Flashbacks, Albträume, übersteigerte Sorge um das Kind: Eine geburtsbezogene posttraumatische Belastungsstörung wirkt sich nachhaltig aus. | Bild: Eylul Aslan / Connected Archives

Was rund um die Geburt schwierig oder schmerzhaft ist, was nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht, ist noch immer häufig tabu. Fehlgeburten, Schwierigkeiten beim Stillen, postpartale Depression: «All diese Themen sind oft mit viel Scham und Isolation verbunden», sagt Antje Horsch, Professorin an der Universität Lausanne. Mit der Ausstellung «Bébé en tête» möchte die klinische Psychologin etwas daran ändern.

Für die Sozialanthropologin Caroline Chautems hängt dieses Stigma auch stark mit der Individualisierung von Verantwortung zusammen, wie sie für wohlhabende Länder wie die Schweiz charakteristisch sei. Wenn etwas nicht erwartungsgemäss funktioniere, gelte es, sich auf die eigenen Ressourcen zu besinnen. «Resilienz ist hier als sehr wichtiger Wert kontextualisiert», sagt die Postdoc am Zentrum für Gender Studies der Universität Lausanne. Gerade in der Schweiz werde Familie ausserdem als Privatsache angesehen.

Tabus erkunden
Die Ausstellung «Bébé en tête» im Musée de la main des Universitätsspitals Lausanne deckt Vorurteile und Tabus rund um die mentale Gesundheit der Eltern auf: vor, während und nach der Geburt. Sie kann noch bis am 24. März 2024 besucht werden.

Den Druck auf Eltern verstärkt hat laut Chautems auch der Vormarsch des sogenannten Intensive Parenting ab den 90er-Jahren: «Eltern ziehen nicht mehr einfach Kinder gross, sondern sind permanent mit der Optimierung der kindlichen Entwicklung beschäftigt.» Im Babyalter gilt das besonders für das Stillen: All die Empfehlungen von Gesundheitsfachleuten zu den gesundheitlichen Vorteilen des Stillens setzen Eltern stark unter Druck.

«Eine Geburt kann aus medizinischer Sicht problemlos vonstatten gegangen sein und für die Mutter dennoch zum Trauma werden.»Antje Horsch

Wer Zugang zu so vielen Informationen habe, von dem werde auch erwartet, diese im bestmöglichen Sinne anzuwenden. Nicht stillen zu können oder zu wollen, führe zum Gefühl, versagt zu haben oder von anderen verurteilt zu werden. Ausserdem: «Ab der Einführung der Pille in den 60er-Jahren wurde Kinder zu haben als freie Wahl verstanden.» Schwangerschaft werde heute als rare und kostbare Erfahrung konzeptualisiert, zu der man sich ganz bewusst entscheide. Entsprechend steige die Erwartung, dass diese den gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechend verlaufen müsse.

Parallel sind in den vergangenen Jahren laut Chautems aber auch immer mehr Initiativen entstanden, die Frauen dazu ermutigten, schwierige Erfahrungen wie Gewalt im Geburtssaal oder den Verlust eines Babys mit anderen zu teilen – oder auch offener über die Zeit nach der Geburt grundsätzlich zu sprechen. Die Me-too-Bewegung habe hier sicher den Weg geebnet.

Geburt von einem Drittel als traumatisch beurteilt

«Gebären ist ein natürlicher Prozess, für den unser Körper das nötige Rüstzeug mitbringt», sagt auch Horsch. «Das bedeutet nicht, dass eine Geburt deshalb ein wundervolles Erlebnis sein muss.» Die Psychologin konzentriert sich in ihrer Forschung vor allem auf traumatische Geburten. «Diese können nicht nur für die Mutter langfristige und schwerwiegende Folgen haben, sondern auch für das Kind und den anderen Elternteil.» Gut ein Drittel aller Gebärenden beurteile die Geburt als traumatisch, wie eine Erhebung ergeben hat. «Entscheidend ist, wie der Prozess subjektiv erlebt wird», betont die Psychologin. «Eine Geburt kann aus medizinischer Sicht problemlos vonstatten gegangen sein und für die Mutter dennoch zum Trauma werden.»

«Du hast doch ein gesundes Baby, bekommen Betroffene immer wieder zu hören. Das reicht aber nicht, es muss auch der Mutter gutgehen.»Susan Ayers

Etwa vier Prozent aller gebärenden Frauen entwickeln sogar eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Nach einem Notkaiserschnitt, einer Frühgeburt oder dem Verlust des Kindes steigt das Risiko markant an: 15 bis 20 Prozent sind in diesem Fall betroffen. Eine geburtsbezogene PTBS ist nicht dasselbe wie eine postpartale Depression, auch wenn beides mit Symptomen wie ständiger Niedergeschlagenheit und negativen Gedanken einhergeht. Zu einer PTBS gehören auch Flashbacks oder Albträume sowie das Vermeiden von Gesprächen und Situationen, die an die Geburt erinnern, etwa ärztliche Kontrolltermine. Oft sind die Betroffenen in übersteigertem Masse wachsam und in permanenter Sorge um ihr Kind.

Die Vorstellung, dass auch etwas so positiv Gewertetes wie eine Geburt traumatisch sein kann, sei in der Forschung zunächst auf grossen Widerstand gestossen, erzählt die Psychologin Susan Ayers von der City University of London. Sie beschäftigt sich bereits seit den 90er-Jahren mit dem Thema. Inzwischen hätten Akzeptanz und Bewusstsein in Fachkreisen stark zugenommen. «Nur die öffentliche Wahrnehmung hinkt bei dem Thema noch etwas hinterher.» Auch in Grossbritannien reagiere die Gesellschaft noch immer häufig mit Unverständnis auf Frauen, die durch eine Geburt traumatisiert seien; Schwierigkeiten in der sogenannten perinatalen Phase seien auch hier ein Tabu. «Du hast doch ein gesundes Baby», bekämen Betroffene immer wieder zu hören. Das reiche aber nicht, fügt Ayers an. «Es muss auch der Mutter gutgehen.»

Veraltete Geburtsvorbereitung

Ein Geburtstrauma kann über die elterlichen Interaktionen auch auf das Neugeborene übertragen werden. So konnten Horsch und ihr Team nachweisen, dass Frauen mit Verdacht auf Geburtstrauma schon kurz nach der Niederkunft stärker auf Stresssituationen reagieren als andere Mütter. Sie unterschieden sich nicht nur im Verhalten, sondern auch in physiologischen Reaktionen wie Herzrate oder Cortisolspiegel. Solche Veränderungen könnten sich negativ auf die frühe Bindung zum Kind auswirken, vermutet die Psychologin. Eltern stellten normalerweise das Gerüst, damit Babys ihre Emotionen regulieren können. Würden sie aber selbst von starken Gefühlen überwältigt, dürfte das Fördern dieser Kompetenz schwerfallen.

Kinder von traumatisierten Müttern weisen im Alter von zwei Jahren auch häufiger Schlafstörungen auf, wie eine Kohortenstudie unter der Leitung von Horsch zeigt. Ausserdem entschieden sich betroffene Frauen seltener für ein weiteres Kind, und wenn doch, dann erst nach Jahren. «Verläuft die präpartale Phase dann aber positiv, erleben viele Mütter dies auch als heilenden Prozess.»

«Fühlt sich eine Frau übergangen, ist es den Fachleuten wohl nicht ausreichend gelungen, ihren Sorgen genug Platz einzuräumen.»Antje Horsch

Die Kommunikation zwischen werdenden Eltern und Gesundheitsfachleuten ist entscheidend, um ein Trauma zu vermeiden. Das beginnt schon bei den Vorbereitungskursen, wie Horsch weiss. Viele Paare empfänden diese als überholt: Zu sehr werde die Geburt als natürlicher Vorgang angepriesen und auf mögliche Komplikationen und medizinische Eingriffe im Spital ungenügend vorbereitet.

Zentral ist auch der Dialog während der Geburt: Das Fachpersonal müsse stärker darauf sensibilisiert werden, mit den werdenden Eltern aktiv im Austausch zu bleiben, betont Horsch. Traumatisierte Frauen hätten oft das Gefühl, dass vieles über ihren Kopf hinweg entschieden worden sei. Ausserdem würden sie sich häufig nicht trauen, Zweifel zu äussern oder Bedürfnisse anzumelden. Pauschal das medizinische Personal oder die Pflegefachleute für Geburtstraumata verantwortlich zu machen, liegt der Wissenschaftlerin aber fern. «Die allermeisten Menschen im Gesundheitswesen geben täglich ihr Bestes.» Eingriffe wie etwa ein Kaiserschnitt dürften ohne die Einwilligung der Patientin ausserdem gar nicht vorgenommen werden. «Fühlt sich eine Frau aber übergangen, ist es den Fachleuten wohl nicht ausreichend gelungen, den Sorgen der Gebärenden genug Platz einzuräumen.»

Eine Viertelstunde Tetris nach Notkaiserschnitt

Auch nach der Geburt bleibt der Austausch wichtig: Schon ein einmaliges Gespräch mit einer Hebamme innerhalb der ersten Wochen reduziert das Risiko einer postpartalen Depression oder einer PTBS markant, wie Horsch in einer Untersuchung nachwies. Das Universitätsspital Lausanne hat deshalb eine entsprechende Sprechstunde eingeführt. Ausserdem werden Mütter heute kurz nach der Geburt automatisch mit zwei Fragen – Haben Sie sich während der Geburt irgendwann in Lebensgefahr gewähnt? Fürchteten Sie, dass Ihr Kind sterben könnte? – auf ein Trauma hin gescreent.

Schon länger arbeitet Horsch an einer präventiven Intervention. Sie konnte bereits mehrfach zeigen: Wer nach einem Notkaiserschnitt eine Viertelstunde lang Tetris spielt, erlebt weniger Flashbacks oder entwickelt gar seltener eine PTBS. Die Psychologin hofft nun, diese Massnahme in Schweizer Spitälern implementieren zu können.