Die Spitalküche ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit. In einer Studie soll der Effekt einer Ernährungstherapie getestet werden. | Bild: Keystone/Gaetan Bally

Viele Patientinnen und Patienten werden im Spital besonders energie- und eiweissreich ernährt, damit sie besser genesen. Manchmal allerdings tritt genau der gegenteilige Effekt ein, wie jüngere Studien bei Patienten auf der Intensivstation zeigen: Zu viel Nahrung in der akuten Phase einer Krankheit kann den Heilungsprozess auch verlangsamen und zu Komplikationen führen.

Über die Hintergründe solch negativer Effekte ist noch wenig bekannt. Mediziner vermuten als eine mögliche Ursache, dass die hohe Energiezufuhr natürliche Heilungsprozesse stören kann. Etwa den Abbau von schädigenden Stoffen und Mikroorganismen innerhalb von Zellen. Dieser wird besonders angeregt, wenn ein Nährstoffmangel besteht. Das würde erklären, weshalb Menschen und Tiere auf viele Krankheiten mit Appetitverlust reagieren.

Risiko Mangelernährung

«Die Vermutung liegt nahe, dass eine verstärkte Nahrungsaufnahme auch bei akut Kranken in der allgemeinen Abteilung nicht immer nützt – und im schlimmsten Fall sogar schaden könnte», sagt Philipp Schütz, Leitender Arzt für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung und innere Medizin am Kantonsspital Aarau. Doch Ernährungstherapien gehören zu den häufigsten Interventionen im Spitalalltag. Denn rund ein Drittel aller Patientinnen und Patienten hat ein Risiko für eine Mangelernährung. Und diese wird mit höheren Sterblichkeits- und Komplikationsraten in Verbindung gebracht. Besonders bei chronisch Kranken kann eine dauerhafte Mangelernährung das Immunsystem und somit die Fähigkeit beeinträchtigen, auf akute Krankheiten zu reagieren.

Deshalb betont Laurence Genton, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für klinische Ernährung, dass bei gezielten Ernährungstherapien während des Spitalaufenthalts die positiven Effekte in aller Regel klar überwiegen: «Allerdings gibt es noch keine fundierten Daten zum Nutzen bei multimorbiden Patientinnen und Patienten, also solchen, die mehrere Krankheiten gleichzeitig haben.»

Genau diese Patientengruppe wird aufgrund der steigenden Lebenserwartung immer grösser. In ihr untersucht nun Philipp Schütz den Nutzen von Ernährungstherapien. Für die Studie hat er 2000 mangelernährte, multimorbide Patientinnen und Patienten auf allgemeinen Abteilungen in acht Schweizer Spitälern rekrutiert. Diese hat er zufällig in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine Hälfte erhält eine Ernährungstherapie, die andere Hälfte isst nach eigenem Appetit, was die Spitalküche anbietet. Zunächst überprüft das Team um Schütz, ob das angewendete Screeningverfahren zuverlässig jene Patientinnen und Patienten identifiziert, bei denen eine Ernährungstherapie ihre primären Ziele erreicht. Das sind die ausreichende Versorgung mit Kalorien, Proteinen und Mikronährstoffen und daraus folgend der Aufbau von Muskelgewebe.

Personalisierte Ernährungstherapie

Erste Resultate zeigen, dass das Screening funktioniert und die Ernährungstherapie den Gewichtsverlauf positiv beeinflusst. Die spannende Frage könne er aber erst nach Auswertung aller Daten im nächsten Jahr beantworten, sagt Schütz: «Wie beeinflusst das den Verlauf der akuten Krankheit, wegen der jemand im Spital ist?» Ausserdem sucht Schütz nach Gesetzmässigkeiten, die eine Prognose ermöglichen, wer wann profitiert – oder eben nicht. Die Forschenden untersuchen dazu bei allen Teilnehmenden bestimmte Marker in Blut und Genen. Diese setzen sie in Verbindung mit den Daten zu den Krankheitsverläufen. Das Ziel ist, so Hinweise zu finden, die als Grundlage für personalisierte Ernährungstherapien dienen.

Zu viel Energiezufuhr könnte natürliche Heilungsprozesse stören.

Auch Genton hofft auf Daten, die aufzeigen, dass Ernährungstherapien den Heilungsprozess unterstützen und wann dies der Fall ist: «Das wäre ein starkes Argument gegenüber politischen Entscheidungsträgern und Krankenversicherern, dass auch die Ernährung ein Teil der medizinischen Behandlung ist.» Dieser Ansicht war bereits Hippokrates, der riet: «Lass die Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung.»

Stéphane Praz ist freier Wissenschaftsjournalist.