Gino Caspari wurde am Lagerfeuer dazu animiert, über seine arhäologischen Expeditionen zu berichten. | Foto: Florian Spring

«Mir wurde vorgeworfen, dass ein seriöser Forscher so etwas nicht tue.»
Gino Caspari (36), freischaffender Forscher, Universität Bern
Instagram: gibt auf @ginocaspari Einblicke in seine archäologische Arbeit, 140 000 Follower

«Früher war ich der Meinung, dass Social Media Zeitverschwendung sind. Heute wende ich rund ein bis zwei Stunden pro Tag auf, um Bilder hochzuladen, Fakten zusammenzufassen, Videos zu schneiden und auf Kommentare und Privatnachrichten zu antworten. Es begann nach einem Expeditionstag in der sibirischen Steppe, als mich meine Kollegen am Lagerfeuer drängten: Du führst ein abenteuerliches Leben – das interessiert die Leute! Die Idee liess mich nicht mehr los. Denn was mich an der Archäologie immer irritierte, war die Diskrepanz zwischen dem enormen Interesse der Öffentlichkeit an archäologischen Themen und der minimalen Kommunikation der Forschung.

In unserem Fach geht es oft um Identitäten und um die Frage, woher wir kommen. Ich wollte also einen ernst zu nehmenden, für alle verständlichen Kommunikationskanal aufbauen. 2018 begann ich damit, systematisch Ausgrabungsorte und Funde zu zeigen: Knochen und Zähne, Krüge und Grabsteine, Mumienköpfe und Satellitenbilder. Die Bildbeschreibungen enthalten Fakten, Einblicke in Methoden und Arbeitsweisen der Archäologie. Viele Beiträge verknüpfe ich mit meiner persönlichen Erfahrung, etwa der Anspannung vor einer Grabung, der Teamarbeit, damit im sibirischen Sturm das Zelt nicht wegfliegt. Dieses Konzept stiess schnell auf grosses Interesse.

In den USA wird Wissenschaftskommunikation schon fast erwartet. Hierzulande sind wir noch nicht ganz so weit: Mir wurde vorgeworfen, dass ein seriöser Forscher ‹so etwas› nicht tue oder dass meine Informationen unvollständig seien. Mir geht es aber um etwas anderes: Die subjektive Erfahrung kann dabei helfen, einen ersten Zugang zu wissenschaftlichen Themen zu schaffen. Einer meiner erfolgreichsten Posts war ein Livestream zur Restauration von Salzmumien aus dem Iran. Rund 1000 Leute schauten zu, über die Zeit wurde das Video fast 100 000 Mal angesehen. Kein Vergleich zu meinen öffentlichen Abendvorträgen an der Uni!» kr

Dina D. Pomeranz wechselt auch mal zum Telefon, wenn es auf Twitter zu kompliziert und emotional wird. | Foto: Florian Spring

«Das Ganze erinnert mich an die Diskussionen früher am WG-Küchentisch.»
Dina D. Pomeranz (46), Professorin für Ökonomie, Universität Zürich
Twitter: kommentiert unter @DinaPomeranz zu ihrem Fach, 68 000 Follower

«Ich bin wohl Forscherin geworden, weil mich die Welt interessiert. Aus dem gleichen Grund gefällt mir Twitter. Ich lerne dort immer wieder sehr viel Anregendes und begegne Menschen, die ich sonst im Alltag kaum treffen würde. Es erstaunt mich oft, dass sich so viele Leute für meine Tweets interessieren. Auch wenn mich das freut, war es eigentlich nie mein Ziel, eine grosse Reichweite zu erlangen. Ich tweete einfach Dinge, die ich selbst interessant finde.

Generell liebe ich es, Brücken zu bauen zwischen verschiedenen Communities und Wissen mit einer breiteren Bevölkerung zu teilen und zu diskutieren. Twitter bietet dazu viele Gelegenheiten. Das Ganze erinnert mich an Diskussionen, die wir früher im Studium am WG-Küchentisch führten: Man kann sich dazusetzen, nur zuhören oder mitreden und auch jederzeit wieder gehen.

Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass Twitter freiwillig ist – auch während energischer Debatten. Wenn die Gespräche kompliziert oder emotional werden, finde ich es oft hilfreich, auf Direktnachrichten oder das Telefon zu wechseln, um eine gemeinsame Basis zu finden. In mehreren Fällen, in denen das Gespräch intensiv war, habe ich mich danach auch persönlich mit den Leuten getroffen. Das hat zu sehr konstruktivem Austausch geführt.

Per Twitter lernte ich auch meinen Co-Autor Constantine Manda aus Tansania kennen, mit dem ich nun gemeinsame Forschungsprojekte durchführe. Twitter hilft mir also, aus meiner lokalen Bubble auszubrechen und mehr Feedback von Leuten ausserhalb meiner geografischen und fachlichen Umgebung zu erhalten.» kr

Kaan Mika hat sich per Hashtag #sciencerely mit anderen Wissenschaftsinfluenzern vernetzt. | Foto: Florian Spring

«Ich möchte zeigen, dass Wissenschaft Spass macht.»
Kaan Mika (33), Postdoc in Molekularbiologie, ETH Zürich
Instagram: veröffentlicht Fotos auf @slice_of_science, 13 000 Follower

«Eines Tages habe ich einen lustigen Beitrag mit einem Tierfoto von mir auf Instagram gepostet und viele positive Kommentare erhalten. Das hat mich motiviert. Später habe ich den Account slice_of_science erstellt – mein Lieblingsaccount, weil ich ein besserer Forscher als Fotograf bin. Später habe ich auch eine türkische Version davon eröffnet.

Seit vier Jahren bin ich hobbymässig wissenschaftlicher Influencer. Mein Ziel ist es, über Themen zu informieren und gleichzeitig zu zeigen, dass Wissenschaft Spass macht. Dabei verweise ich hauptsächlich auf die Forschung anderer. Themen wie Politik spreche ich nicht an. Ich möchte niemanden vor den Kopf stossen. Zu meiner Zielgruppe gehören Fotografie- und Naturbegeisterte, die breite Öffentlichkeit und Forschende. Heute sind ja bereits junge Professorinnen auf Instagram. Über Instagram habe ich übrigens das Labor gefunden, in dem ich heute über das Gedächtnis von Stechmücken forsche.

Ich musste zuerst die Werkzeuge der sozialen Netzwerke nutzen lernen. Ich habe Kurse darüber besucht, wie Inhalte verständlich zusammengefasst werden können. Beim Verwenden von Metaphern statt Fachbegriffen kommt es ja leicht zu Fehlern. Ich brauche zwei Stunden für einen qualitativ hochwertigen Beitrag, sogar bis zu zwei Wochen, wenn ich einen Kollegen oder eine Kollegin vorstelle.

Ich lasse mich von Wissenschaftsinfluencern aus der ganzen Welt inspirieren, die teilweise mehrere Hunderttausend Abonnentinnen haben. Wir haben die Gruppe mit dem Hashtag #sciencerely gegründet, in der wir uns gegenseitig unterstützen. Es mag nicht gleich sichtbar sein, aber die sozialen Netzwerke bieten Raum für Austausch und Begegnungen. Das gefällt mir besonders daran.» ra

Antoine Salaün kommt am besten an mit seinem Videos zu theoretischer Physik. | Foto: Florian Spring

«Es ist mein Traum, dass alle Forschenden auf Instagram über ihre Projekte berichten.»
Antoine Salaün (24), Masterstudent, Computational Science and Engineering, EPFL
Youtube: produziert unter @AntoinevsScience, professionelle Videos, 41 000 Follower

«Ich war immer hin- und hergerissen, ob ich Film oder Wissenschaft studieren soll. Neben dem Studium habe ich voll auf populärwissenschaftliche Videos gesetzt, und seit Sommer 2020 kann ich davon leben. Ich arbeite parallel für drei Dinge: den Youtube-Kanal Antoine vs Science, die Video-Produktionsfirma Versus, wo wir zu viert sind, und mein Masterstudium. Mit den Versus-Projekten für Labels finanziere ich teilweise Antoine vs Science. Denn jedes Video kostet mindestens 3000 Franken, braucht Zeit und mehrere Mitarbeitende.

Auf Youtube habe ich enorme Freiheiten. Am Anfang habe ich Themen behandelt, die mich selber faszinierten, dann zunehmend Themen für die breite Öffentlichkeit. Ich wende mich an alle, die neugierig auf Forschung sind und einen gesunden Menschenverstand, aber keine wissenschaftliche Ausbildung haben. Junge Menschen haben bei wissenschaftlichen Fragen viel Selbstvertrauen verloren. Ich finde es spannend, wissenschaftliches Vorgehen zu vermitteln. Ich bin mit einer sehr coolen, eingeschworenen Community unterwegs. Mit der finanziellen Unterstützung des Centre national du cinéma et de l’image ani­mée in Frankreich produziere ich jeden Monat eine Episode der Serie Expé, bei der Wissenschaft innerhalb eines Abenteuers auf den Prüfstand gestellt wird. Bei Themen, mit denen ich mich nicht gut auskenne, wie beispielsweise Biologie, lege ich meine Beiträge zuerst Fachpersonen vor. Am besten kommt übrigens theoretische Physik an, denn es gibt kaum gute populärwissenschaftliche Ver­öffentlichungen dazu.

Wir organisieren mit Versus auch Workshops, in denen Doktorierende und Forschen­de lernen, ihre Arbeit in Videos vorzustellen. Ich bin davon überzeugt, dass die Popularisierung von Wissenschaft von innen heraus beginnen sollte. Es wäre mein Traum, dass alle Forschenden in der Schweiz einen Insta­gram-Account unterhalten, auf dem sie über ihre Projekte berichten.» ra

Leandra Bias hat sowohl die Rolle der Wissenschaftlerin als auch die der feministischen Aktivistin und Privatperson. | Foto: Florian Spring

«Wenn ich den Leuten von Twitter tatsächlich begegne, ist das so aufregend wie ein Blind Date.»
Leandra Bias (34), Postdoc in Politologie, Universität Bern
Twitter: kommentiert unter @Openly_Biased, 4200 Follower

«Twitter ist für mich Inspirationsquelle, Fenster zur Welt, Türöffner. Dank Twitter trat ich aus der Unsichtbarkeit heraus. Richtig gepackt hat mich die Plattform erst, als ein bekannter Schriftsteller einen meiner Tweets kommentierte – als absoluter Nobody mit nur 100 Followern war ich total geflasht. Ich dachte: Wow, das ist möglich! Dank Twitter luden mich Professorinnen in ihr Forschungsnetzwerk ein, oder ich tausche mich mit ihnen vor Demonstrationen aus. Wenn ich Leuten von Twitter tatsächlich begegne, ist das so aufregend wie ein Blind Date.

In der deutschsprachigen Schweiz werde ich inzwischen wahrgenommen und habe meine Botschaften dadurch auch in allen grösseren Medien platzieren können. Ich sehe mich als Brückenbauerin zum Osten. Wenn Putin etwa eine Rede hält, dann verfolge ich parallel, was in meiner Twitter-Liste zu diesem Thema passiert; ich retweete, analysiere und ordne ein. Wichtig zu wissen ist aber, dass ich nicht nur als Wissenschaftlerin auftrete, sondern ebenso als feministische Aktivistin und Privatperson. Dabei überlege ich mir genau, in welcher Diskussion ich einen Beitrag leisten kann.

Twitter-Streit vermeide ich. Es ist aber auch schon passiert, dass ich impulsiv reagierte und mich danach öffentlich entschuldigte. Ich habe grossen Respekt vor Shitstorms. In den ersten drei Monaten nach dem vollflächigen russischen Angriff auf die Ukraine hatte ich jeden Tag Angst, meinen Twitter-Kanal zu öffnen. Bisher nahmen negative Kommentare zum Glück aber noch nie bedrohliche Ausmasse an. Ich würde in so einem Fall aber wohl offline gehen und meine Zugangsdaten einer Vertrauensperson überlassen, die mir meine Nachrichten gefiltert zuspielt.» kr