Gerade mal zwei Labors weltweit – eines davon in der Schweiz – beschäftigen sich mit der Stabheuschrecke Timema. | Foto: zVg

Manche können auch ohne Männchen
Stabheuschrecke Timema aus den Bergen Nordamerikas
Interessant weil: Unterschiedliche Arten der Gattung Timema pflanzen sich auf unterschiedliche Weisen fort.

Weshalb nehmen derart viele Tierarten die Mühen der sexuellen Fortpflanzung auf sich? Und warum verzichten andere auf Männchen? Stabheuschrecken der Gattung Timema könnten diese Fragen beantworten. Mit ihrer Forschungsgruppe der «Sexperten», wie sie es nennt, untersucht Tanja Schwander an der Universität Lausanne zehn Arten dieser etwas an Ohrwürmer erinnernden Insekten.

«Im Lauf der Evolution ist bei den Timemas mehrmals unabhängig voneinander asexuelle Fortpflanzung entstanden », sagt Schwander. Bei den von ihr untersuchten Arten sind immer zwei eng verwandt – die eine pflanzt sich sexuell fort, die andere asexuell. Ein Resultat ihrer Studien: Die ständige Neuanordnung des Erbguts durch geschlechtliche Fortpflanzung führt dazu, dass sich sexuelle Arten rascher an Umweltveränderungen anpassen.

An den Timemas kann somit stellvertretend die Fortpflanzung aller Lebewesen untersucht werden. Sie seien ein spannender Modellorganismus, sagt Schwander. «Aber manchmal wäre ich froh, ich würde mit Drosophila arbeiten. » Die Taufliege vermehrt sich in weniger als zwei Wochen, weshalb sie praktisch für Forschung ist und Tausende Gruppen mit ihr arbeiten. Timemas hingegen haben bloss eine Generation pro Jahr, und es beschäftigen sich gerade mal zwei Labors weltweit intensiv mit ihnen. Experimente sind deshalb langwierig, und es fehlen Erfahrungen, Arbeitsroutinen und genetische Werkzeuge.

Sie finde es aber wichtig, dass es mehr solcher Modellorganismen gibt als die fünf, sechs meistbenutzten, sagt Schwander. «Nur schon, weil man die Vielfalt der Natur mit Labormaus, Taufliege und Hefe alleine nicht abbilden kann.» Etwas skeptisch ist sie gegenüber Förderprogrammen für neue Modellorganismen, wie die 24-Millionen-Dollar- Initiative der US-Forschungsförderbehörde NFS. «Forschende müssen für ihre Projekte und Fragestellung selbst das geeignete System finden und motiviert sein, damit zu arbeiten.»

Hell erleuchtet unter dem Lichtmikroskop, fristet das Pantoffeltierchen Paramecium tetraurelia sonst eher ein Schattendasein. | Foto: zVg

Manipulator des eigenen Erbguts
Pantoffeltierchen Paramecium tetraurelia aus Algenteppichen in Süsswasser
Interessant weil: Das Pantoffeltierchen rearrangiert sein Erbgut neu.

Im Biologieunterricht sind Pantoffeltierchen beliebte Anschauungsobjekte. Es handelt sich um relativ grosse, durchsichtige Einzeller, deren Organellen man schon durch ein Lichtmikroskop in den Zellen beobachten kann. Als Modellorganismen fristen sie eher ein Schattendasein. Zu Unrecht, findet Mariusz Nowacki von der Universität Bern. «Aufgrund der Grösse lassen sich an ihnen viele Zellprozesse hervorragend untersuchen», sagt er. Nowacki untersucht zum Beispiel, wie Pantoffeltierchen bei der Teilung ihr Erbgut zerschneiden und neu arrangieren. Ähnliche Prozesse laufen auch in menschlichen Krebszellen ab.

Mauerblümchen? Nein, die Wildtomate Solanum bietet wertvolle Einblicke in die Artbildung. | Foto: zVg

Neue Arten in Isolation
Wildtomate Solanum aus den Bergen Südamerikas
Interessant weil: An Wildtomaten lassen sich Mechanismen der Evolution studieren.

Momentan sind 13 Wildtomaten-Arten bekannt, wobei manche sich miteinander kreuzen können. So auch zwei eng verwandte Arten, deren Erbgut Simon Aeschbacher von der Universität Zürich analysiert. Ihre Verbreitungsareale werden grösstenteils durch die peruanische Küstenwüste getrennt, was die gegenseitige Befruchtung verhindert. An einigen Orten jedoch berühren sich die Verbreitungsgebiete, es kann ein genetischer Austausch stattfinden. Das sind beste Voraussetzungen, um herauszufinden, wie Distanz und Lebensräume die Artbildung generell beeinflussen.

Die Tunikate Botrylloides ist ein Tier, das sich nur schwer im Labor halten lässt. | Foto: John Turnbull

Geheimnisträger für Frischkur
Tunikate Botrylloides aus Felsen im Meer
Interessant weil: Die Tunikaten können ihren Körper aus kleinsten Gefässstücken
vollständig wiederherstellen.

Tunikaten gelten als die engsten Verwandten der Wirbeltiere – und sie können etwas, was kein Wirbeltier beherrscht: Selbst das kleinste Gefässfragment wächst zu einem ganzen Tier nach. Simon Blanchoud von der Universität Freiburg untersucht diese Ganzkörperregeneration an kolonialen Tunikaten der Gattung Botrylloides. Das einzelne Tier misst kaum drei Millimeter. In Blanchouds Labor leben die winzigen Meeresbewohner auf Glasplättchen. Er sei begeistert von den Tieren, sagt der Forscher. «Mit ihnen kann man eine Vielzahl grundlegender biologischer Fragen untersuchen.» Aber es mangelt auch nicht an Herausforderungen. So lässt sich der Zeitpunkt der sexuellen Fortpflanzung im Labor noch nicht kontrollieren. Auch die Haltung birgt ihre Tücken. «Alle anderen Labors, die mit Botrylloides arbeiten, liegen in Meeresnähe und haben Zugang zu normalem Meerwasser. Unsere Kultur in künstlichem Meerwasser bietet eine kontrolliertere Umgebung, aber wir wissen noch nicht genau, ob es die Tiere über längere Zeiträume hinweg stört.»

Zuerst in die Schweizer Natur, dann in ein Schweizer Labor eingechleppt: die Schlauchpflanze Sarracenia purpurea. | Foto: Ray Coleman/SPL/Keystone

Fleischfresser mit Mikro-Ökosystem
Schlauchpflanze Sarracenia purpurea aus nassen Böden in Nordamerika
Interessant weil: In den Röhren bildet sich eine ganze Nahrungskette.

Die schlauchförmigen Blätter von Sarracenia purpurea fangen Regenwasser auf – und Insekten, die in diese Falle geraten. Bakterien zersetzen die Insekten und werden selber Beute von Einzellern, sogenannten Protisten. Für diese Mitbewohner der fleischfressenden Pflanze aus Nordamerika interessiert sich Louis-Félix Bersier von der Universität Freiburg.

«Es ist ein einfaches Modell, um auf kleinem Raum die Abläufe in einem natürlichen Ökosystem zu studieren», sagt Bersier, der früher Ökosysteme auf Wiesen am Neuenburgersee studierte. «Dort hatten wir zwölf Felder mit 144 Untersuchungsflächen, Hunderten von Arten und noch mehr Interaktionen – das machte es aufwendig.» Beim Umstieg auf das neue System kam ihm der Zufall zweifach zu Hilfe: Eine Studentin, die sich bei ihm bewarb, hatte Erfahrung mit der Schlauchpflanze. Und er fand heraus, dass die Pflanze in die Schweiz eingeschleppt worden war. An einigen der Standorte führt er nun Experimente durch und holt von dort Proben des Schlauchpflanzenökosystems ins Labor.

Der Süsswasserpolyp Hydra vulgaris ist auch im Schulunterricht spannend. | Foto: zVg

Nahezu unsterblich
Süsswasserpolyp Hydra vulgaris aus pflanzenreichem Süsswasser
Interessant weil: Das Tier altert nicht.

Die Hydra, sagt Brigitte Galliot, sei «ein Beutel, gefüllt mit Stammzellen» – bei guter Haltung fast unsterblich, ideal, um Wundheilung, Geweberegeneration und Alterung zu untersuchen. Seit 30 Jahren arbeitet die Forscherin von der Universität Genf mit diesen einzelgängerischen Süsswasserpolypen – und ihre Begeisterung für sie hat nicht nachgelassen. Denn, sagt Galliot, die Hydra sei auch ein spannendes Tier, mit dem sich leicht jedermanns Neugier wecken lasse.

Er vermehrt sich schneller als die Maus: der Killifisch Nothobranchius furzeri. | Foto: Nadine Grimm

Mit fünf Monaten schon ein Greis
Killifisch Nothobranchius furzeri aus saisonalen Gewässern in Afrika
Interessant weil: Der Killifisch führt ein Leben im Zeitraffer.

Der Killifisch hat sich in den letzten Jahren zu einem Liebling der Forschungsgemeinschaft gemausert. Er altert extrem schnell, manche Laborstämme haben eine maximale Lebensspanne von 150 Tagen. Zudem zeigt sein Körper klare Alterserscheinungen. An dem kleinen Zahnkärpfling aus Afrika lässt sich deshalb hervorragend der Alterungsprozess untersuchen – stellvertretend für alle Tiere. «Verglichen mit Standard-Wirbeltiermodellen wie der Maus können wir Experimente in viel kürzerer Zeit durchführen », sagt Alejandro Ocampo von der Universität Lausanne, der vor gut einem Jahr die erste Killifisch-Kolonie in ein Schweizer Labor gebracht hat.