Jasagt Aubrey de Grey

Neinsagt Sabina Misoch
Altern ist eine Kombination aus zwei Prozessen: Der erste ist die Akkumulation der Veränderungen auf Molekular- und Zellebene im gesamten Lebensverlauf, ja bereits bevor wir geboren werden – ein Nebeneffekt der normalen Körperfunktionen. Der zweite Prozess sind die Gesundheitsprobleme, die im späteren Leben auftreten oder sich verschärfen und die intellektuellen und körperlichen Funktionen beeinträchtigen. Sie treten ein, wenn die Veränderungen durch den ersten Prozess ein Ausmass überschreiten, das der Körper im Laufe der Evolution zu tolerieren gelernt hat.

«Wir können geistige und körperliche Funktionen wie in der Jugend bewahren – potenziell auf unbegrenzte Zeit.»

Weil der zweite Prozess unerwünscht ist, können wir die Veränderungen, welche die beiden Prozesse verbinden, als Schäden bezeichnen. Traditionell gelten gewisse Gesundheitsprobleme wie etwa Alzheimer, die meisten Krebsarten oder Typ-II-Diabetes, die Folge des zweiten Prozesses sind, als Krankheiten, andere hingegen wie Gebrechlichkeit, abnehmende Muskelmasse oder ein schwächeres Immunsystem als Alterung an sich.

Diese Unterscheidung ist willkürlich und entbehrt jeder biologischen Grundlage: Bei den sogenannten Alterskrankheiten handelt es sich lediglich um Aspekte des Alterns, für die wir krankheitsähnliche Bezeichnungen eingeführt haben. Unabhängig davon, ob wir das Altern als Krankheit bezeichnen oder nicht, sollten wir es wie eine Krankheit behandeln, da es ein medizinisches Problem ist. Weil das Altern ein Nebeneffekt davon ist, dass wir am Leben sind, können wir es nicht in demselben Sinne heilen wie etwa eine Infektion, sprich mit einer einzigen Behandlung.

Indem wir jedoch regelmässig die Schäden mithilfe der regenerativen Medizin reparieren, beispielsweise mit Stammzellen oder der enzymatischen Beseitigung von Abfallprodukten, können wir die Entstehung und das Fortschreiten von Gesundheitsproblemen im Alter vermeiden und damit geistige und körperliche Funktionen wie in der Jugend aufrechterhalten, und zwar potenziell auf unbegrenzte Zeit. Schliesslich haben die jüngsten Fortschritte in Labors eindeutig gezeigt, dass dies ein realisierbares Ziel ist. Deswegen sollte es oberste Priorität haben.

Aubrey de Grey ist biomedizinischer Gerontologe und wissenschaflicher Leiter der Sens Research Foundation, die sich für die Bekämpfung des Alterungsprozesses einsetzt.

Bereits vor der Geburt altern wir, und der tägliche Zelltod und die Zellerneuerung sind Teil unseres Lebens. Dieser Prozess ist irreversibel, kann aber trotz der gleichen biologischen Grundlagen bei allen Menschen je nach Person sehr unterschiedlich verlaufen. Die Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung ist, von individuellen Ausnahmen wie dem altägyptischen König Ramses II. abgesehen, der etwa 90 Jahre alt wurde, historisch gesehen sehr jung.

Bessere Lebensbedingungen sowie Fortschritte in Medizin und Hygiene haben dazu geführt, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in den letzten 130 Jahren mehr als verdoppelt hat: von 40 Jahren im Jahr 1890 zu aktuell etwa 83 Jahren in der Schweiz. Die heute von den meisten Menschen erfahrene Lebensphase Alter (von etwa 65 Jahren bis zum Lebensende) ist Konsequenz dieser positiven Entwicklung, und die Forschung geht davon aus, dass die biologische Grenze der Langlebigkeit für den Menschen bei ungefähr 120 Jahren liegt.

«Erst durch das Wissen um die Endlichkeit lebt der Mensch bewusst. Erlebnisse werden einzigartig, weil sie eben nicht unendlich wiederholbar sind. »

Der permanent stattfindende Prozess des Alterns strukturiert unser Leben in verschiedene Phasen: Kindheit und Jugend – Erwachsenenalter – höheres Erwachsenenalter und Rentenalter – Hochaltrigkeit. Jede Phase hat ihre spezifischen Herausforderungen und ihre eigene Wertigkeit. Der Mensch weiss um seine Endlichkeit, und das Prozessuale unseres Alterns hilft uns, sie anzunehmen.

Alter soll weder als Krankheit behandelt noch als solche betrachtet werden, sondern als Teil des natürlichen Verlaufes des menschlichen Lebens, das gerade durch dessen Endlichkeit seine eigentliche Qualität erhält. Erst durch das Wissen um die Endlichkeit lebt der Mensch bewusst, und Erlebnisse werden einzigartig, weil sie eben nicht unendlich wiederholbar sind und auch nicht in jeder Phase des Lebens gemacht werden können.

Der Prozess des Alterns ist fundamentales Kennzeichen komplexer Organismen. Er sollte nicht nur als ein biologischer Vorgang angesehen werden, sondern vor allem in seiner Multidimensionalität – als psychischer, sozialer, kognitiver oder auch spiritueller Prozess – als Teil der menschlichen Weiterentwicklung und inneren Reifung wertgeschätzt werden.

Die Soziologin Sabina Misoch ist Leiterin des Instituts für Altersforschung der Ostschweizer Fachhochschule und forscht zu Fragen rund um den Umgang mit Personen über 65.

Jasagt Aubrey de Grey

Neinsagt Sabina Misoch

Altern ist eine Kombination aus zwei Prozessen: Der erste ist die Akkumulation der Veränderungen auf Molekular- und Zellebene im gesamten Lebensverlauf, ja bereits bevor wir geboren werden – ein Nebeneffekt der normalen Körperfunktionen. Der zweite Prozess sind die Gesundheitsprobleme, die im späteren Leben auftreten oder sich verschärfen und die intellektuellen und körperlichen Funktionen beeinträchtigen. Sie treten ein, wenn die Veränderungen durch den ersten Prozess ein Ausmass überschreiten, das der Körper im Laufe der Evolution zu tolerieren gelernt hat.

«Wir können geistige und körperliche Funktionen wie in der Jugend aufrechterhalten – und zwar potenziell.»

Weil der zweite Prozess unerwünscht ist, können wir die Veränderungen, welche die beiden Prozesse verbinden, als Schäden bezeichnen. Traditionell gelten gewisse Gesundheitsprobleme wie etwa Alzheimer, die meisten Krebsarten oder Typ-II-Diabetes, die Folge des zweiten Prozesses sind, als Krankheiten, andere hingegen wie Gebrechlichkeit, abnehmende Muskelmasse oder ein schwächeres Immunsystem als Alterung an sich.

Diese Unterscheidung ist willkürlich und entbehrt jeder biologischen Grundlage: Bei den sogenannten Alterskrankheiten handelt es sich lediglich um Aspekte des Alterns, für die wir krankheitsähnliche Bezeichnungen eingeführt haben. Unabhängig davon, ob wir das Altern als Krankheit bezeichnen oder nicht, sollten wir es wie eine Krankheit behandeln, da es ein medizinisches Problem ist. Weil das Altern ein Nebeneffekt davon ist, dass wir am Leben sind, können wir es nicht in demselben Sinne heilen wie etwa eine Infektion, sprich mit einer einzigen Behandlung.

Indem wir jedoch regelmässig die Schäden mithilfe der regenerativen Medizin reparieren, beispielsweise mit Stammzellen oder der enzymatischen Beseitigung von Abfallprodukten, können wir die Entstehung und das Fortschreiten von Gesundheitsproblemen im Alter vermeiden und damit geistige und körperliche Funktionen wie in der Jugend aufrechterhalten, und zwar potenziell auf unbegrenzte Zeit. Schliesslich haben die jüngsten Fortschritte in Labors eindeutig gezeigt, dass dies ein realisierbares Ziel ist. Deswegen sollte es oberste Priorität haben.

Aubrey de Grey ist biomedizinischer Gerontologe und wissenschalicher Leiter der Sens Research Foundation, die sich für die Bekämpfung des Alterungsprozesses einsetzt.

Bereits vor der Geburt altern wir, und der tägliche Zelltod und die Zellerneuerung sind Teil unseres Lebens. Dieser Prozess ist irreversibel, kann aber trotz der gleichen biologischen Grundlagen bei allen Menschen je nach Person sehr unterschiedlich verlaufen. Die Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung ist, von individuellen Ausnahmen wie dem altägyptischen König Ramses II. abgesehen, der etwa  Jahre alt wurde, historisch gesehen sehr jung. Bessere Lebensbedingungen sowie Fortschritte in Medizin und Hygiene haben dazu geführt, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in den letzten  Jahren mehr als verdoppelt hat: von  Jahren im Jahr  zu aktuell etwa  Jahren in der Schweiz. Die heute von den meisten Menschen erfahrene Lebensphase Alter (von etwa  Jahren bis zum Lebensende) ist Konsequenz dieser positiven Entwicklung, und die Forschung geht davon aus, dass die biologische Grenze der Langlebigkeit für den Menschen bei ungefähr  Jahren liegt.

«Erst durch das Wissen um die Endlichkeit lebt der Mensch bewusst. Erlebnisse werden einzigartig, weil sie eben nicht unendlich wiederholbar sind. »

Der permanent stattfindende Prozess des Alterns strukturiert unser Leben in verschiedene Phasen: Kindheit und Jugend – Erwachsenenalter – höheres Erwachsenenalter und Rentenalter – Hochaltrigkeit. Jede Phase hat ihre spezifischen Herausforderungen und ihre eigene Wertigkeit. Der Mensch weiss um seine Endlichkeit, und das Prozessuale unseres Alterns hilft uns, sie anzunehmen. Alter soll weder als Krankheit behandelt noch als solche betrachtet werden, sondern als Teil des natürlichen Verlaufes des menschlichen Lebens, das gerade durch dessen Endlichkeit seine eigentliche Qualität erhält. Erst durch das Wissen um die Endlichkeit lebt der Mensch bewusst, und Erlebnisse werden einzigartig, weil sie eben nicht unendlich wiederholbar sind und auch nicht in jeder Phase des Lebens gemacht werden können.

Der Prozess des Alterns ist fundamentales Kennzeichen komplexer Organismen. Er sollte nicht nur als ein biologischer Vorgang angesehen werden, sondern vor allem in seiner Multidimensionalität – als psychischer, sozialer, kognitiver oder auch spiritueller Prozess – als Teil der menschlichen Weiterentwicklung und inneren Reifung wertgeschätzt werden.

Die Soziologin Sabina Misoch ist Leiterin des Instituts für Altersforschung der Ostschweizer Fachhochschule und forscht zu Fragen rund um den Umgang mit Personen über 65.