Der Schlammsee von Sidoarjo in Indonesien entspringt dem grössten Schlammvulkan der Welt. Seit 2006 vertrieb er schon 60 000 Menschen von ihrem Land. | Bild: Getty Images/Mangiwau

Der Schlammsee von Sidoarjo in Indonesien entspringt dem grössten Schlammvulkan der Welt. Seit 2006 vertrieb er schon 60 000 Menschen von ihrem Land. | Bild: Getty Images/Mangiwau

Seit 13 Jahren schiesst im Osten der indonesischen Insel Java Schlamm aus der Erde. Er hat 13 Menschen umgebracht und 60 000 Menschen von ihrem Land und aus ihren Wohnungen in der Provinz Sidoarjo vertrieben – niemand weiss, wie lange die braune Flut dauern wird. Lange war genauso wenig klar, was die weltgrösste Schlammeruption antreibt. Dieses Rätsel hat ein internationales Konsortium nun gelöst. Stephen Miller, Professor für Geothermie und Geodynamik an der Universität in Neuenburg, und Matteo Lupi, Professor für Geophysik an der Uni Genf, waren mit dabei.

Es gab zwei Ereignisse, die von Anfang an mit der Schlammeruption in Verbindung gebracht wurden: Am 27. Mai 2006 gab es ein Erdbeben mit Zentrum in Yogyakarta, 250 Kilometer entfernt von Sidoarjo, mit Stärke 6,3 auf der Richterskala mit einstürzenden Häusern. Einen Tag später missglückte in Sidoarjo eine Bohrung nach Erdöl. In 2800 Metern Tiefe strömte eine unbekannte Flüssigkeit ins Bohrloch, der Meissel konnte nicht geborgen werden, und das Bohrloch wurde versiegelt.

Geysire und Rauchfahnen

Während die Weltöffentlichkeit auf die Erdbebenkatastrophe schaute, bildeten sich in Sidoarjo im Umkreis von mehreren hundert Metern um das Bohrloch Risse im Boden, und an fünf Stellen begann Schlamm aus dem Boden zu blubbern. Kurze Zeit später schossen Matschfontänen wie Geysire aus dem Boden, Hunderte Meter hohe Rauchfahnen reichten in den Himmel. Viele Menschen in der Region sowie einige Wissenschaftler vermuteten, dass die missglückte Bohrung die Schlammeruption auslöste. Bald untersuchten Forschende aus vier Kontinenten die Eruption «Lusi» (für «Lumpur», indonesisch für Schlamm, und Sidoarjo.)

Laut Miller spricht nichts dafür, dass der Schlammvulkan durch die Ölsuche ausgelöst wurde. «Wir sehen in Ostjava ein tektonisches Ereignis – es ist unmöglich, dieses mit einer Bohrung von einem Durchmesser von 30 Zentimetern zu verursachen », sagt er. Die Belege gegen die Bohr-Hypothese kann man anfassen: Der Schlammauswurf enthält Fossilien, die aus Gesteinsschichten stammen, die 1000 Meter tiefer liegen als die tiefste Stelle der missglückten Ölbohrung. Ein weiteres Indiz: «Wenn durch das Bohrloch eine Schicht angebohrt worden wäre, die unter hohem Druck stand, dann hätte der Schlamm durch dieses Bohrloch emporschiessen müssen», sagt Miller. «Stattdessen gab es die ersten Eruptionen 700 Meter entfernt vom Bohrloch – und aus ihm selbst kam kein Schlamm.» Die Forschenden konnten aber umfangreiche Belege dafür sammeln, dass das Yogyakarta-Erdbeben die Schlammeruption ausgelöst hat. So zeigten Miller und Lupi mit Computersimulationen, dass die Erdschichten die Schwingungen des Erdbebens wie ein Parabolspiegel einfingen, verstärkten und in die Schicht transportierten, von wo aus der Schlamm heute ausgeworfen wird.

Wie ein Dampfkochtopf

Die Forschenden analysierten ausserdem mit Drohnen die in der Rauchsäule enthaltenen Gase. Darin waren vor allem Kohlendioxid und frisch gebildete Kohlenwasserstoffe enthalten, die nur bei Temperaturen über 400 Grad Celsius gebildet werden. «Diese Temperaturen werden im Boden in dieser Region aber nicht erreicht», sagt Miller. «Im Inneren von Lusi muss also eine Wärmequelle sein.»

Am wahrscheinlichsten ist folgendes Szenario: Eingeschlossen im Erdboden in etwa 1500 Metern Tiefe befand sich schon Jahre lang Wasser, das unter hohem Druck stand. Diesem näherte sich in der vulkanisch sehr aktiven Region von unten heisses Magma. «Die Hitze löste Gase aus dem Gestein und liess zusätzlich Wasser in weiter oben liegenden Tonschichten verdampfen », sagt Miller. «Dies alles bewirkte, dass der Druck immer weiter anstieg – und dann kam das Erdbeben, das die Verschlusskappe aus festem Gestein oberhalb abgerissen hat.» Seitdem werden ungehindert Wasser, verflüssigter Lehm und Gestein nach oben geschleudert.

Eine Prognose, wie lange der Schlamm noch aus der Erde schiessen wird, ist nicht möglich. Doch die Wissenschaft kann noch viel von Lusi lernen. «Wir beobachten Geburt und Entwicklung eines hydrothermalen Systems mit Verbindung zu einem Vulkan – die Chance gibt es nur einmal in Millionen Jahren», sagt Miller. «Es ist, als ob wir Tektonik in Echtzeit zuschauen könnten.» Ein Prozess, der noch kaum verstanden ist, könne hier untersucht werden.

Die Region hat sich derweil mit Lusi arrangiert. Zehn Meter hohe Dämme halten den Schlamm zurück. Jeden Tag wird ein Teil mit einer Kolonne von Lastwagen abtransportiert, damit das Becken nicht überläuft. Die Siedlung, die hier einst stand, liegt mittlerweile 200 Meter unter der Schlammoberfläche.