Bild: Manu Friederich

Als ich bei einem Nachtessen neben Agneta Bladh sass, der Vorsitzenden des Schwedischen Forschungsrats, drehte sich das Tischgespräch bald um den Fall Paolo Macchiarini, den italienischen «Star-Chirurgen» mit Schweizer Wurzeln, der vom Karolinska-Institut bei Stockholm entlassen und wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens für schuldig befunden wurde.

Macchiarini hatte sich in der regenerativen Medizin einen Namen geschaffen, weil er künstliche Luftröhrentransplantate mit körpereigenen Stammzellen der Patienten behandelte und einsetzte. Die Zeitschrift The Lancet, die mehrere seiner Arbeiten veröffentlicht hatte, lobte ihn als jemanden, der Grenzen durchbricht. Er selber zitierte den Dichter T.S. Eliot: «Nur wer riskiert, zu weit zu gehen, kann herausfinden, wie weit man gehen kann.»

Alle drei Patienten, die in Schweden ein Transplantat erhielten, starben. Macchiarini aber wurde 2015 zunächst vom Vorwurf des wissenschaftlichen Fehlverhaltens freigesprochen. Doch ein Jahr später überstürzten sich die Ereignisse, als die schwedische TV-Serie «Die Experimente» den Fall unter die Lupe nahm: Es kam zu einer Vertrauenskrise am Karolinska-Institut, der Vizekanzler, der Forschungsdekan und der Vorsitzende der Universitätsleitung traten zurück, und die Untersuchungen wurden nochmals aufgenommen. Im Juni 2018 kam man zum Schluss, dass Macchiarini und sechs weiteren Forschenden wissenschaftliches Fehlverhalten vorzuwerfen war.

Bei Tisch waren wir uns einig, was die Rolle der Medien betrifft: Ohne sie wäre der Betrug vielleicht nie aufgedeckt worden. Weniger Einhelligkeit herrschte darüber, welche Lehren aus dem Fall zu ziehen sind. Schweden wird ein unabhängiges nationales Organ einrichten, das National Misconduct Board. Ich argumentierte, dass es fundierte unabhängige Untersuchungen und faire Urteile gewährleiste, da die unvermeidlichen Interessenkonflikte von Institutionen, Zeitschriften und Geldgebern wegfallen. Andere waren der Ansicht, dass die Untersuchungen «in der Verantwortung der Universitäten liegen». Als ich wieder zu Hause war, stellte ich mir die Frage, wie gut das Schweizer System für einen Paolo Macchiarini gerüstet wäre. Nicht allzu gut. Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass dieselben Risiken auch hier bestehen. Wir benötigen dringend eine Debatte darüber, wie wir am besten mit wissenschaftlichem Fehlverhalten umgehen.

Matthias Egger ist Präsident des Nationalen Forschungsrats des SNF. Antworten Sie ihm auf Twitter @eggersnsf.