Die ziemlich ansteckungssichere Begrüssung per Fuss ging als Wuhan-Shake rund um den Globus.| Foto: Angelika Annen

In der Coronapandemie wird in der Schweiz noch häufiger an die Selbstverantwortung appelliert als sonst schon. Zunächst hat mich das genervt: Angehörige einer Risikogruppe können sich ja nicht selbstverantwortlich schützen, wenn andere den Sicherheitsabstand nicht einhalten.

Ich wünschte mir klare und allgemeinverbindliche Regeln: Wann ich eine Maske tragen soll und wann nicht. Ob ich meine Freunde jetzt umarmen darf oder nicht. Ob ein Stuhl mehr an den Tisch gestellt werden darf, wenn wir dafür den Abstand einhalten. Auf der Suche nach Klarheit schauen wir zu den Wissenschaftlerinnen. Aber auch sie können uns nicht vor der Ungewissheit schützen. Wie stark Schulkinder zur Verbreitung des Virus beitragen, konnte zu Beginn höchstens geschätzt werden. Wie der Krankheitsverlauf abgemildert werden kann, muss zuerst getestet werden. Wie lang die Immunität nach überstandener Krankheit anhält, wissen wir immer noch nicht. Ausserdem: Während die Wissenschaftlerinnen selbst noch mit ihren Fachkollegen über die Qualität von Studien stritten, mussten sie deren Bedeutung schon der Öffentlichkeit erklären.

«Gerade in verwirrenden Zeiten und selbst dann, wenn kleine Entscheidungen grosse Folgen haben können, dürfen wir nicht warten, bis uns vielleicht jemand sämtliche Antworten liefert.»

Auch bei der Planung dieser Horizonte-Ausgabe gab es Unsicherheiten. Dass wir einen Fokus zur Coronakrise machen, war zwar schnell klar, aber wir fragten uns: Was möchten wir zur breiten medialen Berichterstattung noch hinzufügen? Welche Aspekte werden die Leser noch interessieren, wenn das Magazin knapp vier Monate nach der ersten Themensitzung erscheint? Welche Kritik am Verhalten der Forschenden ist angesichts der Lage gerechtfertigt?

Und plötzlich verstehe ich die Bedeutung von Selbstverantwortung: Gerade in verwirrenden Zeiten und selbst dann, wenn kleine Entscheidungen grosse Folgen haben können, dürfen wir nicht warten, bis uns vielleicht jemand sämtliche Antworten liefert. Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen. Das tun wir bei Horizonte dort, wo wir kompetent sind: Wir erlauben uns ein Urteil darüber, wie sich die Forschenden in der Krise geschlagen haben und welche Lehren wir für das System Wissenschaft aus dieser Zeit ziehen sollen.