Die Forschungsstation thront seit seit 1931 auf dem Jungfraujoch, das Sphinx-Observatorium und die Aussichtsterrasse kamen später dazu. | Bilder: HFSJG; Pierre Beuret, Bundesamt für Gesundheit; Keystone/Markus Eichenberger.

«Der Tag beginnt sehr früh und endet sehr spät, wenn ich aufs Jungfraujoch fahre. Ich muss um 5 Uhr von Windisch los, um gegen 10 Uhr oben zu sein. Dann hat es noch nicht so viele Touristen, und ich kann in Ruhe durch die Tunnel zur Forschungsstation gehen. Ich verbringe etwa alle zwei Monate einen Tag hier und kontrolliere unsere Messinstrumente. Bei dieser Arbeit werde ich manchmal selbst eine Besucherattraktion, zum Beispiel, wenn ich Kalibriergase zur Sphinx hochbringen muss, in die oberen Stockwerke des Gebäudekomplexes mit der Besucherterrasse. Die Leute fragen neugierig, ich werde fotografiert, und manchmal möchten sie ein Selfie mit mir haben.

Zusammen mit meinem Team von der Empa spüre ich hier auf 3500 Meter über Meer neu hergestellte Treibhausgase in der Atmosphäre auf. Wir interessieren uns besonders für Verbindungen, die in ganz geringen Mengen vorkommen und schwierig zu messen sind, die sogenannten Spurengase.

Von der See in die Höh’

Martin Vollmer | Bild: Judith Hochstrasser

Martin Vollmer arbeitet bereits seit zehn Jahren auf dem Jungfraujoch. Er ist spezialisiert auf die Erkennung von Spurengasen, welche die Ozonschicht schädigen oder das Klima erwärmen. Der Atmosphärenwissenschaftler ist Teil der Forschungsgruppe «Climate Gases» der Empa in Dübendorf. Er promovierte an der University of California San Diego in Ozeanografie und forschte später am Max-Planck-Institut in Mainz sowie am Climate Science Center im australischen Melbourne.

Ich teile sie in vier Gruppen auf. Die ersten zwei Generationen kennt jeder, sie waren für das Ozonloch verantwortlich: die FCKW und HFCKW. Diese wurden durch eine dritte Generation halogenierter Kohlenwasserstoffe ersetzt, welche für die Ozonschicht harmlos sind, aber als extrem potente Treibhausgase zur Erderwärmung beitragen. Diese wiederum wurden von einer vierten Generation abgelöst, den Hydrofluorolefinen (HFO). Diese Verbindungen sind zwar praktisch nicht mehr klimawirksam, können aber zum Teil zu giftigen Molekülen zerfallen. Eines dieser Zerfallsprodukte ist die Trifluoressigsäure (TFA), welche mit dem Regen aus der Luft ausgewaschen wird und so in die Flüsse und Seen gelangt. TFA ist in hohen Konzentrationen schädlich für Mikroorganismen und entsteht aus Verbindungen, die typischerweise in den Klimaanlagen von Autos verwendet werden. Im Moment stellt TFA noch kein Problem dar, aber wir müssen davon ausgehen, dass die HFO bald in enormen Mengen produziert werden, weil die Vorgängersubstanzen reglementiert wurden.

Es ist speziell, in dieser Höhe zu forschen. Manchmal kriegen wir den Sauerstoffmangel zu spüren. Zum Beispiel, wenn es uns nicht gelingt, einen Fehler in unseren Berechnungen zu finden. Sobald wir wieder unten im Tal sind, verstehen wir das Problem sofort. Oder ein sauerstoffreicher Kollege coacht uns per Telefon.

Zum Glück hat unsere Forschungsgruppe früh geahnt, dass die HFO beliebt werden würden, und hat das Gaschromatografen- Massenspektrometer auf dem Jungfraujoch schon entsprechend eingestellt, als sie in der Industrie noch getestet wurden. Ich habe die regelmässigen Messungen 2011 eingeführt. Im ersten Jahr konnte ich in den rund 4000 Proben noch kein HFO entdecken, ein Jahr später vielleicht in zwei, drei. Dann sind die Zahlen immer weiter angestiegen. Heute stellen wir die Verbindungen in rund 70 Prozent der Proben fest. Wie vermutet, haben sie also den Markt erobert.

Globales Frühwarnsystem

Wir Atmosphärenwissenschaftler haben quasi ein weltweites Frühwarnsystem geschaffen. Die hochalpine Messstation ist Teil eines globalen Netzwerkes aus acht Stationen, die miteinander freundlich konkurrieren. Ich habe durchgesetzt, dass sie alle die neuen Spurengase messen. Denken wir dagegen an die FCKW zurück: Sie wurden erst in den 1970ern gemessen, als sie schon seit Jahrzehnten verwendet wurden. Wir mussten damals in unseren Archiven aus Luft in elektropolierten Kanistern nachschauen, um beweisen zu können, dass sie erst von einem bestimmten Zeitpunkt an in der Atmosphäre waren.

Es ist schon deprimierend, immer wieder möglicherweise gefährliche menschengemachte Moleküle zu entdecken. Aber es stimmt mich positiv, dass wir dabei helfen, neue Gefahren frühzeitig zu erkennen. Besonders hier oben, wo man zusehen kann, wie der Aletschgletscher kleiner und kleiner wird.

Manchmal müssen wir auch über Nacht auf dem Berg bleiben. Der Unterschied zum Tag ist frappant: Tagsüber hat es Tausende von Touristen, ein richtiges Gewimmel, nachts dagegen ist alles dunkel, fühlt sich kälter an, ist leise und unheimlich. Dafür unterbrechen wir dann manchmal unsere Arbeit und blicken auf die Lichtermeere des Berner Oberlandes.»

In der Nacht blicken die Forschenden auf dem Jungfraujoch über Wolken und Lichter. | Bilder: HFSJG; Pierre Beuret, Bundesamt für Gesundheit; Keystone/Markus Eichenberger.