Der künftige Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz, Yves Flückiger, findet, dass auch Karrieren ausserhalb der Hochschulen gefördert werden müssen. | Bild: Sébastien Agnetti

Yves Flückiger, haben Sie als Rektor der Universität Genf noch Zeit, in Ihrem Fachgebiet Ökonomie aktiv zu forschen?

Seit meinem Amtsantritt im Jahr 2015 musste ich meine Forschungstätigkeit nach und nach reduzieren. Ich wusste, dass dies der Preis für dieses Amt war. Ich war jedoch bereits 60 Jahre alt, weshalb dies weniger problematisch war als für einen 40-Jährigen, der wohl Schwierigkeiten hätte, nach Ablauf der Amtszeit in die Forschung zurückzukehren. Das erklärt auch, weshalb sich vornehmlich Personen kurz vor der Pensionierung auf solche Posten bewerben. Aus der Sicht der Diversität ist das schade.

Könnte ein Co-Rektorat eine Lösung sein?

Ja, vielleicht. Gewisse Institutionen verteilen die Führungsrollen stärker. Zum Beispiel die ETH Zürich mit einem Präsidenten und einem Rektor oder im Modell der britischen Universitäten mit Vice-Chancellors. Angesichts der exponentiell wachsenden Aufgaben sollten solche Modelle geprüft werden.

Er weibelt für den Forschungsplatz
Yves Flückiger (68) ist Professor für Wirtschaft und Soziologie und Rektor der Universität Genf. Er setzt sich aktiv für den Forschungsstandort Genf in der Schweiz und den der Schweiz in Europa ein. Als der Bundesrat 2021 die Verhandlungen mit der EU über das institutionelle Abkommen abgebrochen hat, war er als Präsident von Swissuniversities, dem Verband der Schweizer Hochschulen, und der LERU (League of European Research Universities) dafür zuständig, den Schaden zu begrenzen. Nach seiner Promotion in Genf forschte und lehrte Yves Flückiger unter anderem in Harvard, Oxford und Lausanne. Er engagierte sich auch in der schweizerischen Wettbewerbskommission und im Nationalen Forschungsrat. 2024 wird er die Universität Genf verlassen und das Amt als Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz antreten.

Bei der Regelung Ihrer Nachfolge gab es Schwierigkeiten. Was ist passiert?

Das Genfer Gesetz sieht vor, dass die von der Universitätsversammlung bestimmte Person schliesslich vom Staatsrat ernannt wird. Dieser hat entschieden, die von der Versammlung vorgeschlagene Person nicht zu ernennen, in erster Linie, weil sie zu weit von den Schweizer Realitäten entfernt war. Die Ernennung der Person, die meine Nachfolge antreten wird, erfolgt nun Anfang Dezember.

Die Schweizer Forschung muss für den Ausschluss von Horizon Europe immer noch büssen. Wie wirkt sich das auf die Atmosphäre an den Hochschulen aus?

Es gibt eindeutig Frustration. Das Dossier ist seit zwei Jahren hängig. In der Schweiz findet weiterhin gute Forschung statt, aber ich stelle eine langsame Erosion fest. Die Community freut sich, dass die Kollegen in Grossbritannien eine Lösung für die Wiederaufnahme ins europäische Programm finden konnten. Das fördert die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den USA und China. Aber nun ist die Schweiz doch etwas allein. Für Grossbritannien ist die Zusammenarbeit weniger dringlich geworden. Und die anderen bilateralen Abkommen mit den USA oder Kanada werden niemals das grösste Forschungsprogramm der Welt ersetzen können, das Horizon Europe ist.

«Die aktuelle Lage ist nach wie vor gut, gewisse Signale sind aber beunruhigend.»

Ein Beispiel für die Erosion?

Die Europäische Kommission hat uns mitgeteilt, dass die Universität Genf und die ZHAW, die den Europäischen Master in Übersetzen initiiert hatten, nicht mehr akkreditiert werden können, weil die Schweiz nicht Mitglied von Erasmus plus ist. Die Europäische Kommission ist deutlich unnachgiebiger geworden. Konkret bedeutet dies, dass unser Masterstudiengang weniger attraktiv geworden ist.

Gilt das auch für die Forschung?

Ja, wir sind insbesondere vom europäischen Quantum Flagship ausgeschlossen – ein grosser Nachteil, da die Schweiz im für die Innovation zentralen Gebiet zu den führenden Ländern gehört. Das Genfer Spin-off ID Quantique eröffnet ein Kompetenzzentrum in Wien mit rund 100 Arbeitsplätzen, die eigentlich in Genf hätten geschaffen werden sollen.

«Es braucht jedoch kostspielige Investitionen, damit wir eine hochmoderne Infrastruktur bieten können!»

Und trotzdem bleibt die Schweiz das innovativste Land der Welt.

Das stimmt. Die Schweizer Institutionen gehören zu den besten der Welt, und es gelingt uns immer wieder, hervorragende Forschende anzuziehen. Es braucht jedoch kostspielige Investitionen, damit wir eine hochmoderne Infrastruktur bieten können! Das Weizmann- Institut in Israel bietet zudem bei der Anstellung ein Budget von zwei Millionen, um sich einzurichten. Viele Schweizer Institutionen können sich das nicht leisten. Die aktuelle Lage ist nach wie vor gut, gewisse Signale sind aber beunruhigend.

Sind Sie besorgt über die vom Bundesrat angekündigten Budgetkürzungen?

Vorgeschlagen wird ein Wachstum von einem Prozent. Unter Berücksichtigung der Teuerung bedeutet dies real eine Reduktion. Die Hochschulen haben in der Vernehmlassung klar gesagt, dass wir ein Wachstum von mindestens 2,5 Prozent benötigen, damit wir mit dem Wachstum der Studierendenzahl Schritt halten können. Wenn wir unsere gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen wollen, brauchen wir ein Wachstum von 3,5 Prozent. Wir wissen aber, dass dies angesichts der Finanzlage des Bundes wohl illusorisch ist. Gleichzeitig werden die sechs Milliarden, die für das Programm Horizon Europe vorgesehen waren, nicht vollständig ausgegeben. Für die Ersatzmassnahmen wird deutlich weniger aufgewendet, weil man für den Fall spart, dass die Schweiz wieder am Programm teilnehmen kann.

«Die Schweizer Wirtschaft beruht auf Stellen mit hoher Wertschöpfung.»

Die Kürzungen betreffen auch Landwirtschaft, Armee und Entwicklungshilfe.

Ja, die Lage der öffentlichen Finanzen muss berücksichtigt werden. Man muss aber auch erwähnen, dass die Schweizer Wirtschaft auf Stellen mit hoher Wertschöpfung beruht. Dafür ist die Wissenschaft die einzige Ressource. Falls die Hochschulen jedoch zu viel verlangen, wird die Politik nicht mitziehen.

Könnten die Hochschulen auch intern ihre Arbeitsbedingungen verbessern?

Wir müssen klar darauf achten, dass die Arbeitsbedingungen im akademischen Umfeld trotz zunehmendem Wettbewerb zufriedenstellend bleiben. Wettbewerb ist notwendig für den Fortschritt, es braucht aber Begleitung. Doktorierende müssen gut betreut werden, ihre Betreuerinnen müssen ihnen genügend Zeit für Forschung geben, und es braucht mehr unbefristete Forschungsstellen. Auch Karrieren ausserhalb der Hochschulen müssen gefördert werden. Dies ist eine der grossen Herausforderungen für Hochschulen weltweit.

«Es ist zentral, die Grundlagenforschung und die damit verbundene akademische Freiheit zu bewahren.»

Gibt es dabei ebenfalls ein Finanzierungsproblem?

Es muss sicher darauf geachtet werden, das Geld gerecht zu verteilen. Wenn das Budget des Schweizerischen Nationalfonds stärker erhöht wird als dasjenige der Hochschulen, entsteht ein Ungleichgewicht zwischen befristeten und unbefristeten Stellen. Beispielsweise sind dessen Eccellenza-Stipendien ideal zur Unterstützung von Frauenkarrieren. Doch Hochschulen, vor allem kleinere, haben oft nicht die Mittel, um diese Stellen nach dem Stipendium weiter zu finanzieren.

Gibt es weitere Herausforderungen?

Zentral ist, die Grundlagenforschung und die damit verbundene akademische Freiheit zu bewahren. Forschungsschwerpunkte dürfen uns weder von Firmen noch von der Politik diktiert werden. Auch nicht von Studierenden, die manchmal Referate verhindern und damit den tieferen Sinn der akademischen Freiheit und des Rechts auf freie Meinungsäusserung nicht richtig verstehen. Die Genfer Hochschulen haben daher in einer gemeinsam ausgearbeiteten Charta die Begriffe genauer definiert. Diese gilt auch für Professorinnen, die sich zu Themen ausserhalb ihres Fachbereichs äussern. Sie dürfen das tun, aber als Bürgerinnen.

Was möchten Sie als künftiger Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz erreichen?

Mein Hauptziel wird sein, ein Klima des Vertrauens zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schaffen. Das wird nicht einfach sein. Vielleicht masse ich mir zu viel an, aber in Genf habe ich in den parlamentarischen Kommissionen ein wachsendes Verständnis beobachtet – parteiübergreifend. Das muss man aufbauen, Schritt für Schritt.