Marcel Tanner ist Präsident des Verbunds der Akademien der Wissenschaften Schweiz (A+). | Foto: Annette Boutellier

«Urbanisierung wird in den kommenden Jahren zu einem der kritischsten Entwicklungsthemen werden.» Diese prophetischen Worte sprach die britische Ministerin Baroness Lynda Chalker 1992 während der Vorbereitungen zum Weltentwicklungsbericht 1993. Sie wies damit auf die Dringlichkeit hin, Urbanisierung nicht nur als Verstädterung zu ver- stehen, also nicht nur auf Wachstum und Infrastrukturen zu fokussieren.

Städte entwickeln sich durch Menschen und nicht nur mit Häusern und Strassen. Heute scheint dieser Aufruf banal, doch es hat lange – zu lange – gedauert, bis er in der konkreten Städteplanung sowie auch in der Forschung weltweit Gehör gefunden hat und umgesetzt wurde.

Horizonte zeigt eindrücklich, wie sehr sich im urbanen Raum bedeutendste Fragestellungen unserer Gesellschaft, wie Klimawandel, Mobilität, Arbeits- und Kommunikationsformen sowie soziale Gerechtigkeit, in einem Kristallisationspunkt finden. Dieser muss unter Berücksichtigung der eingangs zitierten Erkenntnis erforscht werden. Nur so entstehen transdisziplinär gestaltete Umwelten, wo das Wohlbefinden der Menschen und Ökosysteme im Zentrum steht. Verstehen und erforschen wir die komplexen Interaktionen und Interdependenzen der Urbanisierung und setzen wir die Erkenntnisse so um, werden Städte zu kreativen Treibern der Innovation und schaffen die Grundlagen für die Konzeption nachhaltiger Lebensräume.

«Es geht darum, dass wir vergleichende Ansätze über Systeme und Kulturen hinweg studieren.»

Die komplexen und dynamischen Systeme der Lebensräume lassen sich nicht nur mit unseren etablierten Ansätzen der Forschung verstehen und mit einem allgemeinen Ruf nach Transdisziplinarität beantworten. Vielmehr geht es darum, dass wir vergleichende Ansätze über Systeme und Kulturen hinweg studieren. Dabei müssen wir vor allem auch umfassende transdisziplinäre Ansätze wie die sogenannte Recherche- Action-Formation einbeziehen, die von der Entwicklungshilfeorganisation Enda Graf Sahel Anfang der 1990er-Jahre beschrieben wurde. Damit wird nicht nur die soziale und kulturelle Diversität einbezogen, sondern auch die Sicht der Zivilgesellschaft.

Jorge Hardoy hatte das schon 1990 erkannt: «Das erfordert, dass Regierungen und die Wissenschaft auf die Fähigkeiten der Menschen zurückgreifen, die bereits die aktivsten Städtebauer sind – einzelne Bürger und die von ihnen gebildeten Gemeindeorganisationen.» Aus diesen Ansätzen ergaben sich schon viele erste erfolgreiche Prozesse der Urbanisierung. Vor allem entstehen damit Perspektiven, damit wir diesen für die Gesellschaft und unseren Planeten entscheidenden Megatrend der Urbanisierung begreifen und die damit verbundenen Herausforderungen anpacken können.