Bild: Valérie Chételat

Jasagt Mirjam Christ-Crain vom Universitätsspital Basel.
Mirjam Christ-Crain ist klinische Professorin und Co-Departementsleiterin am Universitätsspital und an der Universität Basel. Sie ist seit 2016 Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrates (SWR).

Bild: Valérie Chételat

Neinsagt Peter Kleist von der Kantonalen Ethikkommission Zürich.
Peter Kleist, promovierter Arzt, ist seit 2015 Geschäftsführer der Kantonalen Ethikkommission Zürich. Zuvor hat er in der pharmazeutischen Industrie Medikamente entwickelt und klinische Studien durchgeführt.
Vor zehn Jahren konnten klinische Studien am Patienten noch innerhalb weniger Wochen nach der Erstellung des Protokolls begonnen werden. Heute braucht es viel aufwendigere Eingaben bei der Ethikkommission und im Fall von Medikamentenstudien zusätzlich eine Begutachtung durch die Heilmittelbehörde Swissmedic. Wegen dieser bürokratischen Hürden dauert es mittlerweile ein halbes bis ein ganzes Jahr, bevor mit der Forschung begonnen werden kann. Die Anzahl und der Umfang von benötigten Dokumenten steigt, Audits und Inspektionen nehmen zu.

Es ist unbestritten: Patientensicherheit muss allerhöchste Priorität haben. Patientinnen brauchen eine umfassende Aufklärung über die Studie, damit sie mündig über ihre Teilnahme entscheiden können. Die Qualität der Forschung soll verbessert werden. Ethikkommissionen und Swissmedic spielen eine wichtige Rolle und wachen über die Einhaltung der guten klinischen Praxis.

Aber erreichen die Behörden ihr Ziel mit ihren Massnahmen? Nein. Die langen und komplexen Patienteninformationen werden von niemandem mehr gelesen, geschweige denn verstanden. Dies dient nicht der Sicherheit des Patienten, sondern der juristischen Absicherung des Sponsors. Selbst für alltägliche Tätigkeiten wie zum Beispiel das Lesen eines Studienprotokolls wird eine ausführliche Prozessbeschreibung (standard operating procedure) verlangt. Die Bürokratisierung steht heute in keiner Relation mehr zum tatsächlichen Risiko der Studie.

«Die komplexen Patienteninformationen dienen vor allem der juristischen Absicherung des Sponsors.»

All dies führt zu einem grossen personellen Mehraufwand. Vor lauter Dokumentation geht oft der gesunde Menschenverstand verloren. Die wichtigen, für die Patientin und die Forschung relevanten Punkte gehen unter. Dies führt nicht zu mehr Patientensicherheit, im Gegenteil: Es besteht das Risiko, dass echte Sicherheitssignale zwischen all den unwichtigen Formalismen übersehen werden. Junge Ärztinnen werden immer mehr von der Administration erstickt und dadurch oft von einer Karriere in der Forschung abgeschreckt. Die zunehmende Bürokratisierung verhindert innovative und qualitativ hochstehende Studien und verschlingt Ressourcen, die viel sinnvoller für die Wissenschaft selbst und die Probanden einzusetzen wären. Resultat: Die Zahl der von Forschenden selbst initiierten und unabhängigen Studien wird abnehmen, besonders verglichen mit finanzstarken, von der Pharmaindustrie gesponserten Studien – ein herber Verlust. Damit der Forschungsstandort Schweiz effizient und attraktiv bleibt, muss die ausufernde Bürokratie dringendst eingedämmt werden.

Forschung ist ein hohes Gut. Aber es steht einiges auf dem Spiel: Die Studienteilnehmenden müssen geschützt werden und die Resultate zuverlässig sein. Entsprechend ist auch der Qualitätsanspruch an Forschung hoch. Ethikkommissionen sind bestrebt, ihren Beitrag zur Qualitätssicherung zu leisten: Es bedarf einer präzisen Planung und einer durchdachten, standardisierten Studiendurchführung. Alles muss sorgfältig dokumentiert werden. Das ist nicht bürokratisch, sondern selbstverständlich – unabhängig von den Behörden.

«Je defizitärer das Gesuch, umso länger dauert es bis zur finalen Bewilligung.»

Diese Anforderungen sind nicht neu. Die international anerkannten Regeln der guten klinischen Praxis gelten seit 2002 in der Schweiz auch für die akademische Heilmittelforschung – denn hinsichtlich des Anspruchs auf Teilnehmerschutz und Datenvalidität gibt es keinen Unterschied zur industriellen Forschung.

Ethikkommissionen bewilligen Forschungsvorhaben, nachdem sie die Erfüllung wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Anforderungen überprüft haben. Dass ein erheblicher Anteil der Gesuchstellenden zunächst Mängelbescheide erhält und administrative Hürden nehmen muss, ist nicht der grossen Bürokratie, sondern meistens einer unzureichenden Planung und mangelndem Qualitätsbewusstsein geschuldet.

Zum Beispiel ist die Forschungsfrage unklar, das Studiendesign ungeeignet, um die Forschungsfrage zu beantworten, sind die Beurteilungskriterien für den Erfolg nicht festgelegt oder ist die statistische Planung mangelhaft. Manchmal werden die Verantwortlichen im Studienteam unzureichend festgelegt, Risiko-minimierende Massnahmen nicht ausgeschöpft, ist der Umgang mit Datenschutzbestimmungen mitunter grosszügig und nicht zuletzt die Patientenaufklärung häufig unverständlich. Und: Je defizitärer das Gesuch, umso länger dauert es bis zur finalen Bewilligung.

Dass viele Resultate nicht reproduzierbar sind und ein Viertel der Studien vorzeitig abgebrochen wird, sind objektive Belege für Qualitätsdefizite der Forschung. Die Wissenschaftsgemeinschaft selbst hat Massnahmen eingeleitet, um den bestehenden Problemen zu begegnen. Eine wesentliche Rolle kommt den Clinical Trial Units an den Universitätsspitälern zu. Sie tragen hoffentlich noch stärker als die Ethikkommissionen zur Lösung des Kernproblems bei. Das ist nicht die Bürokratie, sondern sind die mangelnden Kapazitäten für die Planung und die Qualitätssicherung der akademischen Forschung. Sind diese gegeben, werden auch weniger Mängel beanstandet.

Bild: Valérie Chételat

Jasagt Mirjam Christ-Crain vom Universitätsspital Basel.

Vor zehn Jahren konnten klinische Studien am Patienten noch innerhalb weniger Wochen nach der Erstellung des Protokolls begonnen werden. Heute braucht es viel aufwendigere Eingaben bei der Ethikkommission und im Fall von Medikamentenstudien zusätzlich eine Begutachtung durch die Heilmittelbehörde Swissmedic. Wegen dieser bürokratischen Hürden dauert es mittlerweile ein halbes bis ein ganzes Jahr, bevor mit der Forschung begonnen werden kann. Die Anzahl und der Umfang von benötigten Dokumenten steigt, Audits und Inspektionen nehmen zu.

Es ist unbestritten: Patientensicherheit muss allerhöchste Priorität haben. Patientinnen brauchen eine umfassende Aufklärung über die Studie, damit sie mündig über ihre Teilnahme entscheiden können. Die Qualität der Forschung soll verbessert werden. Ethikkommissionen und Swissmedic spielen eine wichtige Rolle und wachen über die Einhaltung der guten klinischen Praxis.

Aber erreichen die Behörden ihr Ziel mit ihren Massnahmen? Nein. Die langen und komplexen Patienteninformationen werden von niemandem mehr gelesen, geschweige denn verstanden. Dies dient nicht der Sicherheit des Patienten, sondern der juristischen Absicherung des Sponsors. Selbst für alltägliche Tätigkeiten wie zum Beispiel das Lesen eines Studienprotokolls wird eine ausführliche Prozessbeschreibung (standard operating procedure) verlangt. Die Bürokratisierung steht heute in keiner Relation mehr zum tatsächlichen Risiko der Studie.

«Die komplexen Patienteninformationen dienen vor allem der juristischen Absicherung des Sponsors.»

All dies führt zu einem grossen personellen Mehraufwand. Vor lauter Dokumentation geht oft der gesunde Menschenverstand verloren. Die wichtigen, für die Patientin und die Forschung relevanten Punkte gehen unter. Dies führt nicht zu mehr Patientensicherheit, im Gegenteil: Es besteht das Risiko, dass echte Sicherheitssignale zwischen all den unwichtigen Formalismen übersehen werden.

Junge Ärztinnen werden immer mehr von der Administration erstickt und dadurch oft von einer Karriere in der Forschung abgeschreckt. Die zunehmende Bürokratisierung verhindert innovative und qualitativ hochstehende Studien und verschlingt Ressourcen, die viel sinnvoller für die Wissenschaft selbst und die Probanden einzusetzen wären. Resultat: Die Zahl der von Forschenden selbst initiierten und unabhängigen Studien wird abnehmen, besonders verglichen mit finanzstarken, von der Pharmaindustrie gesponserten Studien – ein herber Verlust. Damit der Forschungsstandort Schweiz effizient und attraktiv bleibt, muss die ausufernde Bürokratie dringendst eingedämmt werden.

 


Bild: Valérie Chételat

Neinsagt Peter Kleist von der Kantonalen Ethikkommission Zürich.

Forschung ist ein hohes Gut. Aber es steht einiges auf dem Spiel: Die Studienteilnehmenden müssen geschützt werden und die Resultate zuverlässig sein. Entsprechend ist auch der Qualitätsanspruch an Forschung hoch. Ethikkommissionen sind bestrebt, ihren Beitrag zur Qualitätssicherung zu leisten: Es bedarf einer präzisen Planung und einer durchdachten, standardisierten Studiendurchführung. Alles muss sorgfältig dokumentiert werden. Das ist nicht bürokratisch, sondern selbstverständlich – unabhängig von den Behörden.

«Je defizitärer das Gesuch, umso länger dauert es bis zur finalen Bewilligung.»

Diese Anforderungen sind nicht neu. Die international anerkannten Regeln der guten klinischen Praxis gelten seit 2002 in der Schweiz auch für die akademische Heilmittelforschung – denn hinsichtlich des Anspruchs auf Teilnehmerschutz und Datenvalidität gibt es keinen Unterschied zur industriellen Forschung.

Ethikkommissionen bewilligen Forschungsvorhaben, nachdem sie die Erfüllung wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Anforderungen überprüft haben. Dass ein erheblicher Anteil der Gesuchstellenden zunächst Mängelbescheide erhält und administrative Hürden nehmen muss, ist nicht der grossen Bürokratie, sondern meistens einer unzureichenden Planung und mangelndem Qualitätsbewusstsein geschuldet.

Zum Beispiel ist die Forschungsfrage unklar, das Studiendesign ungeeignet, um die Forschungsfrage zu beantworten, sind die Beurteilungskriterien für den Erfolg nicht festgelegt oder ist die statistische Planung mangelhaft. Manchmal werden die Verantwortlichen im Studienteam unzureichend festgelegt, Risiko-minimierende Massnahmen nicht ausgeschöpft, ist der Umgang mit Datenschutzbestimmungen mitunter grosszügig und nicht zuletzt die Patientenaufklärung häufig unverständlich. Und: Je defizitärer das Gesuch, umso länger dauert es bis zur finalen Bewilligung.

Dass viele Resultate nicht reproduzierbar sind und ein Viertel der Studien vorzeitig abgebrochen wird, sind objektive Belege für Qualitätsdefizite der Forschung. Die Wissenschaftsgemeinschaft selbst hat Massnahmen eingeleitet, um den bestehenden Problemen zu begegnen. Eine wesentliche Rolle kommt den Clinical Trial Units an den Universitätsspitälern zu. Sie tragen hoffentlich noch stärker als die Ethikkommissionen zur Lösung des Kernproblems bei. Das ist nicht die Bürokratie, sondern sind die mangelnden Kapazitäten für die Planung und die Qualitätssicherung der akademischen Forschung. Sind diese gegeben, werden auch weniger Mängel beanstandet.