Die fetten Jahre des Printjournalismus sind vorbei. Heute wird der Puls der Lesenden online gefühlt. | Foto: Photopress-Archiv / Keystone

 

«Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?» Diese Frage kennen wir alle. Es ist ein typischer Aufruf an die Lesenden, ihre Meinung kundzutun. Mit einem simplen Klick auf einen kleinen Daumen, hoch oder runter, oder auch in einem Kommentarfeld, wie etwa bei 20 Minuten oder dem Tages-Anzeiger, soll so der Erfolg der eigenen Nachricht erhoben werden. «Das ist ein gutes Mittel, die Lesenden mitreden zu lassen. Es spricht sie emotional an und stärkt das Zugehörigkeitsgefühl», sagt Tobias Keller vom Politik- und Kommunikationsforschungsinstitut GFS in Bern. «Obwohl das eine recht rudimentäre Erhebung ist, erlaubt sie einem Medium, schnell und einfach wertvolle Informationen zu bekommen.»

Die Faktoren, anhand derer Medien ihren Erfolg messen, haben sich über die Jahre geändert. Früher sei zum Beispiel die Attraktivität für Werbekundschaft ein wichtiger Aspekt gewesen, sagt Nathalie Pignard-Cheynel von der Universität Neuenburg. «Mit der Digitalisierung drehte sich dann lange alles nur noch um die Klicks. Heute spielen dagegen eher differenziertere Daten wie Lesedauer, Lesemenge und die Bindung der Lesenden eine wichtige Rolle.»

«Umfragen sind wertvolle Ergänzungen zu harten Daten wie Klicks und Likes.»Daniel Vogler

Laut der Professorin der Medienwissenschaften gewinnen vor allem auch der direkte Austausch mit den Lesenden und der Community-Gedanke an Bedeutung, wenn Redaktionen die Wirkung ihrer Beiträge bewerten wollen. Denn eine der wichtigsten Fragen sei heute: «Welche Artikel, und warum, bringen die Leserinnen dazu, ein Abo zu lösen?»

Um dies zu verstehen, müssen Medien ihre Lesenden besser kennenlernen, etwa anhand von Umfragen. «So kann etwa eine Zeitungsredaktion mehr zur Motivation ihrer Leserinnen herausfinden, also warum etwas ihnen gefällt», sagt Daniel Vogler. Er ist Forschungsleiter und stellvertretender Direktor des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft Fög an der Universität Zürich. «Das sind wertvolle Ergänzungen zu harten Daten wie Klicks und Likes.»

Forschungsexpertise ist nötig

Damit solche Umfragen verlässliche Aussagen liefern würden, gelte es vor allem zwei Punkte zu beachten: eine möglichst ausgewogene Zusammensetzung der Teilnehmenden und die richtige Befragungsmethode. «Tendenziell nehmen eher Lesende, die dem Medium gegenüber positiv eingestellt sind, an einer Befragung teil», gibt auch Keller vom GFS zu bedenken. Das könne die Ergebnisse verzerren.

Daher sei es wichtig, die Umfrage über verschiedene Kanäle bereitzustellen – zum Beispiel über schriftliche Einladungen an Abonnentinnen und online, um auch Zufallslesende zu erreichen. Mit Filtern könnten zudem Fragen ein- oder ausgeschlossen werden, je nachdem, wie jemand auf die Umfrage kommt. Für zufällige Besuchende kann so die Befragung verkürzt werden. Das verhindere, dass weniger Interessierte die Umfrage vorzeitig abbrechen.

«Die Zeit der Monopole ist vorbei. Medien, die langfristig existieren wollen, müssen sich über ihren eigenen Erfolg Gedanken machen.»Nathalie Pignard-Cheynel

Bei der Vorbereitung der Umfrage sei zudem wichtig, dass dem Medium selbst klar ist, was es eigentlich herausfinden will. Etwa, welche Artikelformate gern und oft gelesen werden. «Das ist ein Fallstrick: Die Gefahr besteht, dass eine Methode gewählt wird, die gar nicht zur eigentlichen Frage passt», meint Vogler vom Fög. Hier hakt die Neuenburger Journalismusforscherin Pignard-Cheynel ein: «Viele Redaktionen und Herausgeber merken, dass sie dafür Expertise brauchen.» Während Medienhäuser früher oft selbst gestrickte Analysen durchführten, ergäben sich heute zunehmend Kooperationen mit unabhängigen Forschungsinstituten.

«Was Medien unter Erfolg verstehen, ist sehr individuell und wird anhand unterschiedlicher Faktoren definiert», ergänzt Marie-Ange Pittet von der WEMF AG für Werbemedienforschung. «Zahlen zum Umfang der Lesendenschaft etwa oder zur Reichweite von Artikeln, die in nationalen Umfragen oft ermittelt werden, erlauben es Medien herauszufinden, welches Publikum sie über welche Kanäle und wie oft erreichen.» So oder so, die Neuenburger Forscherin Pignard-Cheynel ist sicher: «Die Zeit der Monopole ist vorbei. Medien, die langfristig existieren wollen, müssen sich über ihren eigenen Erfolg Gedanken machen. Dazu sollten sie ihren Leserinnen zuhören.»