Die Bioraffinerien der ersten Generation stehen vor der Frage: Mais auf den Teller oder zu Treibstoff umwandeln? Mit der zweiten Generation ändert sich dies: Sie verwertet Abfälle. | Bild: Getty Images/SimplyCreativePhotography

Erdöl ist der Schmierstoff der modernen Welt: In Raffinerien chemisch aufgespalten liefert es Treibstoff und die Basischemikalien für unzählige Produkte des täglichen Lebens wie Textilien, Medikamente und Plastik. Aber der Rohstoff hat keine Zukunft. Holz als erneuerbare und klimaneutrale Ressource präsentiert sich als interessanter Ersatz. Bioraffinerien können daraus alle benötigten Stoffe herstellen.

Aber wie designt man eine solche Anlage, damit sie wirtschaftlichen und ökologischen Anforderungen standhält? Das Team um den Ingenieur François Maréchal von der EPFL erforscht, wie sämtliche Verfahren einer Bioraffinerie kombiniert werden können, um die optimale Lösung zu finden. Im Rahmen des Nationalen  Forschungsprogramms «Ressource Holz» (NFP 66) hat er ein Simulationsprogramm entwickelt, das die perfekte Bioraffinerie errechnen soll. Gute Planung ist notwendig, denn Bioraffinerien sind technologisches und auch ökonomisches Neuland. Bislang hatte man Biotreibstoffe aus Stärke oder Zucker hergestellt – durch alkoholische Gärung. Dafür hatte man aber Pflanzen wie Mais, Weizen oder Zuckerrohr  verwendet, die auf unserem Speiseplan stehen, was zu einem Teller-oder-Tank?-Konflikt führte.

Die Hoffnung liegt nun auf Treibstoffen der zweiten Generation, die ausschliesslich aus Holz- oder anderen Pflanzenabfällen produziert werden. Das aber ist technisch ungleich anspruchsvoller, denn Holz ist ein komplexes chemisches Gemisch aus Zellulose, anderen Zuckerketten und Lignin. Diese organischen Verbindungen müssen in einer Bioraffinerie chemisch in den gewünschten Treibstoff umgewandelt werden.

Die Industrie zögert

Dabei gibt es gleich mehrere Herausforderungen: Die Konstruktion einer solchen Anlage erfordert völlig neue chemische Verfahren, die sich von klassischen Raffinerien unterscheiden. Doch diese befinden sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium, stammen aus Laboren oder kleinen Versuchsanlagen und sind noch wenig bis gar nicht im industriellen Massstab erprobt worden. Und weil Erfahrungen fehlen, ist es ökonomisch riskant. Einige Firmen scheiterten bereits daran, Biotreibstoff aus Holz oder Pflanzenabfällen  herzustellen. Zu kompliziert war der Prozess, zu teuer das Ausgangsmaterial und Erdöl noch immer zu billig – auch wegen des Fracking-Booms in den USA.

François Maréchals Ansatz ist daher, nicht nur auf Biotreibstoff allein zu setzen, sondern in der Bioraffinerie auch Basisstoffe für die chemische Industrie zu produzieren: «Wir versuchen damit, eine normale Raffinerie nachzubilden – nur eben mit Holz als Ausgangsstoff.» Das erfordert neue Verfahren: Die Umwandlung des Holzes soll in zwei Hauptprozesse aufgeteilt werden – einen biochemischen und einen thermochemischen (siehe «Das Holz kochen»).

«Wir haben einen Kompromiss zwischen Ökonomie und Ökologie getroffen.»François Maréchal

Aber was soll man nun am besten aus dem Holz für Treibstoffe und Chemikalien produzieren, um am Markt bestehen zu können? Maréchal speist alle Kostenfaktoren ein, für Gerätschaften, Rohmaterial, Energie, Wasser, Reagenzien. Dann rechnet er für verschiedenste Kombinationen von Chemikalien und Treibstoffen die möglichen Erlöse durch. Das ökonomische Gewinnerpaar für eine mittelgrosse 200-Megawatt-Bioraffinerie war: Bernsteinsäure und der Treibstoff Dimethylether für Dieselmotoren. «Bernsteinsäure dient als Basis für verschiedene Produkte der chemischen und pharmazeutischen Industrie sowie für Biokunststoffe», sagt Maréchal. Das US Department of Energy zählt die Chemikalie zu den zehn Bioraffinerie-Produkten mit dem höchsten Potenzial. «Es ist am lukrativsten, sie biochemisch zu erzeugen. Hier wären wir bereits markttauglich.»

Anders als eine Raffinerie für Erdöl muss eine Bioraffinerie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch umweltfreundlich sein. Sie soll möglichst viel Kohlendioxid einsparen. Obwohl Holz das Kohlendioxid vorher bindet, das später im Fahrzeug wieder freigesetzt wird, benötigt die Umwandlung von Holz in Treibstoff zusätzlich Energie. Zudem haben verschiedene Treibstoffe einen unterschiedlich guten Wirkungsgrad beim Verbrennen. Also macht Maréchal auch eine ökologische Simulation. Das Ergebnis: Am besten wäre es, wenn die Bioraffinerie nur Erdgasersatz (synthetisches Erdgas) und Diesel erzeugte. «Schliesslich haben wir zwischen Ökonomie und Ökologie einen Kompromiss getroffen», sagt der Forscher. Das Gewinnerpaar: Bernsteinsäure und synthetisches Erdgas.

Maréchals Arbeit könnte bald Eingang in die Praxis finden: Mithilfe seiner Software will Michael Studer von der Berner Fachhochschule die ökonomische Analyse einer im Jura geplanten Pilotanlage im Rahmen des NFP 66 durchführen. Sie soll künftig aus Holzabfällen Ethanol produzieren, der als Treibstoff dienen kann. Maréchals Strategie eines Bioproduktewerks hat Studer im Blick. Dennoch will er zunächst nur mit einem Endprodukt starten, um den Hauptprozess im Pilot-Massstab zu untersuchen. Weitere Produktionsketten sollen später zugeschaltet werden. Studer setzt seine Hoffnungen auf das hochintegrierte Prozessdesign der Anlage: «Vier normalerweise seriell ablaufende Prozesse finden bei uns in einem einzigen Reaktor statt», sagt er. Da ein Drittel des Zellulose-Ethanol-Preises durch die normalerweise hohen Investitionskosten entsteht, erhofft sich Studer so drastische Einsparungen.

Kritische Menge Biomasse fehlt

Aber: «Man kann nicht einfach Standardverfahren auf die Schweiz übertragen, mit denen in einem Werk im Ausland heute mehrere hunderttausend Tonnen Biomasse pro Jahr verarbeitet werden», sagt Studer. «Uns stehen hier nicht die Mengen an Biomasse wie in den USA oder in Schweden zur Verfügung.» Hohe Investitionskosten kann man somit nicht einfach durch höhere Produktion abfedern. «Nur 60 Prozent des Buchenholzes können als Schnittholz verwendet werden, der Rest geht in die Energieindustrie», sagt Studer. Doch so viele Holzpellets für Heizungen könne man gar nicht produzieren. Daher die Idee, die Produktionsanlage mit der Bioraffinerie zu kombinieren.

Nicht alle sind vom Konzept überzeugt. Philip Hasler von den Beteiligungsunternehmen Emerald Technology Ventures beobachtet den Markt seit vielen Jahren. Für Biotreibstoffe aus Holz oder Pflanzenabfällen sieht er nur wenig Marktchancen: «Die Technologie ist sehr aufwändig, kapitalintensiv und unerprobt. Die Gewinnmargen sind marginal.» Vielleicht setzt man hier ohnehin auf das falsche Pferd: Angesichts des starken Wachstums der Elektromobilität könne die Nachfrage nach Biotreibstoffen gemäss Hasler künftig sogar sinken.

«Damit eine Bioraffinerie wirtschaftlich betrieben werden kann, braucht es höherwertige Produkte als Treibstoff und die Nutzung möglichst aller Bestandteile in der Biomasse», sagt Hasler. Bernsteinsäure sei ein gutes Produkt, das «drei bis viermal so hohe Umsätze erzeugt wie Biotreibstoffe». Allerdings sei der Markt für Bernsteinsäure noch nicht entwickelt und die Nachfrage noch zu gering. Hasler sieht jedoch weitere vielversprechende mögliche Produkte einer Bioraffinerie: Nahrungsergänzungsstoffe wie Verdickungsmittel oder modifizierte Zucker oder Zellstofffasern für Textilien oder Verbundwerkstoffe.

Das Holz kochen
Im Bioraffineriekonzept des EPFL-Forschers François Maréchal geht das Holz zwei Wege. Im biochemischen Prozess wird es gekocht, die Zellulose und die Zucker werden extrahiert, und anschliessend wandeln Bakterien sie in die gewünschten Basischemikalien um. Im thermochemischen Prozess wird die Biomasse mit Säure in kleine Moleküle aufgebrochen und dann mithilfe von Katalysatoren in Treibstoffe umgewandelt. «Dabei entsteht Abwärme, die wir nutzen, um das erste Verfahren anzutreiben», sagt Maréchal. Das Zauberwort: hochintegriert. Mehrere normalerweise hintereinander ablaufende chemische Verfahren werden auf möglichst kleinem Raum vereint. Und doch ist es auch Maréchals Ziel, die Bioraffinerie möglichst flexibel zu designen. «Die Marktpreise für Chemikalien und Treibstoffe schwanken sehr stark. Die Betreiber müssen die Möglichkeit haben, darauf zu reagieren und umzustellen.»

Der freie Journalist Jens Lubbadeh schreibt unter anderem für die NZZ und die Technology Review.