Eine Handelsminute bei Nasdaq, 15.35 Uhr am 8. März 2011. Die Grösse der Kreise zeigt die Anzahl der gehandelten Aktien, die vertikale Achse zeigt den Kurs. Die Algorithmen im Hochfrequenzhandel arbeiten in Mikrosekunden. Sie waren der Grund für den Flash-Crash im Mai 2010. | Bild: Graphic by Stamen

Die Wirtschaft soll den Menschen ein gutes Leben ermöglichen: Dieser Aussage würden wohl die meisten Wissenschaftler und Politiker zustimmen. Und wenn man mit «den Menschen» auch künftige Generationen meint, so sollte «nachhaltige Wirtschaft» eigentlich ein Pleonasmus sein: Eine nicht nachhaltige Wirtschaft verfehlt ihren Zweck. Schliesslich bedeutet «Ökonomie» im ursprünglichen Sinn die Lehre der guten Haushaltsführung. Aber «nachhaltige Wirtschaft» ist kein Pleonasmus, der Begriff Nachhaltigkeit ist teilweise gar verpönt. Und doch sind der zunehmende Ressourcenverbrauch, der Klimawandel und das Artensterben nur ein paar Indizien für die fehlende Nachhaltigkeit der Wirtschaft, wie wir sie kennen. Warum ist das so – und wie liesse es sich ändern? Die einfache Frage öffnet ein weites Feld: Warum handeln Wirtschaftsakteure, vom Einpersonenhaushalt bis zum Multi, so, wie sie handeln? Müssten – und können – Anreize anders gesetzt werden? Welche gesetzlichen Regulierungen finden politische Akzeptanz? Wie lassen sich umweltfreundliche Techniken fördern und finanzieren? Kann die Wirtschaft gleichzeitig Wohlstand mehren und weniger Ressourcen verbrauchen? Ist eine Wirtschaft denkbar, die ohne Wachstum stabil bleibt? Was soll man unter «Wohlstand» oder unter einem «guten Leben» verstehen? Es sind Fragen, mit denen sich verschiedene Teilbereiche der Ökonomie sowie Disziplinen aus Sozial-, Technik- und Geisteswissenschaften befassen.

Entwicklung ist zu langsam

Wie alle interdisziplinären Fragestellungen haben es diese Themen im disziplinär strukturierten akademischen Betrieb schwer. Das sagt Gunter Stephan, Ökonomieprofessor an der Universität Bern und Präsident der Leitungsgruppe des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wirtschaft» (NFP 73). Aus seiner Sicht sollte sich die Forschung damit beschäftigen, wie Anreize für jegliches Handeln in der Wirtschaft – ob produzieren, konsumieren oder verteilen – anders gesetzt werden können. Und wie die richtigen Fachleute ausgebildet werden können, die es nach einer Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft braucht.

«Viele Ökonomen wollen die Geisteswissenschaften auf keinen Fall dabeihaben.»Christian Arnsperger

Sein Kollege Lucas Bretschger von der ETH Zürich, Präsident der European Association of Environmental and Resource Economists, sieht weitere Themen, die mehr Forschung benötigen: der Zusammenhang zwischen Ökonomie und Ökologie in langer Frist unter Berücksichtigung der Eigendynamiken beider Bereiche sowie das globale Nord-Süd-Problem.

Natürlich hat jedes Feld seine eigenen Forschungsdesiderata. Joëlle Noailly ist Forschungschefin am Centre for International Environmental Studies in Genf und befasst sich mit der Rolle der Innovation. Neue «saubere» Techniken, sagt sie, minderten nicht nur den Druck auf die Umwelt. Sie könnten auch Arbeitsstellen schaffen, und die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich bringe einen besonders hohen Überschuss an Wissen mit sich, von dem auch andere Branchen profitierten. Denn saubere Technologien seien in vielen Bereichen anwendbar, auch im Halbleiterbereich und damit in der IT. «Aber die Entwicklung ist zu langsam», sagt Noailly. Die «Big Player», die grossen Energiekonzerne, seien wenig innovativ. Das liege daran, dass die Verschmutzung keinen Preis habe – ein Faktor, den der Markt allein nicht korrigieren könne: Dazu brauche es politische Regulierungen. Die mangelnde Innovationskraft gewisser Branchen sei aber nicht nur eine Frage der regulatorischen Rahmenbedingungen, sondern habe auch mit Mentalitäten zu tun. «Die Auswirkungen von Regulierungen müssen besser studiert werden. Es gibt da bereits viel Forschung, aber nun braucht es ein Fine-Tuning zwischen den Instrumenten. Nach Lehrbuch sind Lenkungsabgaben am effektivsten. Aber in der Praxis funktionieren andere Massnahmen wie Subventionen für ‹saubere› Technologien oder Verbote für ‹dreckige› oftmals besser.»

Im Bereich der Industrieökologie forscht Helga Weisz, Professorin an der HU Berlin und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die industriellen Ressourcenflüsse auf verschiedenen Ebenen seien recht gut erforscht, sagt Weisz: «Allerdings werden dabei oft nur Energie und Treibhausgase berücksichtigt, während die anderen Ressourcen und Abfallstoffe bislang wenig beachtet wurden. Und man weiss wenig darüber, welche gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen die Ressourcenflüsse bestimmen.»

Die Industrieökologie kennt traditionell vor allem zwei Ansätze: Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft. Erstere, sagt Weisz, lasse sich gut in die ökonomischen Modelle integrieren. Sie sei ein Liebling der Politik, da sie verspreche, man könne gleichzeitig mehr haben und weniger verbrauchen. Aber es bestehe die Gefahr, dass Effizienzsteigerungen nur dabei helfen, falsche Pfade länger beizubehalten. Die Idee der Kreislaufwirtschaft dagegen – jeder Abfall ist wieder Rohstoff für etwas Neues – sei eine einleuchtende Vision, aber wie sie sich in ökonomische Modelle einbinden lasse, sei noch eine grosse, offene Forschungsfrage. «Es gibt zahlreiche gute Beispiele für zirkuläre Produktion», sagt Weisz, «aber wie weit lassen die sich skalieren? Eine Systemanalyse fehlt hier noch.»

«Akteure als Automaten»

Weisz und Noailly sprechen von kulturellen Rahmenbedingungen und Mentalitäten – typisch geisteswissenschaftlichen Fragen.

«Das neoklassische Paradigma selber, die Orientierung an einer Wohlstandsmaximierung, blieb bisher unangetastet.»Helga Weisz

Aber bislang sind die Geisteswissenschaften an der ökonomischen Forschung wenig beteiligt, sagt Christian Arnsperger, Ökonom und Professor für Nachhaltigkeit an der Fakultät für Erd- und Umweltwissenschaften der Universität Lausanne. Ein stärkerer Einbezug geisteswissenschaftlicher Ansätze tue not. Aber da gebe es Widerstände zu überwinden: «Viele Ökonomen wollen die Geisteswissenschaften auf keinen Fall dabeihaben. Die Ökonomie orientiert sich traditionell an den Naturwissenschaften und will die Gesetze der Wirtschaft als Quasi-Naturgesetze verstanden haben. Um wirtschaftliche Abläufe modellieren zu können, betrachtet sie die Akteure weitgehend als Automaten: Man interessiert sich für das Tun, nicht aber für das Denken und Fühlen des Menschen.» Konzepte aus den Geisteswissenschaften wie Angst oder Entfremdung seien der Mainstream-Ökonomie fremd, aber sie seien wichtig, wenn man verstehen wolle, was die Menschen wirklich motiviere respektive sie kurzfristig von alternativen Verhaltensmustern abhalte. Liegt in dieser Haltung gar ein Grund für die fehlende Nachhaltigkeit der Wirtschaft? Arnsperger zögert, doch dann pflichtet er vorsichtig bei: «Ja. Durch das, was die ökonomische Wissenschaft ausblendet, trägt sie passiv ihr Scherflein dazu bei, dass die Wirtschaft heute so ist, wie sie ist.»

Die Schulen sind sich nicht einig

Arnsperger spricht einen Faktor an, der die Forschung zur nachhaltigen Ökonomie zusätzlich erschwert: Nicht nur sind viele Disziplinen mit unterschiedlichen Wissenschaftskulturen gefragt. Es gibt auch innerhalb der Disziplinen und vor allem innerhalb der Ökonomie verschiedene Schulen, die dieselben Fragen zum Teil sehr unterschiedlich beantworten – je nachdem, welche Annahmen über die Welt ihrer Forschungsrichtung und ihren Methoden zugrunde liegen. Ob man beispielsweise eine Lenkungsabgabe oder aber Subventionen bevorzugt, hat viel mit weltanschaulichen Präferenzen zu tun.Ganz grob könnte man sagen: Der Mainstream – die Neoklassik – sucht nach Wegen, wie sich Wirtschaftsleistung und Umweltverbrauch entkoppeln lassen. Heterodoxe Schulen wie etwa die ökologische Ökonomik indes fragen eher nach Alternativen zu einer Wirtschaft, die einem Wachstumszwang unterliegt. Die beiden Sichtweisen lassen sich nur schwer verbinden.

«Wenn jemand das Grundinstrumentarium der Ökonomie ablehnt, ist die Zusammenarbeit mit Ökonomen naturgemäss schwierig.»Lucas Bretschger

Gunter Stephan bestätigt die Schwierigkeiten: «Über weite Strecken reden die Vertreter der beiden Richtungen aneinander vorbei.» Doch selbst in der Frage, ob es überhaupt einen Graben zwischen den verschiedenen Schulen gebe, herrscht keine Einigkeit. So sagt ETH-Ökonom Bretschger: «Die Umweltökonomie hat viele Anliegen der ökologischen Ökonomik aufgenommen. Wir haben nie die Meinung vertreten, dass Wohlfahrt einzig an den Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts abzulesen sei. So was steht nur noch in veralteten Lehrbüchern.» Allerdings sagt er auch, dass viele Wirtschaftspolitiker eben die alten Lehrbücher gelesen hätten und Wachstum auch aus anderen Gründen sehr befürworteten – und diese Stimmen müsse man ernst nehmen. Denn in einer Demokratie gehe es immer darum, mehrheitsfähige Lösungen zu finden.

Und noch etwas fügt Bretschger hinzu: «Wir sind für kritische Sichtweisen immer offen, aber wenn jemand das Grundinstrumentarium der Ökonomie ablehnt, ist die Zusammenarbeit mit Ökonomen naturgemäss schwierig.» Doch genau dieses «Grundinstrumentarium» kritisieren die anderen Schulen der Wirtschaftswissenschaften. Helga Weisz, ehemaliges Vorstandsmitglied der Europäischen Gesellschaft der ökologischen Ökonomen, widerspricht Bretschgers Einschätzung denn auch dezidiert: Sie stimmt zu, dass die Neoklassik einige Erkenntnisse der ökologischen Ökonomik in ihre Modelle integriert hat, die sich einfach nicht mehr ignorieren liessen. Dies sei jedoch immer innerhalb des neoklassischen Paradigmas passiert. «Dieses Paradigma selber, nämlich die Orientierung an einer Wohlstandsmaximierung, blieb dabei aber unangetastet.»

Wie hast du’s mit dem Wachstum: Das bleibt die Gretchenfrage, wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht. Und da besteht grosser Forschungsbedarf, ganz egal, wie man die Frage beantwortet. «Die einen», sagt Helga Weisz, «wollen die Wirtschaftsleistung vom Ressourcenverbrauch entkoppeln, können aber nicht sagen, wie das gehen soll. Die anderen kritisieren das Wirtschaftswachstum, können aber nicht sagen, wie bei einer sinkenden Wirtschaftsleistung grössere soziale Verwerfungen vermieden werden können. Die Kernfragen sind auf beiden Seiten offen.»

Marcel Hänggi ist freier Wissenschaftsjournalist in Zürich.