Anna Bischofberger ist Kreativität wichtig, sowohl in der experimentellen Forschung als auch beim Schreiben von Literatur | Foto: Ornella Cacace

Für Anna Bischofberger war das vergangene Jahr eine Achterbahn. Wegen des Lockdowns im März konnte die Mikrobiologin das letzte Experiment für ihr zweites Doktoratsprojekt nicht abschliessen, denn die experimentelle Forschung in den Labors der ETH Zürich war eingestellt worden. Nach dem Tief folgte ein Hoch, mit dem sie ebenso wenig gerechnet hatte: Unter dem Künstlerinnen-Namen Anna Stern gewann sie im November mit ihrem neusten literarischen Werk den Schweizer Buchpreis. «Ich wusste das mein Buch im Herbst herauskommt und habe mich sehr darauf gefreut. Die Nomination löste gemischte Gefühle aus. Einerseits war ich glücklich über die Anerkennung, andererseits fragte ich mich: Wie bringe ich das mit meiner Forschung unter einen Hut?» Sie sei aber davon ausgegangen, dass der Trubel nach der Verleihung des Preises an jemand anderen vorbei sein würde und sie sich wieder auf das Doktorat konzentrieren könnte. So war es dann nicht.

 

Von Labor und Literatur
Anna Bischofberger kam 1990 in Rorschach SG zur Welt. Im Euregio Gymnasium in Romanshorn TG entdeckte sie ihre Begeisterung für Naturwissenschaften und forscht heute am Lehrstuhl für Pathogenökologie an der ETH Zürich, wo sie derzeit ihr Doktorat abschliesst. Sie kann sich sowohl vorstellen mit einem Post-Doc weiter zu forschen, als auch in der Infektiologie in einem Spital zu arbeiten.

Schon als 24-Jährige publizierte Bischofberger unter dem Künstlerinnennamen Anna Stern mit «Schneestill» ihren ersten Roman. Für ihr bereits fünftes Werk «das alles hier, jetzt.» wurde sie mit dem Schweizer Buchpreis 2020 ausgezeichnet. Stern nennt sie sich, weil sich ihr Verlag einen weniger Schweizerisch klingenden Namen wünschte. Es ist ein Übernamen, den sie schon seit ihrer Kindheit trägt, weil sie den Nachthimmel liebte.

 

Die zweite Corona-Welle türmte sich bereits hoch auf, als die 29-jährige Ostschweizerin überraschend zur Siegerin gekürt wurde. Viele Veranstaltungen rund um den Preis fielen aus oder wurden in den virtuellen Raum verlegt. «Das hat es zwar einfacher gemacht, alles zu organisieren. Aber Freude ist etwas, das man erst voll auskosten kann, wenn man es teilt.» Sie sei ein Mensch, der gerne arbeite und deswegen schaffe sie es, sich gleichzeitig zwei Leidenschaften zu widmen, sagt Bischofberger. Sie möge es, alleine in die Ferien zu gehen und schreibe viel ihn dieser Zeit. «Ausserdem plane ich sehr gerne sehr genau.» Doch es braucht es mehr als akkurate Planung und Disziplin, um in zwei hoch anspruchsvollen Welten zu bestehen. Bischofberger kann auch auf die Unterstützung ihres Doktorvaters Alex Hall zählen, der ihr eine 80-Prozent-Stelle anbot, weil er wusste, wie wichtig ihr das Schreiben ist.

«In der Wissenschaft habe ich auch schon die Erfahrung gemacht, dass nur die Arbeit zählt, die ich im Labor liefere. Ich habe als Mensch aber verschiedene Bedürfnisse.»

Dabei hat Bischofberger in ihrer Schulkarriere lange Zeit keine Naturwissenschaften belegt. «Je weiter ich es hinausschob, desto grösser wurde meine Angst, mich darauf einzulassen, weil ich immer dachte: Ich kann es eh nicht.» Im Gymnasium begeisterte sie schliesslich ein Lehrer für diese Fächer. Und so landete sie über Umwege durch andere Studiengänge bei den Umwelt- und Naturwissenschaften. Hier gefiel ihr besonders, dass die naturwissenschaftlichen immer mit gesellschaftlichen Fragen verknüpft sind.

Bin ich auch meine Bakterien?

Das kann auch für ihr aktuelles Forschungsprojekt gelten. Bischofberger untersucht, ob die Bakterienart Escherichia coli Resistenzen gegen die antimikrobielle Wirkung von Honig entwickelt und welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Sie konnte dabei einen Mechanismus identifizieren, der E. coli gegen einen der untersuchten Honigtypen merkbar weniger empfindlich macht. «Es ist unseres Wissens das erste Mal, dass jemand den Zusammenhang zwischen einer spezifischen Gruppe von Genen und einer erhöhten Resistenz gegen Honig nachgewiesen hat.» Dennoch hat sie aber «bei den untersuchten Honig-Produkten nicht den Punkt gefunden, über den hinaus die Bakterien nicht mehr mit Honig behandelbar wären.»

«Mein Ziel ist es nicht, irgendwo die Erste zu sein, sondern dass ich das machen kann, was ich gerne mache.»

Die junge Forscherin erklärt, dass beim über achtzigjährigen Einsatz von Antibiotika zwei Dinge verpasst wurden: an neuen Wirkstoffen zu forschen und zu untersuchen, was passiert, wenn man die Medikamente in breitem Mass einsetzt. «Das versuchen wir jetzt gewissermassen im Nachhinein herauszufinden: Welche Umweltfaktoren beeinflussen die Resistenzen?» In ihrem nächsten Projekt möchte Bischofberger mehr über das menschliche Mikrobiom herausfinden. «In meinen literarischen Texten geht es sehr oft um das Selbst. Wer bin ich? Wie grenze ich mich von meiner Umwelt ab?» Das Mikrobiom führe zu ähnlichen Fragen: «Bin ich nur meine Zellen? Oder bin ich auch alle meine Mikroben? Wie kann ich ihnen etwas Gutes tun? Tue ich mir dann selbst auch etwas Gutes?»

Auch Beziehungen zwischen Menschen sind für Bischofberger essentiell. Das wird klar in ihren literarischen Texten, in ihren Aussagen über prägende Personen in ihrer Laufbahn und wenn sie erzählt, wie sie sich freut, wenn Forschende aus ihrem Team an ihre Lesungen kommen. «In der Wissenschaft habe ich auch schon die Erfahrung gemacht, dass nur die Arbeit zählt, die ich im Labor liefere. Ich habe als Mensch aber verschiedene Bedürfnisse.» In Literaturkreisen dagegen sei sie schon gefragt worden, ob sie sich nicht auf ein Feld konzentrieren möchte, um dort besser und besser zu werden. «Aber mein Ziel ist es nicht, irgendwo die Erste zu sein, sondern dass ich das machen kann, was ich gerne mache.»

Schreiben, eine andere Art Forschung

Bischofberger findet mühelos Worte dazu, was Wissenschaft und Schreiben verbindet. «In der experimentellen Forschung ist Kreativität sehr wichtig. Ich kann nicht einfach replizieren, was schon gemacht wurde. Ich muss bestehende Arbeiten in einer neuen Art verbinden, so dass das Resultat etwas Neues zeigt. Ähnlich ist es beim Schreiben: Ich kann nicht einfach ein Buch von Max Frisch abtippen und es nachher als das Eigene verkaufen.» In ihren prämierten Roman unternimmt sie gleich mehrere Experimente. Eines davon: Keine der Figuren im Roman hat ein definiertes Geschlecht. Bischofberger mag es nicht, wenn man Fühlen, Denken und Handeln von Menschen anhand von Kategorien verstehen will.

Den Mut, nicht immer zu wissen, was passieren wird, und die Neugier darauf, was dann doch passiert - eine Mischung für zwei Leben, die Bischofberger ausmacht. «Beim Forschen will man etwas entdecken, das vorher noch niemand beobachtet hat. Schreiben ist für mich eine andere Art Forschung. Auch dort steht am Anfang eine Beobachtung, die ich nicht einordnen kann. Schreiben ist wie die Suche nach einem Umgang damit.» In beiden Fällen ginge es nicht darum, eine eindeutige Lösung zu präsentieren. «Am Schluss kann auch einfach eine neue Frage stehen.» In ihrem aktuellen Buch sucht Bischofberger den Umgang mit Verlust: Ein Gruppe junger Menschen trauert über den Tod einer geliebten Person. Eine persönliche Erfahrung, der die Autorin mit dem Roman einen literarischen Ort gibt. «Dadurch hat das Erlebte einen gewissen Sinn, weil daraus ein Text entstanden ist.»

«Es ist mein Buch, das ausgezeichnet wurde, nicht ich als Person.»

Bischofberger hört im Gespräch genau zu und vergisst keine Teilfrage. Die Aufmerksamkeit, die sie als Anna Stern von der Öffentlichkeit bekommt, geniesst sie, so lange «sie sich auf das konzentriert, was ich mache. Es ist mein Buch, das ausgezeichnet wurde, nicht ich als Person. In einem Buch steckt auch immer viel Arbeit von anderen Personen.» Und wie geht es jetzt weiter mit der Karriere? Da die Pandemie ihr üblicherweise genaues Planen verunmögliche und der Buchpreis sowieso alles verändert habe, sei ihre Priorität im Moment schlicht der Abschluss des Doktorats. «Ich möchte mir die Freiheit lassen, noch nicht zu entscheiden, was danach kommt.»