Internationale Zusammenarbeit par excellence: Magnetexperte Min Liao (links) und der Leiter der Abteilung Maschinenbau Xavier Bravo (rechts) diskutieren mit dem Generaldirektor von ITER, Eisuke Tada (Mitte). | Foto: ITER

«Wir wollen die Völker der Welt vereinen und die Grenzen von Wissenschaft und Technologie zum Wohle aller verschieben.» So schön schildert das Cern in Genf seine Mission. Die Unesco, unter deren Patronat das Cern 1954 gegründet wurde, schreibt auf ihrer Website, Wissenschaft könne eine gemeinsame Sprache sein und ermögliche persönliche Kontakte jenseits internationaler Politik. So kam 1955 sogar eine Delegation von Forschenden aus der Sowjetunion auf einen Besuch nach Genf. Für die meisten ist heute zudem klar: Globale Probleme wie Klimaerwärmung und Pandemien brauchen globale Zusammenarbeit.

Dieses Fundament für die Zusammenarbeit wurde durch den Angriff Russlands auf die Ukraine jedoch heftig erschüttert. So hat das Cern den Beobachterstatus Russlands suspendiert, den eigenen Forschenden untersagt, mit russischen Institutionen zusammenzuarbeiten und will die Kooperationsvereinbarung mit dem Staat 2024 nicht mehr erneuern.

Heikles neues Datengesetz

Auch einzelne Forschende vertreten eine solche harte Haltung. Zum Beispiel ein Chefredaktor einer Fachzeitschrift, der sich zurzeit nur anonym äussern möchte: «Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt sollen zusammenarbeiten. Aber mit illegitimen Staaten zu kooperieren ist keine gute Idee.» Illegitim seien alle nicht demokratischen Staaten, die per Definition nicht die Kultur ihrer Bevölkerung vertreten können.

Viel komplexer als der vergleichsweise klare Boykott Russlands ist die Frage, wie man mit China zusammenarbeiten soll. Das Land der Mitte tritt auf der Weltbühne zunehmend aggressiv auf, und die Menschenrechtssituation im Land verschlechtert sich. Für die Zusammenarbeit mit chinesischen Forschenden besonders schwierig ist das im November 2021 in Kraft getretene neue chinesische Datenschutzgesetz, das die Nutzenden digitaler Dienste zwar vor den Unternehmen schützt, aber dem chinesischen Staat uneingeschränkten Zugang zu den Informationen gewährleistet.

«Fast jedes Prinzip der Integrität wird von der chinesischen Regierung missachtet.»Ralph Weber

Dazu kommt das Nachrichtendienstgesetz von 2017, das sämtliche Bürger des Landes zur Mitarbeit verpflichtet, wenn sie dazu aufgefordert werden. Somit kann potenziell jede Chinesin vom Regime zur Mitarbeit gezwungen werden.

Die Haltung der chinesischen Regierung widerspricht den Werten der Wissenschaft. «Fast jedes Prinzip der Integrität wird missachtet», sagt Ralph Weber, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Basel. Weber forscht zu europäisch-chinesischer Wissenschaftspolitik, und er hielt sich 2003 und 2010 für längere Forschungsaufenthalte an Universitäten in Peking auf.

«Ich selbst habe keinen Kontakt mehr zu Leuten aus China, die ich noch vor wenigen Jahren als Freunde bezeichnet hätte.»Ralph Weber

In westlichen Demokratien geniesse die Wissenschaft eine hohe Autonomie gegenüber der Politik, in China würden diese Systeme aber nicht voneinander getrennt, erklärt er. Vor ein paar Jahren habe man dies als weniger problematisch wahrgenommen. «Seit Xi Jinping an die Macht kam, hat sich das Land zunehmend autoritär verschlossen.»

Während es in Ländern wie Russland vor dem Krieg durchaus die Möglichkeit gab, mit Regimegegnern zusammenzuarbeiten, fehle in China schon länger eine Zivilgesellschaft, die unabhängig vom Staat handeln könne. In einem System, das sich so autoritär durchsetze, sei Vertrauen in Einzelne nicht möglich. «Ich selbst habe keinen Kontakt mehr zu Leuten aus China, die ich noch vor wenigen Jahren als Freunde bezeichnet hätte.» Deshalb sein Rat: «Kooperation zu ausgewählten Themen ist möglich, aber nicht auf Basis von Vertrauen.»

«Wir haben eine alte, kollektive Angst vor dem Einfall der Barbaren aus dem Osten.»Basile Zimmermann

Ganz so schwarz sieht das Basile Zimmermann nicht. Er ist Dozent an der Universität Genf und Direktor des Konfuzius-Instituts, das auch Geld aus China erhält. Er diagnostiziert eine Überreaktion des Westens auf China: «Wir haben eine sehr alte kollektive Angst vor dem Einfall der Barbaren aus dem Osten. Und die Medien bedienen dieses Ressentiment.» Er sehe das pragmatisch: Weder China noch Europa würden ihr System so rasch ändern. Der Umgang mit den Unterschieden sei zwar nicht einfach, aber China respektiere durchaus die Regeln in anderen Ländern.

Die europäischen Forschungsinstitutionen jedoch sind beunruhigt und sehen sich in der Bredouille. Die schiere Grösse der Wissenschaftsmacht China verlangt nach Zusammenarbeit. Doch wie können die einen Patientinnendaten schützen, wenn die anderen sie dem Staat zur Verfügung stellen müssen? Lidia Borrell-Damián, Generalsekretärin der europäischen Wissenschaftsdachorganisation Science Europe, sagt: «Die Situation ist zurzeit sehr schwierig, weil die Forschenden in Europa Angst haben, dass ihre Daten von Forschenden in China gestohlen werden.» Verschiedene Verhandlungen zu Kooperationsabkommen mit China steckten im Augenblick fest.

Unbehagen bleibt

Zurzeit arbeiten sowohl Science Europe als auch die Dachorganisation der Schweizer Hochschulen, Swissuniversities, mit Guidelines. Bei Letzteren werden Fälle anonymisiert geschildert: ein Partner, der die Publikation einer Arbeit verhindern will, plötzlich auftauchende Botschaftsangestellte, die an einer Veranstaltung zu einem politisch heiklen Thema die Teilnehmenden fotografieren, eine chinesische Universität, die den Kontakt abbricht, nachdem die Heimatstadt der deutschen Partneruniversität einen Menschenrechtsaktivisten geehrt hatte. In allen Fällen sei eine pragmatische Lösung gefunden worden.

Das Unbehagen bleibt. So machte im August 2021 die Geschichte eines Schweizer Doktoranden der Universität St. Gallen in den Medien die Runde. Wegen eines China-kritischen Tweets soll seine Professorin das Betreuungsverhältnis beendet haben. Sie habe auf Druck von China reagiert, sagte der Doktorand. Die Universität widersprach. Das Betreuungsverhältnis sei jedoch zerrüttet. Das Doktorat ist abgebrochen, der fahle Nachgeschmack bleibt und Selbstzensur wird zum Thema.

«Wir müssen uns dieses absurden Silicon-Valley-Mantras entledigen.»Jean-Marc Rickli

«Guidelines sind gut, reichen aber nicht», sagt Politikwissenschaftler Ralph Weber, der schon einige Hochschulen zu diesen Fragen beraten hat. Diese seien sich der Problematik sehr bewusst. Doch die Forschenden in demokratischen Ländern müssten besser über die aktuelle Situation in autoritär regierten Ländern wie Russland, China oder Iran informiert werden, damit sie selbstverantwortlich entscheiden können, ob sie kooperieren wollen. Dafür brauche es ein nationales Kompetenzzentrum. «Vielleicht muss man sogar die Autonomie der Forschenden bei der Zusammenarbeit in militärnahen Bereichen stärker einschränken, so wie beispielsweise auch bei der Forschung mit menschlichen Embryonen Grenzen gesetzt werden», so Weber.

Beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) sieht man das anders: «Der Bund ist für die internationale Zusammenarbeit in Forschung und Innovation ein Enabler (Wegbereiter, Anm. d. Red.), die Hochschulen und ihre Forschenden sind autonom», schreibt der Leiter der Kommunikation, Martin Fischer. Die Behörden spielen den Ball also der Forschung zurück. Jean-Marc Rickli, Leiter von Global and Emerging Risiks am Geneva Centre for Security Policy, nimmt diesen Ball auf. Er gehört zu den eindringlichsten Warnern vor China und findet, die Wissenschaft müsse sich generell wappnen. Dazu hat er konkrete Vorschläge.

Viel, viel mehr antizipieren

Zum Beispiel müsse verhindert werden, dass Technologie gegen uns selbst verwendet wird: «Wir müssen uns dieses absurden Silicon- Valley-Mantras von ‹Move fast and break Things› entledigen.» Anstatt unausgereifte Technologie so schnell wie möglich zu verbreiten, solle das Motto «Security by Design» beherzigt werden und ein möglicher Missbrauch von Anfang an mitgedacht und erschwert werden. Wenn Technologie potenziell katastrophale Auswirkungen haben könne, könne etwa ein sogenannter Kill Switch integriert werden. So ein Notschalter war zum Glück vorhanden, als das britische Gesundheitssystem 2017 durch die Ransomware Wannacry gelähmt wurde.

Ein anderer Vorschlag Ricklis ist an die Hochschulleitungen gerichtet: Sie sollen sich von vornherein überlegen, wie sie kritisches Denken und finanzielle Unabhängigkeit auch bei Druckversuchen von aussen aufrechterhalten können. Das hätte vielleicht im beschriebenen Fall der Universität St. Gallen Reputationsschaden verhindern können. Eins ist jedoch für alle klar: Für die Zusammenarbeit mit autoritären Regimes braucht es mehr Wissen – sei es über die eigenen Sicherheitssysteme oder darüber, wie autoritäre Regierungen überhaupt funktionieren. Das könnte etwa mittels Kompetenzzentren oder via Bildung geschehen. Der Genfer Basile Zimmermann formuliert es so: «Wenn wir nicht verstehen, sind wir schlecht ausgerüstet, um im Krisenfall richtig zu reagieren.»