«Wie man Reviews schreibt, habe ich on the Job gelernt.»
Zoë Holmes
Professorin für Quanteninformation, EPFL

«Ich weiss nicht genau, wie viele Anfragen für Peer-Reviews ich erhalte, es sind viele – vielleicht zwei pro Woche? Ich muss die meisten ablehnen und nehme nur an, wenn ich einen guten Grund dafür sehe. Aktuell habe ich zwei in Arbeit. In einem Fall habe ich die Gelegenheit, eine Person besser kennenzulernen, die mich interessiert. Dies könnte – wer weiss – zu einer Zusammenarbeit führen. Die andere Anfrage kommt von einem ziemlich renommierten Journal, für das ich noch nie ein Gutachten geschrieben habe. Das ist eine neue Erfahrung und, seien wir ehrlich, ziemlich gut für meinen Lebenslauf.

Konferenzen sind wichtiger als Fachzeitschriften

Ich begutachte pro Jahr zwischen fünf und zehn Artikel. Hinzu kommen Dutzende von Beiträgen, die für Konferenzen eingereicht werden und die ich als Mitglied von Programmleitungen begutachte. In meinem Fachgebiet ist es manchmal schwieriger, dass ein Beitrag an einer der beiden grossen Konferenzen akzeptiert wird als in einer renommierten Fachzeitschrift.

Ich schreibe fast alle meine Bewertungen im Zug oder im Flugzeug und stelle mir jeweils zwei Fragen: Ist der Artikel fundiert? Trägt er etwas bei? Wenn nein, versuche ich, meine Überlegungen zu erklären. Wenn ja, versuche ich, mich auf das Wesentliche zu beschränken, und mache deutlich, wenn Vorschläge optional sind. Ich möchte die Autorinnen nicht mit Arbeit für eine letztlich inkrementelle Optimierung belasten. Wie man Reviews schreibt, habe ich on the Job gelernt, da ich praktisch keine Ratschläge von Kollegen erhalten habe. Ich versuche, dies zu ändern, indem ich meine Studierenden Reviews verfassen lasse, die wir dann besprechen. Gutachten zu meinen Artikeln kann ich meistens gut akzeptieren. Ich habe selten das Gefühl, mein Artikel sei falsch verstanden worden. In der Regel sehe ich die angesprochenen Punkte und kann den Text damit verbessern. Vor Kurzem hat mich ein Kommentar zu einer konzeptionellen Nuance dazu bewogen, meine Perspektive zu ändern. Das kommt selten vor, ist aber sehr wertvoll.

«Die Veröffentlichung nach dem Preprint ist in erster Linie eine Auszeichnung.»

Auf dem Preprint-Server Arxiv abgelegte Manuskripte spielen in der Physik bereits eine wichtige Rolle, bevor sie begutachtet werden. Die anschliessende Veröffentlichung ist in erster Linie eine Auszeichnung. Manchmal bleiben sehr wichtige Arbeiten auf Arxiv, ohne je veröffentlicht zu werden. Die Website Scirate, auf der man Preprints empfehlen und kommentieren kann, hilft mir, die rund hundert Artikel zu filtern, die jede Woche online gestellt werden. Ich informiere mich auch auf X (früher Twitter, Anm. d. Red.), wo viele Diskussionen stattfinden.

Manchmal schreibe ich einer Autorin direkt, wenn ich Fragen oder Anmerkungen zu ihrem Manuskript habe. Dann konzentriere ich mich auf das Wesentliche – man kontaktiert niemanden wegen Grammatikfehlern. Diese informelle Begutachtung gewinnt an Bedeutung. Das Peer-Review scheint manchmal – zumindest in meinem Fach – wichtiger für die Karrieren zu sein als für die Qualität der Wissenschaft.»

«Als Reviewerin muss nicht ich entscheiden, ob der Artikel gut zum Journal passt.»
Sophie Martin
Professorin für Zellbiologie, Universität Genf

«Ich versuche, einen Artikel nicht danach zu bewerten, bei welcher Zeitschrift er eingereicht wurde. In erster Linie prüfe ich, ob die Schlussfolgerungen gut durch die Daten untermauert sind. Manche Journals wünschen eine klare Antwort, Ja oder Nein, aber ich verfasse lieber qualitative Gutachten. Dabei ist es nicht meine Aufgabe, zu entscheiden, ob der Artikel gut zum Journal passt. Das muss die Redaktorin anhand unserer Reviews entscheiden. Genau das tue ich, wenn ich selbst Redaktorin bin.

Ich nehme Anfragen für Peer-Reviews an, wenn mich der Artikel interessiert und ich nicht gerade in Arbeit ertrinke. Pro Jahr begutachte ich zwischen zehn und fünfzehn Artikel und beschäftige mich damit mindestens einen halben Tag. Ich mache mir zunächst Notizen, lege diese zwei Tage auf die Seite und stelle dann den Bericht fertig. Da ein Artikel in der Regel mit etwa drei Reviews geprüft wird, versuche ich, rund dreimal so viele zu übernehmen, wie ich Artikel veröffentliche.

Bewertungen sind selten vollkommen daneben

Meistens lehne ich Anfragen ab, die von Publikationen stammen, die ich nicht gut kenne – ebenso Übersichts­artikel, aus denen man wenig lernt und die aufwendig zu prüfen sind, sowie Arbeiten, die augenscheinlich uninteressant sind. Manchmal erhalte ich einen Artikel, den ich bereits für ein anderes Journal negativ beurteilt hatte. In diesem Fall schreibe ich keine weitere Bewertung, damit der Artikel bei jemand anderem eine zweite Chance erhält.

Wie ich mit den Bewertungen meiner eigenen Arbeit umgehe, hat sich über die Jahre verändert. Zu Beginn meiner Karriere habe ich Kritik persönlich genommen. Heute habe ich mehr Abstand und verstehe mehr, wo mein Text tatsächlich verbessert werden könnte. Mit zunehmender Erfahrung stelle ich fest, dass Bewertungen selten vollkommen danebenliegen.

«Das Peer-Review-Verfahren hat seine Schwächen, aber es gibt keine gute Alternative.»

Man spricht viel über Open-Peer-Reviews, bei denen der Gutachter seinen Bericht unterschreibt. Manche Forschende könnten, vor allem am Anfang ihrer Karriere, aus Angst vor den Konsequenzen vielleicht zögern, eine Koryphäe ihres Fachs offen zu kritisieren. Allerdings glaube ich, dass diese Angst oft übertrieben ist. Ein guter Ansatz ist, die Bewertungen unter den Reviewern zirkulieren zu lassen. Das braucht Zeit, stärkt aber das Verantwortungsgefühl und mildert extreme Positionen.

Zuerst zu veröffentlichen und erst dann zu begutachten, ist eine interessante Idee, hat aber Schwächen. Online-Kom­mentare vor dem Peer-Review können Nicht-Expertinnen helfen, sich ein Bild von der Qualität des Artikels zu machen. Aber wer hat schon Zeit, all dies zu lesen? Herausgeberinnen lehnen manchmal Manuskripte direkt ab, ohne Expertinnenmeinungen einzuholen. Das Peer-Review-Verfahren hat seine Schwächen, aber es gibt keine gute Alternative. Trotzdem begrüsse ich solche Initiativen, da das derzeitige System überlastet ist und es Lösungen braucht.»

«Die Redaktorinnen der Journals sollten eine viel aktivere Rolle einnehmen.»
Balthasar Bickel
Professor für Linguistik, Universität Zürich

«Für mich besteht das grundlegende Ziel eines Peer-Reviews darin, festzustellen, ob eine Arbeit einen nützlichen Beitrag zur Wissenschaft leistet oder nicht. Das beurteile ich als Erstes, bevor ich ins Detail gehe. Wenn die Antwort Nein lautet – zum Beispiel weil die Arbeit keinen wesentlichen Fortschritt darstellt oder nicht auf bekannten Fakten aufbaut –, lege ich dar, weshalb das so ist, und schlage dem Journal Alternativen vor. Zu Beginn meiner Karriere vertiefte ich mich meist sofort in die Details und verlor so am Schluss den Überblick.

Manche Gutachten zielen am Artikel vorbei

Ich erhalte mehrere Anfragen pro Monat und versuche, eine davon anzunehmen. Dabei schaue ich, ob mich das Thema interessiert oder ob ich selbst bereits bei der betreffenden Zeitschrift eingereicht habe – dann hat sie Peer-Reviews für mich organisiert und ich revanchiere mich. Wenn ich mich auf dem Gebiet zu wenig auskenne, lehne ich ab oder bewerte nur Teile des Manuskripts. Gewisse Journals teilen die Arbeit auf, damit der statistische Teil und die sprachliche Analyse von jeweils anderen Spezialisten bewertet werden können. Das ist sinnvoll, damit wir uns auf unser Fachgebiet konzentrieren können.

Als Autor schätze ich Gutachten, die mich zum Nachdenken anregen, eine Schwachstelle in meiner Argumentation aufzeigen oder mir helfen, mich klarer auszu­drücken. Nicht immer hat man den Eindruck, dass das eigene Manu­skript wirklich gelesen und verstanden wurde, und nicht selten erhält man dürftige Rückmeldungen. Sie zielen am Artikel vorbei, fordern überflüssige Ergänzungen und zusätzliche Referenzen oder schlagen vor, die Studie nochmals so durchzuführen, wie die Gutachtenden sie gerne gemacht hätten. Erfahrene Forschende ignorieren diese Art von Kritik, aber jüngere trauen sich das nicht unbedingt. Sie versuchen, auf alle Punkte einzugehen. So verlieren alle enorm viel Zeit, und manchmal wird der Artikel dadurch sogar schlechter.

«Das Wichtigste ist, Postdocs zu begleiten, wenn sie beginnen, viele Reviews zu verfassen.»

Die Redaktorinnen der Journals (die das Peer-Review organisieren, Anm. d. Red.) sollten eine viel aktivere Rolle einnehmen und die Gutachten begutachten. Sie können Reviews kommentieren, bevor sie an die Autoren gehen, damit sie gewisse Punkte ignorieren können. Oder eine Reviewerin, die einen unzulänglichen Bericht abgegeben hat, nicht mehr anfragen. Ich habe mich sehr darum bemüht, ein aktiver Herausgeber zu sein, das kostete jedoch enorm viel Zeit, weshalb ich nach sechs Jahren aufgehört habe. Man könnte die Arbeitsbelastung reduzieren, wenn sich mehr Forschende an der Aufgabe beteiligen würden.

Es fehlt an Schulungen zum Peer-Review. Man kann mit Doktorierenden über gute und schlechte Beispiele diskutieren. Das Wichtigste ist, Postdocs zu begleiten, wenn sie beginnen, viele Reviews zu verfassen. Darauf hinzuweisen, dass die Gutachterin keine Co-Autorin ist und man weder neue Forschungsansätze vorschlagen noch Jagd auf Rechtschreibefehler machen, sondern sich auf das Wesentliche konzentrieren soll: zu beurteilen, ob die Argumentation klar und gut abgestützt ist.»