Jeder Mensch sollte die gleichen Chancen auf höhere Bildung und eine Karriere innerhalb der Akademie haben. Allein die intellektuelle Begabung sollte den Ausschlag geben. Zu diesem Ideal bekennen sich die meisten Stimmen in der Wissenschaft. Sobald es aber um die konkrete Umsetzung geht, scheiden sich die Geister.

«Die Abstempelung wird perpetuiert»

Da ist zum Beispiel Florian Coulmas, Professor für Japanologie an der Universität Duisburg-Essen. Er möchte nicht, dass unter dem Banner der Diversitätsförderung Menschen willkürlich in Gruppen eingeteilt werden.

Florian Coulmas, manche finden es anmassend, wenn Sie sich als weisser Mann zur Situation von Benachteiligten äussern.

Natürlich kann ich nicht den Standpunkt einer betroffenen Minderheit einnehmen. Ich weiss nicht, wie es ist, als Schwarzer durch Zürich zu gehen. Aber ich habe bestimmte Idealvorstellungen, über die ich reden darf.

Sie kritisieren Diversitätsmassnahmen an Hochschulen. Was stört Sie daran?

Ich habe gerade heute einen Brief unserer Prorektorin erhalten. Wir sollen jemanden für den Diversitätspreis der Universität nominieren. Das ist zwar wohlgemeint, aber für welche Leistung wird da jemand nominiert? Es ist ein Armutszeugnis für die Universität, die damit lediglich signalisieren will, dass man dem US-amerikanischen Diversity-Trend folgt. Das ist der falsche Weg. Wenn jemand den Verdacht hat, dass jemand bei der Benotung oder der Verteilung von Aufgaben oder Stellen aufgrund von Rasse, Geschlecht oder anderen für die Wissenschaft irrelevanten Merkmalen benachteiligt wurde, muss die Universitätsleitung einschreiten.

Vielleicht sind Diversitätspreise nicht sehr effektiv, aber schaden tun sie ja niemandem.

Durch solche Initiativen wird die Abstempelung von Menschen perpetuiert. Das finde ich fatal, und ich weiss von Betroffenen, die sich darüber beklagt haben.

«Leute sehen lediglich anders aus»

In diversen Interviews und Meinungsartikeln kritisiert auch Peter Boghossian die der Diversity-Bewegung geschuldete Stimmung an US-Universitäten – lautstark und mit dramatischen Worten. Der Professor für Philosophie an der Portland State University beginnt gleich selbst mit einer Frage:

Wissen Sie, wie Diversität definiert wird?

Ich würde sagen …

Ein schönes Wort. Auch geschützte Räume, Inklusion, Gerechtigkeit klingen positiv. Aber Diversität heisst nicht das, was die Leute denken. Gemeint ist nicht intellektuelle Diversität. Forschende haben eine eigentümliche Definition von Diversität. In der Praxis bedeutet dies: Die Leute in einem Panel sehen anders aus, stehen aber für das Gleiche ein. Es führt also zu Gleichheit im Denken. Die Leute haben sich von einem schönen Wort reinlegen lassen. Oder Inklusion: Ein inklusiver Raum ist einer, in dem sich Menschen wohlfühlen. Also muss die Meinungsäusserung eingeschränkt werden, sonst würden sich gewisse Leute nicht wohlfühlen. Der Inhalt gewisser Äusserungen wird als tatsächliche Gewalt betrachtet. So wird es für Konservative schwierig, denn viele ihrer Meinungen werden als gewalttätig betrachtet.

Also sind dann alle eher links ausgerichtet?

Nein, da reicht nicht einmal links. Es müssen alle woke sein.

Sind Sie also gegen eine Diversität von Menschen an Unis?

Nein, ich bin hundert Prozent dafür. Ich bin ein Verfechter von intellektueller und ideologischer Diversität. Die Universität ist der Ort für schwierige Diskussionen – Wahrheit muss im Zentrum stehen.

«Sie wollten missliebige Bücher entfernen»

Dass sich Konservative nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen, passiere auch an deutschen Universitäten, sagt Matthias Revers, Soziologe an der University of Leeds. Er macht Studien zum Umgang mit politischen Einstellungen und mit Minderheiten.

Matthias Revers, Lehrkräfte, die glauben, dass Männer und Frauen aus biologischen Gründen unterschiedliche Fähigkeiten haben, sollen nicht mehr an der Universität unterrichten dürfen. 64 Prozent der befragten Studierenden stimmten dem zu. Warum?

Über die Gründe kann ich nur mutmassen. Die Aussage selbst ist eigentlich unbestreitbar, aber es kommt darauf an, wie man sie versteht. Natürlich ist es nicht so, dass Frauen, weil sie Kinder gebären können, keine Mathematikerinnen sein können. Das krasseste Ergebnis unserer Studie fand ich aber, dass bis zu einem Drittel der Studierenden auch missliebige Bücher aus der Bibliothek entfernen würden. Das ist schon schockierend.

Woher kommen solche drastischen Forderungen?

Das darunterliegende Problem ist die Polarisierung. Besonders, wenn man die betroffenen Personen nicht von Angesicht zu Angesicht sieht. Es wird schnell geurteilt, und die Sprechenden werden in Lager sortiert: islamophob, sexistisch oder welches Thema auch immer. Mit den Fragen in unserer Studie haben wir starke Reaktionen getriggert.

Kann so ein Diskussionsklima auch für Diskriminierte zur Gefahr werden?

Das Problem ist, wenn differenzierte Stimmen nicht mehr gehört werden. Zum Beispiel Feministinnen, die das Kopftuch kritisieren. Studierende wollten zum Beispiel verhindern, dass die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter eine Veranstaltung zum Kopftuch durchführen kann, sie verlangten sogar ihre Entlassung. Die Veranstaltung fand dann zum Glück trotzdem statt.

«Es braucht praktische Massnahmen»

Als ehemalige Vizerektorin der Université de Lausanne sieht Franciska Krings die Diversitätsförderung aus einer pragmatischen Perspektive. Ihre Anliegen: faktenbasierte Lösungen und Geschlechtergerechtigkeit.

Franciska Krings, was meinen Sie, wenn Sie von Geschlechtergerechtigkeit sprechen: gleiche Chancen oder gleiche Vertretung auf allen Ebenen?

Bei der gesetzlich vorgeschriebenen Chancengleichheit geht es schon auch darum, was dabei herauskommt. Da besteht natürlich immer auch Spielraum bei der Interpretation. Wenn Frauen in der Karriere nicht weiterkommen, wer muss sich dann anpassen? Das System oder die Frauen? Es gibt zum Beispiel den Geschlechterunterschied, dass Frauen mit gleichen Fähigkeiten wie Männer kompetitive Situationen eher meiden. Wir haben an der Uni einige gute Kandidatinnen für Professuren nicht gewinnen können, weil ihre Männer nicht bereit waren, auf die Karriere zu verzichten. Da könnte es helfen, wenn beiden gleichzeitig ein Karriereangebot gemacht wird. Das nützt den Frauen und schadet den Männern nicht.

Sie sagen, dass Vorurteil-Trainings kaum langfristige und nachhaltige Effekte haben. Sind dies also vor allem PR-Massnahmen?

Da kann ich jetzt schlecht darauf antworten. Das Geld wäre sicher besser anders investiert. Neben doppelten Karriereangeboten braucht es praktische Dinge wie mehr Angebote für Kinderbetreuung oder auch mehr Wickeltische auf dem Campus.

Können positive Diskriminierungen zu Ressentiments führen, zum Beispiel bei jungen Männern, die nicht das Gefühl haben, dass sie selbst diskriminieren?

Ja, das ist sicher so. Deshalb bin ich gegen harte Massnahmen wie etwa Quoten. Es ist ein Dilemma, das im Einzelfall nicht aufzulösen ist. Es zeigt sich jedoch, dass strukturierte HR-Massnahmen schon viel bewirken, etwa spezifisch Frauen zu rekrutieren oder sich an den Karrieretagen der Unis mit Ständen oder Workshops speziell an Frauen zu wenden.

«Kategoriales Denken ist problematisch»

In der Schweiz wird bei der Diversitätsfrage der Fokus auf Geschlechtergleichheit gelegt. Genau dies kritisiert Thomas Köllen, Dozent für Unternehmensethik und Personal an der Universität Bern.

Thomas Köllen, was stört Sie an Frauenförderung?

Es ist ein wichtiger Aspekt, aber es ist nicht alles. Studierende und Belegschaft haben unterschiedlichste Hintergründe. Es gibt keinen Grund, nur eine Diversitätsdimension zu betrachten. Und es gibt daher auch keinen Grund, die Hierarchisierung beizubehalten und Frauenförderung als das Wichtigste anzusehen. In eine Diversitätsgesamtbetrachtung gehört alles rein, was einer Ausprägung A gegenüber einer Ausprägung B einen Vorteil verschafft, für alle möglichen Diversitäts- dimensionen.

Wie können all diese Ausprägungen gleichzeitig gefördert werden?

Ich finde kategoriales Denken grundsätzlich problematisch. Da fallen immer Leute durch. Wir sollten multidimensional denken und Individuelles kontextualisieren. Man sollte sich überlegen, weshalb Frauen oftmals einen schlechteren Zugang zu Ressourcen haben. Man könnte die Förderung zum Beispiel an der Bedürfnislage ausrichten: dann kann auch ein alleinerziehender Vater oder ein Mann, der sich um die sterbenden Eltern kümmert, davon profitieren.

Fotos: zVg