Foto: ZVG

Jasagt Johanna Jacobi.

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Neinsagt Jakob Zinsstag.

Die Wirklichkeit ist nicht in Fachgebiete eingeteilt, und verschiedenstes Wissen ist für das Ausarbeiten von Lösungen notwendig. Da Disziplinen historisch gewachsen sind, ist Ideengeschichte von Anfang an wesentlich, um zu verstehen, dass disziplinäres Forschen zwar wichtig ist, aber als Erkenntnisweg allein nicht ausreicht. Das bedeutet nicht, dass sich Disziplinen auflösen, wohl aber sogenannte Silos, beziehungsweise diese gar nicht erst entstehen.

Mephisto in Goethes Faust versucht, einen Studenten von der unkritischen Annahme eines wissenschaftlichen Ansatzes zu überzeugen: «Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr nur einen hört, / Und auf des Meisters Worte schwört. / Im Ganzen – haltet Euch an Worte! / Dann geht Ihr durch die sichre Pforte / Zum Tempel der Gewissheit ein.» Das scheint mir hochaktuell, denn im Studium entstehen Dissonanzen, indem wir zum Beispiel in den Agrar- oder Umweltwissenschaften neoklassische, wachstumsorientierte Ökonomie lehren, gleichzeitig aber auch planetare Grenzen. Eine Konsequenz davon ist die verbreitete Annahme, dass landwirtschaftliche Produktivität unvereinbar mit Naturschutz ist. Diese Dichotomie hat auch mit einer kognitiven Trennung von Mensch und Natur zu tun. Von indigenen Wissenschaftlerinnen hören wir, dass die westliche Wissenschaft nur ein rudimentäres Verständnis der lebendigen Welt habe. In der Tat ist sie seit Galilei und Newton perfekt an eine Welt der unbelebten Dinge angepasst. Eine Öffnung hin zur Co-Kreation kann hier mehr erreichen, als das, was die Wissenschaft bis heute geschafft hat, zum Beispiel ein relationales Verständnis zu entwickeln, hin zu Verbundenheit und Verantwortung.

«Schon im Studium entstehen Dissonanzen.»

Transdisziplinarität erkennt verschiedene Wissenssysteme als grundsätzlich gleichberechtigt an. Sie öffnet den Blick dafür, dass es verschiedene Realitätsauffassungen mit unterschiedlichen Folgen gibt. Natürlich darf das keinesfalls in engstirniger Routine enden, sondern es geht um das Ziel, Eigenständigkeit zu fördern, nach Kants Grundsatz der Aufklärung: sapere aude – wage zu wissen – beziehungsweise den eigenen Verstand zu gebrauchen. Eine epistemische Öffnung wäre daher eine Stärkung gleich zu Beginn.

Johanna Jacobi ist Assistenzprofessorin für agrarökologische Tran­sitionen an der ETH Zürich. Sie forscht zur Demokratisierung von Landwirtschafts- und Ernährungssystemen.

Bevor wir transdisziplinär forschen können, müssen wir kompetent sein in einer Fachdisziplin. Der Fortschritt des Wissens ist so rasch, dass unser Kompetenzbereich immer mehr eingeschränkt wird. Sobald wir eine eigene Grundkompetenz in Medizin, Soziologie oder Umweltwissenschaften haben und mit eigener Forschung anfangen, merken wir rasch, welches Fachwissen uns fehlt. Durch die Zusammenarbeit mit Partnern können wir diese Lücke füllen. Für die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme wird transdisziplinäre Forschung in allen Bereichen wichtig, wie es auch von der OECD empfohlen wird. Wissenschaftlerinnen laden dann die Behörden und gesellschaftliche Akteure ein, sich mit ihrem Praxiswissen an der Problemlösung zu beteiligen. Erfahrungsgemäss geschieht das meist auf der Stufe Doktorat oder später.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, bereits im Grundstudium mit den Grundlagen der Transdisziplinarität vertraut zu werden. Bis junge Forschende diese dann aber auch anwenden, haben sie höchstwahrscheinlich die Grundlagen wieder vergessen. Die entsprechenden Methoden erlernt man meines Erachtens am wirksamsten auf der Masterstufe. Wir haben dafür mit dem Transdisziplinaritätsnetzwerk der Akademien der Wissenschaften Schweiz einen Onlinekurs entwickelt.

«Sobald wir mit eigener Forschung anfangen, merken wir rasch, welches Fachwissen uns fehlt.»

In der Praxis läuft das so: Ein Doktorand aus Palästina hat in unseren Vorlesungen die Grundlagen gelernt und in Ramallah einen partizipativen, transdisziplinären Prozess über Hygiene und antibiotikaresistente ­Bakterien in der Geflügelproduktion durch­geführt. Produzierende, Händler, Metzgerinnen, Veterinärbehörden, Gesundheitsämter und Wissenschaftlerinnen beteiligten sich in mehreren Sitzungen und identifizierten die dringendsten Probleme. Der Doktorand vermittelte zwischen den verschiedenen Teilnehmenden und stellte sicher, dass alle sich äussern konnten. Er wurde als Fachmann anerkannt und als Gesprächsleiter akzeptiert. Eine Schweizer Masterstudentin beteiligte sich am Projekt und hat dabei die Grundlagen von transdisziplinären Prozessen kennengelernt. Sie wird sie für ihre weitere Forschung selber anwenden können.

Jakob Zinsstag ist Professor für Epidemio­logie am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut. Er forscht zum Zusammenhang von menschlicher und tierischer Gesundheit.

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Jasagt Johanna Jacobi.

Die Wirklichkeit ist nicht in Fachgebiete eingeteilt, und verschiedenstes Wissen ist für das Ausarbeiten von Lösungen notwendig. Da Disziplinen historisch gewachsen sind, ist Ideengeschichte von Anfang an wesentlich, um zu verstehen, dass disziplinäres Forschen zwar wichtig ist, aber als Erkenntnisweg allein nicht ausreicht. Das bedeutet nicht, dass sich Disziplinen auflösen, wohl aber sogenannte Silos, beziehungsweise diese gar nicht erst entstehen.

Mephisto in Goethes Faust versucht, einen Studenten von der unkritischen Annahme eines wissenschaftlichen Ansatzes zu überzeugen: «Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr nur einen hört, / Und auf des Meisters Worte schwört. / Im Ganzen – haltet Euch an Worte! / Dann geht Ihr durch die sichre Pforte / Zum Tempel der Gewissheit ein.» Das scheint mir hochaktuell, denn im Studium entstehen Dissonanzen, indem wir zum Beispiel in den Agrar- oder Umweltwissenschaften neoklassische, wachstumsorientierte Ökonomie lehren, gleichzeitig aber auch planetare Grenzen. Eine Konsequenz davon ist die verbreitete Annahme, dass landwirtschaftliche Produktivität unvereinbar mit Naturschutz ist. Diese Dichotomie hat auch mit einer kognitiven Trennung von Mensch und Natur zu tun. Von indigenen Wissenschaftlerinnen hören wir, dass die westliche Wissenschaft nur ein rudimentäres Verständnis der lebendigen Welt habe. In der Tat ist sie seit Galilei und Newton perfekt an eine Welt der unbelebten Dinge angepasst. Eine Öffnung hin zur Co-Kreation kann hier mehr erreichen, als das, was die Wissenschaft bis heute geschafft hat, zum Beispiel ein relationales Verständnis zu entwickeln, hin zu Verbundenheit und Verantwortung.

«Schon im Studium entstehen Dissonanzen.»

Transdisziplinarität erkennt verschiedene Wissenssysteme als grundsätzlich gleichberechtigt an. Sie öffnet den Blick dafür, dass es verschiedene Realitätsauffassungen mit unterschiedlichen Folgen gibt. Natürlich darf das keinesfalls in engstirniger Routine enden, sondern es geht um das Ziel, Eigenständigkeit zu fördern, nach Kants Grundsatz der Aufklärung: sapere aude – wage zu wissen – beziehungsweise den eigenen Verstand zu gebrauchen. Eine epistemische Öffnung wäre daher eine Stärkung gleich zu Beginn.

Johanna Jacobi ist Assistenzprofessorin für agrarökologische Tran­sitionen an der ETH Zürich. Sie forscht zur Demokratisierung von Landwirtschafts- und Ernährungssystemen.

 


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Neinsagt Jakob Zinsstag.

Bevor wir transdisziplinär forschen können, müssen wir kompetent sein in einer Fachdisziplin. Der Fortschritt des Wissens ist so rasch, dass unser Kompetenzbereich immer mehr eingeschränkt wird. Sobald wir eine eigene Grundkompetenz in Medizin, Soziologie oder Umweltwissenschaften haben und mit eigener Forschung anfangen, merken wir rasch, welches Fachwissen uns fehlt. Durch die Zusammenarbeit mit Partnern können wir diese Lücke füllen. Für die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme wird transdisziplinäre Forschung in allen Bereichen wichtig, wie es auch von der OECD empfohlen wird. Wissenschaftlerinnen laden dann die Behörden und gesellschaftliche Akteure ein, sich mit ihrem Praxiswissen an der Problemlösung zu beteiligen. Erfahrungsgemäss geschieht das meist auf der Stufe Doktorat oder später.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, bereits im Grundstudium mit den Grundlagen der Transdisziplinarität vertraut zu werden. Bis junge Forschende diese dann aber auch anwenden, haben sie höchstwahrscheinlich die Grundlagen wieder vergessen. Die entsprechenden Methoden erlernt man meines Erachtens am wirksamsten auf der Masterstufe. Wir haben dafür mit dem Transdisziplinaritätsnetzwerk der Akademien der Wissenschaften Schweiz einen Onlinekurs entwickelt.

«Sobald wir mit eigener Forschung anfangen, merken wir rasch, welches Fachwissen uns fehlt.»

In der Praxis läuft das so: Ein Doktorand aus Palästina hat in unseren Vorlesungen die Grundlagen gelernt und in Ramallah einen partizipativen, transdisziplinären Prozess über Hygiene und antibiotikaresistente ­Bakterien in der Geflügelproduktion durch­geführt. Produzierende, Händler, Metzgerinnen, Veterinärbehörden, Gesundheitsämter und Wissenschaftlerinnen beteiligten sich in mehreren Sitzungen und identifizierten die dringendsten Probleme. Der Doktorand vermittelte zwischen den verschiedenen Teilnehmenden und stellte sicher, dass alle sich äussern konnten. Er wurde als Fachmann anerkannt und als Gesprächsleiter akzeptiert. Eine Schweizer Masterstudentin beteiligte sich am Projekt und hat dabei die Grundlagen von transdisziplinären Prozessen kennengelernt. Sie wird sie für ihre weitere Forschung selber anwenden können.

Jakob Zinsstag ist Professor für Epidemio­logie am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut. Er forscht zum Zusammenhang von menschlicher und tierischer Gesundheit.