentrieren und meine fachlichen Kompetenzen zur Lösung von Problemen einsetzen. Ich glaube, das ist für mich am wichtigsten: eine Herausforderung mit meinen eigenen Ideen anzugehen.

Im Jahr 2020 machte mein Geschäftspartner Stefano Cerutti seinen MBA. Wir sind seit fast zehn Jahren befreundet und ich wusste, dass er sich für innovative Techno-logien interessierte, da er auch Ingenieur ist. Also wandte ich mich an ihn und fragte: ‹Glaubst du, dass wir mit meiner Biotinte ein Start-up aufbauen könnten?› Er antwortete prompt: ‹Elia, du musst auch wirtschaftlich denken – es geht nicht nur um die Technologie!› Von da an begannen wir Seite an Seite zu arbeiten, er übernahm den finanziellen Teil. Für mich als Wissenschaftler ist es wichtig, Unterstützung von der Unternehmensseite zu bekommen.

Im vergangenen Jahr gewannen wir die Boldbrain Start-up Challenge, mit der Auflage, uns im Tessin niederzulassen. Wir ergriffen die Gelegenheit. Ich komme aus dem Tessin, und es ist mir eine Ehre, meiner Heimat etwas zurückzugeben. Wir sind nun im USI Startup Centre. In diesem Inkubator profitieren wir von fachlicher Unterstützung für unsere nächsten Schritte. Bei Bedarf werden uns Kontakte zu Coaches oder erfahrenen Fachpersonen vermittelt. Wir bekommen zum Beispiel Hilfe bei der Ausarbeitung unserer Unternehmensstrategie und von Kooperationsvereinbarungen. Das ist sehr wertvoll, denn wir haben es mit grossen Akteuren zu tun.»

«Ich möchte eine Komponente mit einem Wirkungsgrad von 100 Prozent herstellen»

Alberto Ortona, Gruppenleiter der Hybrid Materials Laboratory an der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana SUPSI, Lugano

«Schaut man auf die in der Schweiz lancierten europäischen Projekte, stellt man fest, dass das Tessin zu den aktivsten Regionen gehört. Dafür gibt es einen Grund: Wir forschen viel und erfolgreich, vor allem, wenn man bedenkt, dass im Kanton nur 350 000 Personen leben. Ich bin in einem sehr spezifischen Bereich tätig, aber ich würde sagen, dass wir in den letzten Jahren eine Art Boom erlebten. Momentan befassen wir uns vor allem mit der Konzeption, Prüfung und Herstellung komplexer keramischer Strukturen für verschiedene Zwecke. Wir arbeiten unter anderem an Hightech-Anwendungen für den Energie-bereich, zum Beispiel für solarthermische Kraftwerke, bei denen eine Vielzahl von Spiegeln das Sonnenlicht auf einen Punkt bündeln. An diesem Punkt wird ein Absorber erhitzt, der die konzentrierte Energie auf eine Flüssigkeit überträgt.

Wir beteiligen uns auch am europäischen Projekt Hydrosol Beyond, für das wir Systeme zur Rückgewinnung von Wärme nach der Wasserspaltung entwickeln. Das ist ein Verfahren, bei dem aus Wasser reiner Wasserstoff und Sauerstoff gewonnen werden. Unser Ziel ist es, die bei diesem Prozess entstehende Wärme zurückzugewinnen und sie zum Vorheizen der Einheit für die Wasserspaltung zu nutzen. Dafür stellen wir eine neue Generation von Wärmeaustauschern her, die bei sehr hohen Temperaturen von etwa 1200 Grad Celsius arbeiten und sehr kompakt sein müssen. Genau das bieten unsere keramischen Strukturen.

«Ich spreche lieber über Träume als über Erreichtes.»Alberto Otona

Ein drittes Beispiel ist ein Projekt im Bereich thermochemische Wärmespeicher. Durch die Aufnahme und Abgabe von Wasser in einer chemischen Lösung mit Natriumhydroxid kann im Sommer Wärme gespeichert und im Winter wieder abgegeben werden. Unsere Anwendungen dienen vor allem der nachhaltigen Energieversorgung: Keine dieser Technologien benötigt fossile Brennstoffe.

Gerade habe ich zwei sehr geschätzte Mitarbeitende verloren, aber ich freue mich natürlich sehr für sie! Sie haben zu zwei Unternehmen im Tessin gewechselt, in denen sie ziemlich dasselbe machen wie zuvor in unseren Forschungsprojekten. Dies zeigt: Hier sind auf Materialwissenschaften spezialisierte Fachkräfte gefragt. Aber ich spreche lieber über Träume als über Erreichtes. Mein Traum wäre es, eine Komponente für eine Maschine mit einem Wirkungsgrad von 100 Prozent herzustellen. Das ist natürlich nur ein Traum. Ein grosser, ein unmöglicher Traum, aber mein persönlicher Traum.»

«Das wird die leistungsstärkste KI-fähige Maschine der Welt sein»

Maria Grazia Giuffreda, stellvertretende Direktorin des Centro Svizzero di Calcolo Scientifico (CSCS)

Das Schweizer Daten-Herz schlägt in Lugano: Denn hier ist das Hochleistungsrechenzentrum Centro Svizzero di Calcolo Scientifico (CSCS) der ETH Zürich angesiedelt. Maria Grazia Giuffreda, seit 2013 dessen stellvertretende Direktorin, spricht über Vergangenheit und Zukunft der Computerwissenschaften bei uns.

Dieses Jahr noch wird das CSCS über einen neuen Supercomputer mit dem Namen Alps verfügen, der einen Weltrekord aufstellt. Warum dieser Name?

Wir benennen unsere Supercomputer immer nach Schweizer Bergen. In diesem Fall spiegelt der Name Alps eine neue Idee von Recheninfrastruktur, bei der auf einer einzigen Maschine virtuelle Cluster erstellt werden können – vergleichbar mit mehreren Gipfeln in den Alpen. Alps wird Berechnungen in vielen Forschungsbereichen durchführen, wie Wetter und Klima, Materialwissenschaften, Biowissenschaften, Kernfusion oder Astrophysik. Das neue System wird die leistungsstärkste KI-fähige Maschine der Welt sein, und das CSCS steht bereits in Kontakt mit dem Istituto Dalle Molle di studi sull’intelligenza artificiale, um die Anforderungen für die KI abzuklären.

Warum befindet sich das CSCS im Tessin?

Dies war letztlich eine politische Entscheidung. Als in den 1980er-Jahren in Politik und Wissenschaft über ein Supercomputing-Zentrum in der Schweiz diskutiert wurde, konnte das Tessin ein konkurrenzloses Angebot zum Zeitrahmen machen. Die räumliche Trennung von der ETH stärkt unseren Auftrag, die ganze Schweiz zu bedienen. Alle Forschenden sollen die gleichen Chancen haben. Ausserdem brachten uns der neue Gotthard- und der Ceneri-Basistunnel der übrigen Schweiz physisch näher. Seit der Eröffnung der Tunnels besuchen uns immer mehr Interessierte und Nutzende von der anderen Seite der Alpen. Wir leisten auch einen Beitrag zur kantonalen Wirtschaft, indem wir viele Arbeitsplätze für Einheimische schaffen.

«Heutzutage ist das Interesse an KI und maschinellem Lernen so gross, dass das Tessin vielleicht zum Silicon Valley der Schweiz wird.»

Ist das Tessin ein gutes ­Umfeld für die Wissenschaft?

Seit ich vor 16 Jahren hierhergezogen bin, hat das Tessin sein technologisches und wissenschaftliches Potenzial entdeckt und erlebt eine enorme wissenschaftliche Entwicklung, gerade im Bereich Informatik und künstliche Intelligenz. Heutzutage ist das Interesse an KI und maschinellem Lernen so gross, dass das Tessin vielleicht zum Silicon Valley der Schweiz wird. Trotz seiner geringen Grösse verfügt der Kanton über eine grosse Konzentration von starken und innovativen Instituten in verschiedenen Bereichen.

Die Computerwissenschaften werden häufig von Männern dominiert. Wie ist das für Sie?

Tatsächlich sind die MINT-Bereiche immer noch sehr männerlastig, auch in der Schweiz. Selbst jetzt, als stellvertretende Direktorin, muss ich immer noch beweisen, dass ich am richtigen Ort bin und das Richtige tue. Ich stehe ständig unter Beobachtung. Wir müssen als Frauen selbstbewusster auftreten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir vieles gar nicht erst versuchen, weil es zu schwierig scheint. Wir geben zu früh auf, aber das ist nicht die richtige Einstellung.

Simone Pengue ist freier Journalist in Basel und Lugano. Illustrationen: Clara San Millán