Die Blockchain-Technologie wird wegen des hohen Stromverbrauchs kritisiert. Im Rechenzentrum in Gondo (VS) schürft die Firma Alpine Mining  damit Kryptowährungen. | Bild: Keystone/René Ruis

Vor zehn Jahren verhalf die Kryptowährung Bitcoin dem dezentralisierten Kassenbuch zum ersten Mal zur breiten Anwendung. Die Blockchain-Technologie sorgt nun weltweit für Gesprächsstoff: Jungfirmen wollen damit ganze Industriezweige revolutionieren, Grossunternehmen starten eigene Krypto-Abteilungen. Und die Wissenschaft fragt sich: wozu die Technologie?

So wollen Dutzende Start-ups eine digitale Plattform entwickeln, auf der Forschungsarbeiten in einer Blockchain publiziert werden können. Anders als bei herkömmlichen Preprint-Servern wie Arxiv werden die Daten dabei nicht von einer einzelnen Organisation gespeichert, sondern verteilt auf vielen unabhängigen Rechnern. Der Vorteil der dezentralen Datenbank: Die Einträge lassen sich nachträglich nicht mehr modifizieren oder löschen – weder vom Autor noch von einem Server-Administrator noch von einem Hacker. Was einmal in einer Blockchain steht, ist wie in Stein gemeisselt. Das bietet zusätzlichen Schutz vor Zensur und Plagiaten.

Auch die Finanzierung von Wissenschaft ist ein Einsatzgebiet: In einer Blockchain können nicht nur Forschungsdaten gespeichert werden, sondern auch Finanztransaktionen. Geldgeber können dadurch Kapitalflüsse genau nachvollziehen.

Entweder effizient oder sicher

Die Visionen sind gross, der Hype ebenfalls. Karl Wüst, Blockchain-Spezialist der ETH Zürich, glaubt nicht, dass Dezentralisierung in der Forschung nötig ist: «In der Wissenschaft gibt es viele zentrale Parteien, denen man vertraut: renommierte Hochschulen, bekannte Journals, nationale Wissenschaftsorganisationen. Solang das der Fall ist, können Blockchain-Anwendungen vermutlich keinen grossen Mehrwert bieten.»

Im Vergleich zu zentralen Datenbanken ist der Betrieb von Blockchains sehr komplex und energieaufwendig. So verbraucht das Bitcoin-Netzwerk beispielsweise exorbitant viel Strom, was immer mehr kritisiert wird. Zwar versuchen Forschende die Krypto-Technologie skalierbarer gestalten, aber wer grosse Datenmengen effizient in einer Blockchain speichern will, wird immer Kompromisse eingehen müssen: zum Beispiel zwischen der Reduktion der Rechner und der Sicherheit – dem Hauptzweck des Systems.

«Im Moment sind wir in der Blockchain- Steinzeit – die Technologie ist noch sehr unreif.»José Parra Moyano

«Im Moment sind wir in der Blockchain- Steinzeit – die Technologie ist noch sehr unreif», sagt José Parra Moyano, Leiter des Blockchain Research Labs der Universität Zürich «Für die meisten Firmen ist die Technologie heute nur ein Marketing- Tool.» Dass sie aber irgendwann zu Veränderungen in der Wissenschaft führen wird, das will er nicht ausschliessen: «Das Potenzial von Blockchains ist auf jeden Fall sehr gross, und es lohnt sich, die technischen Entwicklungen und die verschiedenen Projekte zu verfolgen.»

Als Beispiel nennt Parra Moyano das internationale Konsortium Bloxberg, an dem auch die Bibliothek der ETH Zürich beteiligt ist. Es entwickelt ein System, mit dem Forschende ihre Arbeiten in einer Blockchain speichern können, ohne die einzelnen Inhalte sichtbar zu machen. Damit lässt sich die Authentizität von Daten nachträglich beweisen, ohne diese von Anfang an veröffentlichen zu müssen.

Für einen ähnlichen Zweck wird die Blockchain auch bei Mindfire genutzt – einer Schweizer Initiative zur Erforschung künstlicher Intelligenz, an der weltweit Hunderte Wissenschaftler beteiligt sind. Gründer Pascal Kaufmann erklärt: «Wenn wir unsere Forschungsresultate über eine zentrale Plattform wie Dropbox oder Google Drive austauschen, dann wissen wir nicht, wer dort alles mitliest. Und bei einem allfälligen Datenleck würde alles öffentlich. Auf einer dezentralen Blockchain können wir unsere Forschung genau dokumentieren und haben die Garantie, dass nur wir auf die Dokumente Zugriff haben.»

Bei Mindfire werden wissenschaftliche Arbeiten, Skizzen und sogar ganze Konversationen gespeichert. «Auf diese Weise kann man auch im Nachhinein noch zweifelsfrei belegen, wer wann welche Idee zum ersten Mal geäussert hat.»

Perfekt sei die Lösung noch nicht, gibt Kaufmann zu. Blockchains seien momentan schlicht noch zu wenig schnell. Und ob der Eintrag in eine Blockchain beim Beantragen von Patenten oder bei Verhandlungen vor Gericht überhaupt Gewicht hat, sei derzeit noch unklar. zu