Das digitale Wissen disziplinieren

Antonio Loprieno ist Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz | Bild: Andri Pol

Es ist bekannt: Festanstellungen gibt es in der akademischen Welt nur auf der Ebene der Professuren. Und eine solche Tenure wird als höchstes Gut gehandelt. Der Schweizerische Wissenschaftsrat empfiehlt deswegen, auch Mittelbaustellen zu entfristen, und die Erhöhung der Zahl von Professorinnen gehört zu den Grundsätzen der Hochschulpolitik. Dabei gäbe es eine wirksame Methode, um sich diesen beiden Zielen anzunähern: auf allen Stufen der akademischen Karriere die Möglichkeit der Verstetigung, aber auch der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses vorzusehen. Seit den Universitätsreformen des 19. Jahrhunderts, die etwa von Humboldt in Deutschland oder Newman in England angestossen wurden, hat sich in der Wissenschaft das Prinzip der Unkündbarkeit einer Professur etabliert. Dieses einmalige Privileg stützt sich einerseits darauf, dass wir dem Risiko eines Verlustes ablehnender begegnen als der Möglichkeit sogar eines höheren Gewinns. Andererseits soll es vor der Gefahr politischer Manipulationen schützen.

Das Tenure-Prinzip hat sich bewährt, und jede Universität, die jetzt darauf verzichtete, würde sich in eine nachteilhafte Position hineinmanövrieren: Eine Tenure-Track-Stelle wird jedem finanziell attraktiven, aber befristeten Angebot vorgezogen. Aber die Beschränkung dieses Privilegs auf die Stufe der Professoren saturiert den Markt künstlich: Das Angebot (an potenziellen Professoren) übersteigt die Nachfrage nach wissenschaftlicher Kompetenz. So entsteht die in anderen Berufen unübliche Situation, dass wir gleichzeitig wettbewerbsähnliche und kartellähnliche Zustände erleben.

«Eine solche Liberalisierung könnte den neoliberalen Wettbewerb entschärfen.»

Doch je mehr in der Akademie die Partnerschaft mit der Privatwirtschaft gefördert oder sogenannte Champions-League- Professoren aus Harvard geholt werden, die nach fünf Jahren nach Oxford gehen, desto schwieriger dürfte es werden, eine Professorin unkündbar anzustellen, während ein Assistent, der ein Start- up gegründet hat, nach fünf Jahren vom universitären Dienst verabschiedet wird.

Die aktuelle Flexibilisierung der Arbeitswelt wird dazu führen, dass sich auf allen Stufen der akademischen Karriere eine höhere Risikobereitschaft und eine Aufhebung des Tenure- Prinzips durchzusetzen verspricht. Eine solche Liberalisierung könnte den neoliberalen Wettbewerb entschärfen. Das wird von vielen jungen Forschenden angesichts des herrschenden Leistungsdrucks zur Erlangung einer Professur zu Recht gewünscht. Warum sollte eine hervorragende Soziologin zur Umschulung gezwungen werden, während sich ihr Professor seinen nächsten temporären Mitarbeiter in Ruhe aussuchen kann?