Zahlreiche Luftbläschen, schräg verlaufende Risse: Die Komplexität der Eismasse des Morteratschgletschers bei Pontresina (GR) zeigt sich im Detail. | Bild: «Glacier Fabric», Matthias Vollmer. Bemerkung: Die Fotografie wurde um 90 Grad nach rechts gekippt.

Zahlreiche Luftbläschen, schräg verlaufende Risse: Die Komplexität der Eismasse des Morteratschgletschers bei Pontresina (GR) zeigt sich im Detail. | Bild: «Glacier Fabric», Matthias Vollmer. Bemerkung: Die Fotografie wurde um 90 Grad nach rechts gekippt.

Matthias Vollmer ist Architekt, durchstreift aber gerne die Berge, um mit den Studierenden vom Institut für Landschaftsarchitektur der ETH Zürich Gletscher zu beobachten. «Wir untersuchen, wie sie die Landschaft gestalten und wie sie von den Leuten wahrgenommen werden. Gletscher spielen in der Schweiz eine wichtige Rolle: Sie haben buchstäblich Täler gegraben und bildlich die Fantasie beflügelt. Unsere Beziehung zu ihnen ist unstet und zwiespältig: Vor einigen Jahrhunderten wurden sie als bedrohliche Naturgewalt wahrgenommen, heute will man sie als Teil der schweizerischen Landschaft bewahren.»

Das Foto zeigt einen halben Meter der inneren Wand des Morteratschgletschers bei Pontresina (GR). Man kann zahlreiche Luftbläschen erkennen sowie schräg verlaufende Risse, die durch die Kräfte entstanden sind, die im Inneren der Eismasse herrschen. Es ist diese Komplexität, die Matthias Vollmer interessiert: «Man stellt sich Gletscher immer als gigantische Gebilde vor, aber sie können auch anders betrachtet werden. Aus der Nähe lassen sich reiche Strukturen erkennen – die Zeugen ihres Innenlebens, ihrer unablässigen Bewegung. Dieser Widerspruch lässt sich vor Ort gut spüren: Im ersten Moment scheint alles erstarrt, aber überall sind die Spuren des Vordringens und Zurückziehens zu entdecken; Eisblöcke, Felsen und Geröll.»

Für die Aufnahme achtete Matthias Vollmer darauf, dass die Wand nicht von der Sonne beschienen wurde. Mit polarisierenden Filtern vermied er zudem Reflexionen, und er arbeitete mit grossen Fotoplatten von 4 × 5 Zoll. «Die analoge Technik zwingt mich, genau über die Aufnahme nachzudenken – im Gegensatz zu den zahllosen digitalen Apparaten, die uns unendlich viele Klischeebilder liefern.»

Vollmer resümiert: «Das Bild ist sowohl ein wissenschaftliches als auch ein künstlerisches Dokument. Wenn ich ein Medium benutze, muss ich Entscheidungen treffen: Wie möchte ich das Objekt in Szene setzen, welche Vorbereitungen muss ich treffen, welche Interpretationen wird die gewählte Darstellung ermöglichen? Das ist für mich die Definition von Kunst: Nicht forciert etwas Schönes zu schaffen, sondern etwas bewusst eine Form zu geben. Aber klar, ich finde dieses Foto auch ziemlich schön!»