Matthias Egger freut sich über Meinungen und Ideen zur Lotterie für Forschungsgelder. | Bild: Manu Friederich

Vor einiger Zeit erhielt ich eine E-Mail von einem enttäuschten Bewerber, der sich bei mir beschwerte, dass «das Auswahlverfahren für Fördergelder des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) eine reine Lotterie ist!». Sein früheres Gesuch war angenommen worden. Das zweite hingegen war gerade abgelehnt worden, obwohl es «eindeutig besser ist als das erste», wie er versicherte. «Aber sicher», brummte ich zu mir selber. «Weshalb sollen wir die glücklichen Gewinner nicht einfach durch das Los bestimmen? Das würde  unser Leben beim SNF viel einfacher machen.» Bald vergass ich die Geschichte, bis ich auf einen Artikel von Fang und Casadevall stiess, der mich nochmals zum Nachdenken brachte. Vielleicht hatte unser verärgerter Bewerber unbeabsichtigt eine gute Idee?

«Mit dem Zufallsprinzip könnten einseitige und voreingenommene Entscheidungen vermieden werden.»

Diese Autoren argumentieren, dass die Unterstützungsquoten heute sowohl bei der National Science Foundation als auch bei den National Institutes of Health (NIH) in den USA so tief sind, dass eine Bewertung der Gesuche durch wissenschaftliche Peer Reviews zur Zuweisung der Fördergelder nicht mehr sinnvoll sei. Denn die Review Panels erhalten viele hervorragende Gesuche, können aber nur ganz wenige berücksichtigen. Niedrige Erfolgsquoten erhöhen das Risiko der Bevorzugung von erfahrenen, gut vernetzten, männlichen Gesuchstellern. «Das System ist bereits heute im Wesentlichen eine Lotterie, jedoch ohne den Vorteil der Zufälligkeit», kritisieren sie. Natürlich sind auch sie der Ansicht, dass die Gesuche durch ein wissenschaftliches Gremium mit dem notwendigen Fachwissen geprüft werden sollen. Diese Gremien müssen die Spreu vom Weizen trennen und Anträge zurückweisen, die nicht machbar sind, Mängel im Design aufweisen oder keine relevanten neuen Erkenntnisse bringen. Fang und Casadevall schlagen deshalb ein zweistufiges System vor. In einem ersten Schritt würde eine Peer Review bestimmen, welche Gesuche grundsätzlich unterstützungswürdig und finanzierbar sind. Danach würden nach  dem Zufallsprinzip diejenigen Gesuche ausgewählt, die tatsächlich Unterstützung erhalten. Bei diesem Ansatz könnten einseitige und voreingenommene Entscheidungen eher vermieden und die Kosten und der Arbeitsaufwand gesenkt werden.

Vielleicht könnte man argumentieren, dass diese Idee in der Schweiz nicht relevant ist, weil der Anteil der bewilligten Gesuche beim SNF wesentlich höher ist als in den USA (in gewissen NIH-Instituten sind es unter 10 Prozent). Von Interesse scheint mir der Ansatz jedoch, wenn er auf die Gruppe der Gesuche angewendet wird, die auf der Kippe sind. Denkbar wäre es, drei Gruppen von Gesuchen zu bilden: 1. hervorragende Gesuche, die eindeutig Unterstützung verdienen, 2. mangelhafte Gesuche, die klar abgelehnt werden müssen, und 3. gute Projekte, die je nach verfügbarem Budget finanziert werden sollten. In dieser  mittleren Gruppe könnten die finanzierten Projekte zufällig ausgewählt werden. Bei diesem Ansatz sehe ich allerdings nicht nur Vorteile, sondern auch gewisse Risiken. Beispielsweise könnte in der Politik, in der Forschung oder bei der Bevölkerung der Eindruck entstehen, dass der SNF nicht willens oder nicht in der Lage ist, die eingereichten Gesuche zu beurteilen.

Es würde mich interessieren, was Sie von dieser Idee halten. Bitte senden Sie mir eine E-Mail mit der Betreffzeile «Lotterie für Forschungsgelder» an matthias.egger@snf.ch, oder tweeten Sie Ihre Meinung @eggersnsf.

Matthias Egger ist Präsident des Nationalen Forschungsrats und Epidemiologe an der Universität Bern.