Die Schweizer Wasserversorgung könnte dank digitaler Technologien dezentralisiert werden, was wünschenswert wäre, sagt Matthew Moy de Vitry vom Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs Eawag in Dübendorf. | Bild: Valérie Chételat

Matthew Moy de Vitry, wie weit sind wir mit der Digitalisierung der Wasserversorgung?

Zur Infrastruktur sind viele digitale Daten vorhanden, etwa Karten zum Standort und Zustand der Kanalisationen. Sie werden auch genutzt. Teilweise werden auch dynamische Daten wie Durchflüsse gesammelt. Die Versorger wissen aber nicht immer, was sie damit anfangen sollen. Zwischen den einzelnen Bereichen gibt es Unterschiede: So sind die Vorbehalte in der Trinkwasserversorgung grösser – natürlich aus Sicherheitsgründen. Bei der Abwasserbehandlung hingegen ist die Einführung digitaler Systeme weiter fortgeschritten. Die Eawag arbeitet zum Beispiel mit der Zürcher Gemeinde Fehraltorf an einem System, das die Kanalisationsüberläufe misst.

Auch Abwasser kann sensible Daten liefern, etwa zum regionalen Konsum von Drogen oder Medikamenten.

In einem hypothetischen Szenario könnten Versicherer oder Arbeitgeber ein bestimmtes Quartier wegen solcher Informationen benachteiligen. Man weiss, dass in gewissen chinesischen Städten die Polizei die Messwerte von Drogen im Abwasser verwendet, um ihre Verhaftungsquoten festzulegen. In diesem Fall haben die Daten tatsächlich einen konkreten Einfluss auf die Bevölkerung.

Und die Gefahr von Cyberangriffen?

In letzter Zeit gab es vor allem Ransomware- Attacken, bei denen schädliche Programme Daten eines Systems verschlüsseln, damit sie unleserlich werden, worauf ein Lösegeld für die Entzifferung verlangt wird. Solche Angriffe sind zwar teuer, gefährden aber die öffentliche Gesundheit nicht unbedingt, da viele Wasserversorger ein manuelles Kontrollsystem haben, das einspringt, wenn das digitale Netz ausfällt. Es gab auch Cyberangriffe, die darauf abzielten, die Kontrolle über Daten oder Infrastruktur zu gewinnen. Ein solcher Fall ereignete sich 2018 bei der Wasserversorgung im luzernischen Ebikon, kurz nach der Digitalisierung der Anlage. Dank Schutzvorkehrungen gelang der Anschlag nicht.

«In gewissen chinesischen Städten verwendet die Polizei Drogenmesswerte im Abwasser, um ihre Verhaftungsquoten festzulegen.»

Sie sprechen sich für ein weniger zentralisiertes Wasserversorgungssystem aus.

Digitale Technologien ermöglichen eine Dezentralisierung. In der Schweiz ist eine solche Neuausrichtung wünschenswert, da die Wasserversorgung hierzulande eher zu stark zentralisiert ist, um ein wirtschaftlich optimales Ergebnis zu erzielen. Eine Dezentralisierung der Infrastruktur und gleichzeitig eine Konzentration in der Bewirtschaftung sind günstig für Prävention und Risikomanagement.

Ist es riskant, öffentlich von den Gefahren im Zusammenhang mit diesen Versorgungseinrichtungen zu sprechen?

In der Entwicklung digitaler Systeme herrscht häufig eine etwas technokratische Sichtweise vor, und die Technologie wird tendenziell als Lösung und nicht als Risiko gesehen. Wir würden eine etwas selbstkritische öffentliche Diskussion empfehlen bei diesem Thema – selbst wenn es heikel ist, diese Fragen zu mediatisieren, weil dadurch manchmal übertriebene Reaktionen hervorgerufen werden. Sobald von Cyberattacken die Rede ist, blüht die Fantasie, und es kann zu Übertreibungen kommen. Andererseits ist es noch schlimmer, im Ungefähren zu bleiben, denn durch einen Informationsmangel können Ängste geschürt werden, die eine Debatte blockieren. Deshalb sollten die Wasserversorger sowohl Erfolge als auch Probleme offen kommunizieren.