RAUMKLIMA
Wenn der Dummy schwitzt oder fröstelt
Manche wollen im Büro stets die Fenster aufreissen, andere sich immer nur einmummeln. Mithilfe von Hightech-Puppen wollen Forschende dem Dilemma Abhilfe schaffen.

Die ausgeklügelte Testpuppe Andi kann dank Mikroporen sogar in Schweiss ausbrechen. | Foto: Therme metrics
Im Sommer kühlt sie, im Winter wärmt sie – die Klimaanlage ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch so verlässlich sie summt, so selten erfüllt sie alle Erwartungen: Während der eine fröstelt, könnte es für die andere ruhig etwas kühler sein.
Klimatisierung für alle heisst oft, dass niemand zufrieden ist und doch riesige Mengen Energie verbraucht werden. Laut der Internationalen Energieagentur sind die Anlagen ein Treiber für den wachsenden Strombedarf. Weil dieser global überwiegend aus fossilen Quellen kommt, entsteht ein folgenschwerer Kreislauf: mehr Hitze, mehr Kühlbedarf, mehr Strom, mehr Emissionen.
Agnes Psikuta ist daran, dem entgegenzuwirken: «Wir wollen Gebäude im Sommer weniger kühlen und im Winter nicht so sehr heizen. Dafür statten wir Arbeitsplätze mit individuellen Lösungen aus – ein Mikroklima für alle sozusagen», erklärt die Forscherin, die für die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa arbeitet. «So steigern wir den Komfort für die Mitarbeitenden und können gleichzeitig bis zu 60 Prozent der Gebäudeenergie sparen.»
1,80 Meter, 35 Kilogramm, 144 Poren
Beheizbare Sitzkissen, Strahlungspaneele auf Tischhöhe, wärmende Fussmatten, Miniventilatoren für Hände und Gesicht: Mögliche Lösungen für das individuelle Wohlbefinden gibt es viele. Aber welche Kombination senkt den Energiebedarf und steigert den Komfort? Das will Psikuta klären – und greift dafür auf eine Forschungsinfrastruktur zurück, die erst Ende 2024 aufgebaut wurde: das sogenannte Swiss Manikin Research Center.
Das sind hauptsächlich zwei Hightech-Puppen mit Namen Andi und HVAC. Die beiden Mannequins sind die fortschrittlichsten Dummys auf ihrem Gebiet. Gebaut hat sie ein US-Unternehmen, ganz nach den Wünschen Psikutas. «Ihre Sensoren und Fähigkeiten waren einzigartig, als wir sie bestellt haben», sagt sie. Soll heissen: Zu diesem Zeitpunkt gab es keine vergleichbaren Testpuppen, sie wurden so lange weiterentwickelt, bis die Validierung perfekt war.
Andi ist knapp 1,80 Meter gross, wiegt 35 Kilogramm und besitzt 35 Körperzonen, die er heizen und – das gab es bislang nicht – kühlen kann. Die Kühlung setzt ein, wenn die Hauttemperatur des Dummys steigt. So lassen sich Wärmeverlust und Wärmeaufnahme quantifizieren.
Und weil Andi dank seiner 144 Mikroporen sogar schwitzen kann, ist er in der Lage, die thermischen Reaktionen des menschlichen Körpers zu simulieren. Mit einem feinmaschigen Netz aus Wärmeflusssensoren misst die Puppe zudem, ob und wie viel Energie an jeder Körperstelle abgegeben oder aufgenommen wird.
Wärmt die Sonne oder die Heizung?
Andis Partner heisst HVAC. Er ist etwas kleiner und leichter, dafür mit 46 Sensorkombinationen bestückt, die Luftgeschwindigkeit, Temperatur, relative Feuchte sowie kurz- und langwellige Strahlung an jeder Körperstelle erfassen. Damit misst er alle klimatischen Einflüsse, die auf ihn wirken – wie stark wird er beispielsweise durch einen Heizkörper und wie stark durch die Sonne, die ihn durchs Fenster anstrahlt, aufgeheizt?
«Erstmals können wir exakt messen, welcher Teil der Wärme über Strahlung und welcher über Luftbewegung übertragen wird», sagt Dolaana Khovalyg. Sie ist Assistenzprofessorin an der EPFL, Projektleiterin und arbeitet eng mit Agnes Psikuta zusammen: «HVAC zeigt uns also, was von aussen kommt, und Andi, wie der Körper darauf reagiert.»
Mit den kombinierten Daten testen die Forschenden jede erdenkliche Zusammenstellung für den Komfort: beheizte Sitzfläche versus Miniluftdüse, Strahlungspaneel versus Fussmatte. Damit schaffen die Hightech-Dummys eine wissenschaftlich belastbare Grundlage, auf der neue Normen fürs Wohlbefinden und für energiesparende Klimasysteme entwickelt werden können.
Khovalyg sagt: «Am Ende unseres Projekts steht ein Leitfaden, der für jede Klimazone und jeden Gebäudetyp Empfehlungen liefert.» Damit soll das Büro von morgen weniger Energie verbrauchen – und trotzdem niemand darin frieren oder schwitzen.