Auch beim verstorbenen Liedermacher Mani Matter sind Frauen oft sächlich. Das verrät einerseits den Berner, und schafft andererseits Vertrautheit mit seinen Figuren. | Bild: Valérie Chételat

Zu Beginn etwas Grammatik, keine Angst, nur das Nötigste. Das Deutsche kennt, im Gegensatz zum Französischen und Englischen, drei grammatische Geschlechter: Femininum, Maskulinum, Neutrum. In manchen Regionen der Deutschschweiz, Deutschlands und Luxemburgs wird für Frauen nicht die weibliche Form verwendet, sondern die sächliche. Anstatt die Anna heisst es das Anna, statt sie sagt man es. «Das weckte mein wissenschaftliches Interesse », sagt Helen Christen, Professorin für germanistische Linguistik an der Universität Freiburg. Denn generell stimme sonst bei Namen das grammatische Geschlecht, fachsprachlich Genus, mit dem natürlichen Geschlecht überein.

In der Sprache sei nichts Zufall, stellt Christen fest: «Die Genus-Zuweisung wird genutzt, um eine Bedeutung herzustellen.» Doch welche Bedeutung? Wertet das Neutrum Frauen ab und verniedlicht sie, wie besonders in der Schweiz geargwöhnt wird? Christen und ihr Team gehen dem Phänomen erstmals auf den Grund, gemeinsam mit Linguistinnen aus Deutschland und Luxemburg. Die Wissenschaftlerinnen führen Befragungen durch, analysieren alte Volkslieder und werten Todesanzeigen aus. Die bisherigen Befunde ergeben für die Deutschschweiz ein differenziertes Bild.

Mal liebevoll, mal despektierlich

Neutrale Frauenrufnamen sind besonders in den Kantonen Bern, Solothurn, Basel-Landschaft, Glarus und in der Zentralschweiz verbreitet. Sie entstanden innerhalb von Familien und Dorfgemeinschaften. Dort, unter Verwandten und gut Bekannten, werden Namen gerne verkleinert. Das löst rein sprachlich das neutrale Genus aus: die Verena wird «ds Vreni». Mit der Zeit ging in persönlichen Beziehungen das Neutrum auch auf Frauennamen ohne Diminutiv über: das Pia, das Judith. Die Bezeichnungen sind liebevoll gemeint, weiss Christen: «Sie können Nähe und Vertrautheit ausdrücken.»

Femininum oder Neutrum? Antworten aus einer Online-Umfrage: Auf «S Mami isch nid dehäi» folgt entweder «Sii ...» oder «Ääs isch ouf em Määrt». | Bild: 2. stock süd, Quelle: regionalsprache.de

Femininum oder Neutrum? Antworten aus einer Online-Umfrage: Auf «S Mami isch nid dehäi» folgt entweder «Sii ...» oder «Ääs isch ouf em Määrt». | Bild: 2. stock süd, Quelle: regionalsprache.de

Umgekehrt wird Distanz geschaffen, wenn jemand die Schwester oder die alte Schulfreundin wieder die Verena nennt statt das Vreni. Dann dürfte sich die Beziehung abgekühlt haben. Ganz anders liegt der Fall, wenn beispielsweise eine Bundesrätin öffentlich ins Neutrum gesetzt wird. Da ist der Kosename nicht angebracht, wirkt vielmehr despektierlich.

«Im passenden Kontext ist das neutrale Genus unauffällig bis positiv, im unpassenden Kontext kippt es», fasst die Forscherin zusammen. Sie fand überraschend weitere Spielarten. Etwa Frauenrufnamen mit männlichem Genus: «der Fridu» für die als burschikos betrachtete Frieda. Oder, im Sensebezirk, Männernamen mit weiblichem Genus: «d Hänsa» für Hans.

Er bleibt er

Nur eine Kombination traf die Forscherin kaum an: männlich und neutral. Wenn im vertrauten Kreis Männernamen verkleinert werden, bleiben Artikel und Pronomen männlich. Auf «Fredi» folgt nicht es, sondern er. Ausnahmen im Wallis – «ds Hansrüedi» – und im Berner Oberland bestätigen die Regel. Der volle Name mit Neutrum ist gar exklusiv den Frauen vorbehalten. Das Thomas gibt es nicht. «Männernamen scheinen ihre Träger vor dem neutralen Genus zu immunisieren», sagt Christen. Mit Bildern von Weiblichkeit stimme das Sächliche offenbar eher überein. Für die Forscherin ein Hinweis darauf, dass das dialektale Neutrum schon auch auf patriarchale Geschlechtervorstellungen zurückzuführen ist. Das Weibliche als das Kleinere, Geringere, das Private und die Familie als Domäne der Frauen.

Die Ambivalenz fällt auch dem Mundartschriftsteller Pedro Lenz auf, einem besonders sensiblen Sprachseismografen. Er habe diese sächliche Form immer vermieden, sagt der Berner: «Erwachsene Frauen sollten nicht wie Kinder angesprochen werden.» Doch dann bat ihn eine ältere Leserin um folgende Signatur: «Für ds Elisabeth, mög’ äs no mänge schöne Früelig erläbe. » Auf seinen Einwand entgegnete die Frau, das Es sei keine sächliche Form, sondern eine Zärtlichkeitsform. «Seither bin ich bei der Thematik offener geworden», räumt Lenz ein. Er verarbeitete die Erfahrung in einer Kurzgeschichte. Das Deutsche kenne nicht drei, sondern vier grammatische Geschlechter, bilanziert er darin mit der Freiheit des Literaten: weiblich, männlich, sächlich und zärtlich.