Inzwischen sieht Honigbienenprofessor Peter Neumann nach einem Einsatz nicht mehr aus wie ein Zombie. Es seien nur noch Punkte zu sehen. | Foto: Fabian Hugo

«Die Bienen haben mich von grausamen Schmerzen befreit!» Peter Neumann sitzt auf dem Teppichboden vor seinem Motelbett. Die Vorhänge sind zugezogen, die Koffer gefüllt. Auspacken lohnt sich nicht, denn der erste Honigbienenprofessor der Schweiz ist für eine Forschungsreise ausgeflogen: gestern noch in Bern, heute in Maryland USA, morgen im Bundesstaat Georgia, danach geht es nach Alabama, Mississippi und weiter um den Globus nach Thailand. Fleissig wie ein Bienchen, möchte man meinen. «Aber Bienen sind faul! Die schlafen viel. Einfach besser organisiert als ich.» Herzhaftes Lachen.

Wach erzählt Neumann per Videotelefonie von vergangenen Reisen: «In der afrikanischen Dornstrauchsavanne Kalahari beobachtete ich ein Bienenvolk, bis meine Zahnfüllung herausfiel und sich die Stelle entzündete. Der Dorfarzt wollte mich ohne Betäubung mit einem Bohrer behandeln.» Da sei er zurück zu den Bienen geflüchtet: Mit dem Stockmeissel hatte er Propolis aus dem Bienenstock gebrochen, eine Kugel aus dem Kittharz geformt und sie in das Loch gestopft. Propolis ist von den Bienen verarbeitetes Baumharz. Nach einer Nacht schon hätten die Schmerzen nachgelassen, beteuert Neumann, da der Stoff – wie auch Honig – entzündungshemmend sei. «Ich bin kein mutiger Held!» Wieder herzhaftes Lachen.

Für alle Immen auf der ganzen Welt
Peter Neumann ist Leiter des Instituts für Bienengesundheit am Department of Clinical Research and Veterinary Public Health an der Universität Bern. Er studierte molekulare Ökologie an der Freien Universität Berlin mit der Vertiefung Genetik von Bienen. Anhand von genetischen Markern der Riesenhonigbienen in Asien konnte sein Team etwa beweisen, dass Völker und Töchtervölker nach einem Jahr Wanderschaft wieder an die gleichen Niststätten zurückkehren. Neumann ist zudem Präsident des Coloss- Netzwerks ( prevention of honey bee colony losses), einer internationalen gemeinnützigen Vereinigung, die sich für die Verbesserung des Wohlergehens der Bienen auf globaler Ebene einsetzt.

Schmerzempfindlich aber auch nicht: Tausende Male schon ist der Forscher gestochen worden. Da er mit über zwei Metern überdurchschnittlich gross ist, muss er die kurzen Ärmel und Hosenbeine der Imkeranzüge oft mit Gaffa-Tape abdichten, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, wo die Tiere aggressiver sind. «Trotzdem schaffen es immer ein paar Tiere unter den Stoff und nageln dich.» Danach überziehen gerne mal dreissig Stiche Gesicht, Handgelenke und Fussknöchel wie weiche Luftkissen. «Das gehört dazu», sagt Neumann. Irgendwann gewöhnt sich der Körper an das Gift. «Inzwischen sehe ich nach so einem Einsatz nicht mehr aus wie ein Zombie. Dann sind nur noch Punkte zu sehen.»

Schon als Berliner Stadtkind liebte Peter Neumann es, die Zeit mit Insekten zu verbringen, etwa auf dem Asphalt zu liegen und Ameisen mit Glace zu füttern. Er beobachtete, wie sich die sozialen Krabbler gegenseitig halfen. Er versuchte Bienenschwärme durchzuzählen und war fasziniert davon, wie Wespen Lappen aus Frühstücksschinken säbelten. Der Junge wollte verstehen: Wie schafften es scheinbar dumme Tiere, sich derart clever zu organisieren? Und am Ende gemeinsam gute Entscheidungen zu treffen?

«Polarbären und Honigbienen haben etwas gemeinsam. Sie sind niedlich. Die Leute machen sich ein bisschen Sorgen, wenn sie verhungern.»

Und so haben die Bienen Neumann zwar in der Kalahari einen guten Dienst erwiesen, eigentlich ist es aber er, der sich ihrer Gesundheit verschrieben hat. Als Leiter des Instituts für Bienengesundheit an der Universität Bern und als Präsident des Netzwerks Coloss, bei dem rund 1900 Kolleginnen und Kollegen aus 114 Ländern Mitglied sind, forscht er weltweit zu den Ursachen des Bienensterbens. Auf seiner Mission arbeitete und lebte Neumann schon auf allen Kontinenten mit Bienen zusammen – ausser in arktischen Gefilden, wo es keine gibt. «Polarbären und Honigbienen haben aber etwas gemeinsam. Sie sind niedlich. Die Leute machen sich ein bisschen Sorgen, wenn sie verhungern.»

Vor rund dreissig Jahren sei er für sein Thema noch ausgelacht worden. Wie kann man mit einem Schwachsinn wie Bienengesundheit Geld verdienen, hiess es. Das habe sich gründlich geändert. Kein Wunder: Den Bienen, den Insekten überhaupt, geht es so schlecht wie nie zuvor. Und: Wir brauchen sie. Die Wertigkeit anderer Lebewesen am Nutzen zu messen, den sie uns bringen, das sei zwar Irrsinn. «Aber uns muss bewusst sein, dass die Insekten für uns wichtig sind und wir sie schützen sollten.» Das berühmte Einstein-Zitat sei zwar wohl eher von Imkern erfunden worden – «Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben» – und es stimme so auch nicht. Aber Bestäuber seien für eine günstige und gesunde Ernährung entscheidend. Laut Neumann hängen rund ein Drittel unserer Lebensmittel von ihnen ab.

Gruseliges Massensterben

«Kristallklare Daten zeigen, dass wir zu hohe Völkerverluste haben. Zehn Prozent Verlust im Jahr sind für hiesige Imker normal. 20 bis 30 Prozent nicht. Ich kenne viele Fälle, bei denen sogar alles wegstirbt.» Nahezu alle gehaltenen Honigbienen hierzulande sind chronisch krank – von der virenlastigen Varroamilbe befallen. Mit Medikamenten lassen sie sich einigermassen behandeln. Die meisten Völker auf der Erde, rund 90 Prozent, sind aber wild. «Da sehe ich das grössere Problem, weil wir keine Kontrolle haben. Viele der Bienenarten sind vom Aussterben bedroht. In der Geschichte des Lebens gab es immer wieder Faunenschnitte, bei denen rund 90 Prozent der Arten verschwanden. Die Insekten waren davon stets ausgenommen. Sie sind taff. Jetzt sterben sie zum ersten Mal massenhaft aus. Und wir kennen die Gründe nicht. Gruselig.»

Ein paar Hauptverdächtige gibt es aber: eingeschleppte Krankmacher wie die Varroamilbe, schwindende Lebensräume, Pestizide, Klimawandel. Ein Spezialgebiet Neumanns ist der Kleine Beutenkäfer, der durch den globalen Handel aus dem südlichen Afrika auf andere Kontinente eingeschleppt wurde. Als Parasit ernährt er sich von Honig, Pollen, Bienenbrut und lässt sich sogar von Honigbienen direkt füttern. Auch um den Käfer weiter zu erforschen, ist Neumann jetzt in den USA unterwegs. Sein Projekt untersucht, inwiefern sich Paarung und Vermehrung invasiver Insektenarten an neue Verbreitungsgebiete anpassen. «Eingeschleppte Arten sind ein Hauptproblem. Sie können massive Schäden verursachen und sich explosionsartig vermehren.» Erste Ergebnisse zeigen klar, dass sich die Käfer grundsätzlich mehrfach verpaaren, was ein möglicher Faktor für die erfolgreiche Etablierung in neuen Gebieten ist.

«Ich bin ein Hektiker. Aber die Bienen machen mich ruhig.»

Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer. So konnte Neumann zeigen, dass Viren von menschengehaltenen Bienen weniger schädlich für Wildbienen sind als bisher angenommen. In Brasilien und in Afrika seien die Bienen zudem robust und kämen mit der Varroamilbe und schlechten Imkern klar. «Ich habe mich in Brasilien in ein gesundes Bienenvolk verliebt, wie aus dem Bilderbuch. Wenn wir sie verstehen, haben wir viel gewonnen.» Er lese Völker analytisch von vorne bis hinten. Was passiert am Eingang? Ist Brut da? Ist das Nest löchrig?

Wie eine Biene auf einer Wiese schwirrt Neumann jetzt von einem köstlichen Fakt zum anderen, bis der Kopf brummt: Bienen wechseln sich beim Heizen ab. Bienen haben Begabungen und Vorlieben. Bienen kommunizieren durch Duft, Tänze und Fühlerklopfzeichen. Bienen können zählen, und Bienen haben ein Verständnis von Null. Leidenschaftlich fuchteln auch mal die Hände beim Erzählen mit. «Ja, ich bin ein Hektiker», räumt er ein. Das funktioniere auf dem Feld so natürlich nicht. «Aber die Bienen machen mich ruhig. Da heisst es: Om. Andere machen die Räucherkerze an, bei mir ist es der Smoker.»