Das Forschungsschiff Polarstern der grossen Arktisexpedition Mosaic ist ein Jahr lang im Eis unterwegs. Gerade ankert es bei einem Camp. | Bilder: Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks; Alfred-Wegener-Institut/Esther Horvath.

«Man sagt, wenn man den Polarvirus einmal eingefangen hat, wird man ihn nicht mehr los. Bei mir war das vor elf Jahren als Doktorandin auf Grönland bei einer Flugzeugmission. In der Antarktis und der hohen Arktis sind die Landschaften ganz anders als gewohnt. Die Luft über dem Eis ist praktisch geruchlos, und wenn kein Wind weht, ist es komplett still. Wenn es dagegen stürmt oder wenn sich das Meereis bewegt, merkt man, wie viel Kraft die Natur hat. Nach Grönland habe ich weitere Expeditionen unternommen, zuletzt im Sommer 2018 mit dem schwedischen Eisbrecher Oden zum Nordpol. Das war die perfekte Vorbereitung auf meinen Einsatz auf dem Eisbrecher Polarstern im Rahmen der Mosaic-Expedition. Wie die Polarstern machte man auch die Oden an einer Eisscholle fest und liess sie dann treiben.

Der Einsatz auf Forschungsschiffen ist sehr motivierend: Man verfolgt mit Gleichgesinnten ein gemeinsames Ziel und lernt viele neue Leute kennen. Es ist wie ein grosses Buffet, bei dem man sich mit Geschichten bedienen kann. Eine tolle Kombination aus sozialem Austausch und Arbeit. Eine Kabine teilt man sich maximal mit drei anderen Personen. Jede hat einen anderen Rhythmus; manche schieben Nachtschichten, andere müssen mit dem Hubschrauber raus, was natürlich witterungsabhängig ist. Da mein Forschungsteam auf der Polarstern ein eigenes Containerlabor installiert hat, wird mein Tagesablauf einigermassen geregelt sein.

Wir untersuchen auf dieser Expedition, aus welchen Feinstaubpartikeln über dem Meereis Wolken gebildet werden. Wolken spielen eine wichtige Rolle für das Klima. Sie beeinflussen, wie viel Sonneneinstrahlung die Erdoberfläche erreicht und wie viel Wärme reflektiert wird. Wir möchten herausfinden, welcher Anteil der Partikel menschengemacht und welcher natürlich ist. Ausserdem interessiert uns, welche Aerosolquellen vom schnellen Wandel in der Arktis beeinträchtigt sind. Um alle Messungen zu machen, haben wir eine To-do-Liste mit 208 Punkten erarbeitet, die täglich kontrolliert werden müssen. Nebst der Datenerhebung werden wir schon an Bord beginnen, die Daten auszuwerten. Wichtig ist aber, dass wir das Labor auch verlassen. Wenn man den Wandel draussen miterlebt und sieht, wie sich Eiskristalle bilden und verändern, entwickelt man ein anderes Verständnis für die Vorgänge. Nebst der eigenen Arbeit hilft man sich auf dem Schiff gegenseitig aus. Das sind oft einfache mechanische Tätigkeiten, aber auch mal komplexe wie einen Bohrkern ziehen, Messballone steigen lassen oder Geräte überprüfen.

Begegnung mit Eisbären

Die Vorbereitung auf so eine Expedition ist sehr aufwendig. Alle werden medizinisch gecheckt. Herz, Lunge und Zähne müssen in Ordnung sein. Ausserdem müssen alle Teilnehmenden Kurse zum Verhalten auf See absolvieren: Wie überlebt man im Wasser, wie stellt man Rettungsinseln auf, wie löscht man Feuer. Und im Eisbärkurs lernt man, wie man sich verhält, wenn sich ein Eisbär nähert, wann man einen Warnschuss abgibt. Letzten Sommer hatten wir tatsächlich Begegnungen mit Eisbären. Der erste Bär hat sich von hinten dem Schiff genähert, während wir uns mit einer Distanz von rund 200 Metern von vorne näherten, uns also auf den Bären zubewegen mussten, um auf das Schiff zu kommen. Da hatte ich schon ein mulmiges Gefühl.

Manchmal besuchen Eisbären die Forschenden, hier während eines Vorbereitungscamps für die Expedition Mosaic. | Bilder: Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks; Alfred-Wegener-Institut/Esther Horvath.

Die grösste Herausforderung bei einer Expedition wie der Mosaic ist aber die Logistik. Man muss sich im Vorfeld ganz genau überlegen, welche Instrumente und Ersatzteile man braucht. Vor Ort kann man sie nicht mehr besorgen. Und in einer Summerschool haben wir jeden Handgriff im Container geübt, damit alles sitzt. An Bord ist die Arbeitsbelastung dann sehr hoch. Es passiert schnell, dass man sich in den ersten zwei Wochen total verausgabt, weil alles so spannend ist. Man muss also sehr diszipliniert sein und sich Ruhepausen gönnen. Es ist wie bei einem Marathon: Man muss bis zum Schluss durchhalten. Auf der Polarstern gibt es nebst einem Fitnessraum einen Pool, den ich bestimmt nutzen werde.

Beim Packen habe ich eine gewisse Routine entwickelt und weiss genau, was ich auf der Polarstern brauche. Die Kälte empfinde ich nicht als so schlimm. Ein Unsicherheitsfaktor ist allerdings die Dunkelheit. Bis jetzt war ich meistens im Sommer unterwegs, die lange anhaltende Dunkelheit ist für mich eine neue Erfahrung. Ich weiss noch nicht, wie ich damit klarkomme.»

Mit dem Meereis driften

Julia Schmale | Bilder: Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks; Alfred-Wegener-Institut/Esther Horvath.

Julia Schmale war bis November 2019 Gruppenleiterin im Labor für Atmosphärenchemie am Paul-Scherrer-Institut und ist seit Dezember 2019 Asisstenzprofessorin für Extreme Environments Research an der EPFL. Sie leitet derzeit das Forschungsprojekt zum Verständnis von Aerosolen in der Arktis, das Teil der internationalen Mosaic-Expedition ist. Für diese Expedition driftet der Eisbrecher Polarstern seit September 2019 bis Oktober 2020 mit dem arktischen Meereis. Julia Schmale ist seit Februar 2020 an Bord und während der dritten Etappe der Expedition für das 15-köpfige Team von Atmosphärenforschenden zuständig.