Auf Haut und Schleimhäuten finden sich unzählige Mikroben. Die meisten besiedeln aber den Darm. Die Bakterien, Hefepilze, anderen Einzeller und Viren darin bringen es zusammen auf über ein Kilogramm. Daran wird seit einiger Zeit intensiv geforscht. Aber auch die Erforschung des Mikrobioms anderer Körperregionen beginnt gerade. Das Neugeborene etwa erhält seine erste wichtige Mischung aus Kleinstorganismen von der Mutter via Vagina und Stillen. Doch auch Mund, Atemwege, Haarwurzeln und Harnwege haben ihre eigenen Mikrobiome. | Illustration: Oculus

Die Fäkalien-Pille schlucken

Die Menschen, die aufgrund wiederkehrender Infektionen mit dem Bakterium Clostridium difficile an starkem Durchfall und Bauchweh leiden, sind nicht zimperlich: Das Schlucken von Stuhlextrakt – in Kapseln verpackt – führe in 95 Prozent dieser Fälle zu einer dauerhaften Heilung, sagt der Infektiologe Benoît Guery vom Universitätsspital Lausanne. Bei Antibiotika liege die Erfolgsquote lediglich bei etwa 30 Prozent. Für diese sogenannte Stuhltransplantation hat in der Schweiz nur sein Spital eine Zulassung. Die Idee dahinter: Das Bakterium Clostridium difficile nimmt im Darm von Menschen überhand, bei denen die Gemeinschaft von Mikroben (Mikrobiom) durch eine vorhergehende Antibiotikabehandlung verarmt ist. Durch das Schlucken einer von einem gesunden Menschen stammenden Stuhlprobe siedelt sich eine vielfältige Darmflora an, die das Gleichgewicht wiederherstellt.

«Früher waren verzweifelte Patienten gezwungen, sich selbst Stuhlproben zu organisieren und mit dem Küchenmixer aufzubereiten », so Guery. Diese gefährliche Praxis gehört nun der Vergangenheit an: Spendewillige Personen durchlaufen einen Gesundheits-Check, damit sie keine Krankheiten an die Empfängerinnen übertragen, und die Zubereitung der Kapseln ist ebenfalls standardisiert. Stuhltransplantationen sind auch für andere Leiden wie entzündliche Darmkrankheiten oder Autismus im Gespräch. Hierzu fehlt es aber noch an Evidenz.

Arche Noah für Mikroben

Für Saatgut gibt es bereits eine Bank auf Spitzbergen. Eine ähnliche Schatzkammer soll bald auch in der Schweiz entstehen: Statt Samen wollen Forschende dort allerdings die Proben von menschlichen Mikrobiomen aus aller Welt hinterlegen. Das jedenfalls ist der Plan der internationalen Microbiota-Vault-Initiative, an der auch Schweizer Institutionen massgeblich beteiligt sind.

Die Vielfalt des menschlichen Mikrobioms soll für die Nachwelt gesammelt werden, bevor es zu spät ist. Denn seit einigen Jahren zeichnet sich eine Verarmung an Bakterienarten ab, vor allem in der Darmflora der Menschen in industrialisierten Ländern. Schuld daran sind wohl der Einsatz von Antibiotika, die einseitige Ernährung und fehlender Kontakt mit der Natur. «Gleichzeitig sehen wir einen Anstieg an chronischen Krankheiten wie Allergien, Übergewicht und Diabetes», sagt Pascale Vonaesch von der Universität Lausanne, eine der Hauptverantwortlichen der Pilotphase.

Anhand von 2000 Stuhlproben entwickeln die Forschenden im Pilotprojekt zurzeit Methoden, um die Mikrobiome zu konservieren und zu reaktivieren. «Das ist viel anspruchsvoller als bei Samen, da es sich um komplexe Mischungen von Bakterien handelt, die unter verschiedenen Bedingungen überleben.» Für die Unterbringung der Kühlbehälter mit den Proben sucht das Team noch nach einem alten Militärbunker.

Den Mörder identifizieren

Die DNA-Analyse des Speichels in der Bisswunde des Mordopfers klärt noch nicht alles – denn die verdächtige Person hat einen eineiigen Zwilling mit identischen Genen. Mit diesem hypothetischen Fall als Idee versuchte ein Team der Universitäten Lausanne und Freiburg die Personen stattdessen anhand der Bakterienzusammensetzung ihres Speichels zu unterscheiden.

Bei 30 eineiigen Zwillingspaaren war die Kombination an Bakterien im Mund je Zwilling einzigartig. Die Schwierigkeit dabei: Das individuelle Mikrobiom ändert sich im Lauf der Zeit, etwa bei Umstellung der Ernährung, und es gibt Überlappungen zwischen den Geschwistern. Deshalb braucht es ausgefeilte statistische Methoden. «Grundsätzlich eignet sich die Methode für die Forensik», so Teammitglied Laurent Falquet. «Aber noch sollte allein darauf basierend niemand schuldig gesprochen werden.»

Von Essen und Depression

Die Darmflora ist mitverantwortlich für zahlreiche Krankheiten des Gehirns – darunter Leiden wie Depressionen und Schizophrenie. Vielleicht wäre für die Betroffenen via Ernährung eine Besserung möglich. «Aber oft gibt es kaum klinische Studien dazu, auch über die Mechanismen ist wenig bekannt», sagt der Psychiater Dragos Inta von der Universität Freiburg.

Er untersucht, weshalb etwa ein Drittel der Menschen mit Depressionen auch starkes Übergewicht haben. «Anders als bei der klassischen Depression spielen hier neuroinflammatorische Prozesse eine Rolle», erklärt Inta. Vermutlich lösen im Bauch produzierte Botenstoffe chronische Entzündungen im Gehirn aus. Mit einem internationalen Team untersucht er nun, ob eine kohlenhydratarme Diät sowohl gegen Übergewicht als auch Depressionen hilft.

Zeig mir deine Darmflora!

Gesundheit hängt stark mit Einkommen und mit Bildung zusammen. Welche biologischen Mechanismen dahinterstecken, ist wenig bekannt. «Ein mögliches Bindeglied ist die Zusammensetzung des Mikrobioms», sagt der Gesundheitssoziologe Stéphane Cullati von der Universität Freiburg. Seine Hypothese: Soziale Variablen bestimmen die Ernährung, diese wiederum prägt die Darmflora, die dann nachweislich die Gesundheit beeinflusst. Um solche Zusammenhänge zu belegen, verwendet Cullati grosse Datensätze beispielsweise aus dem American Gut Project mit über 10 000 Teilnehmenden. Erste Auswertungen zeigen, dass ein höheres Bildungsniveau mit grösserem mikrobiellem Artenreichtum korreliert. «Möglicherweise verdienen diese Menschen mehr, können sich also bessere Lebensmittel leisten und haben deshalb ein gesünderes Mikrobiom. » Für definitive Resultate sei es aber zu früh.

Helfer bei Medikamenten

Die Tabletten, die wir schlucken, sind oft ein gefundenes Fressen für Bakterien. «Es gab schon lange anekdotische Berichte, dass die Darmflora die Wirkung bestimmter Medikamente wie etwa Digitoxin beeinflusst», sagt der Schweizer Mikrobiologe Michael Zimmermann, Gruppenleiter am Europäischen Labor für Molekularbiologie in Heidelberg. Er hat erstmals systematisch untersucht, ob häufig vorkommende Darmbakterien tatsächlich medizinische Wirkstoffe modifizieren und wie.

Das Resultat: Ganze zwei Drittel der 271 getesteten Medikamente wurden in andere Substanzen umgewandelt. «Diese Effekte müsste man beim Entwickeln, Verschreiben und Dosieren von Medikamenten berücksichtigen.» Denkbar sei eine personalisierte Anpassung des Darm-Mikrobioms an bestimmte Medikamente durch probiotische Lebensmittel oder Stuhltransplantate.